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Der Flaneur, für den es bezeichnenderweise kein deutsches Wort gibt – er ist als Lehnwort in die deutsche Sprache eingegangen – und der im Zusammenhang mit dem Hype um Walter Benjamins Passagen-Werk nach 1968 eine, wenn auch verschwommene, Popularität gewann, ist das Thema einer noch Januar 2019 geöffneten Ausstellung des Kunstmuseums Bonn und eines prachtvollen Katalogs im Wienand Verlag. Er, zu dessen hervorragenden Eigenschaften es gehört, dass er beobachtet, wahrnimmt, registriert, reflektiert, wird hier selbst zum Gegenstand der Observation. In der Kunst „vom Impressionismus bis zur Gegenwart“, so die zeitliche Eingrenzung im Titel, nimmt er eine prominente Stellung ein. In der konzentrierten Kumulation des Typus wird ein Ausschnitt aus der Literatur- und Kunstgeschichte und zugleich ein soziologisches Kapitel erkennbar, das Aufschluss gibt über das bürgerliche Zeitalter, wenn man sich nicht damit begnügt, dieses undifferenziert als (neo)liberal abzutun. Der Flaneur, wie der Dandy oder der Bohémien, ist eine in sich widersprüchliche Figur und als solche Personifikation widersprüchlicher Zustände.

Der Flaneur hat seinen Ort in der Großstadt. Dort ist er in den Bildern, die den Band eröffnen – vernünftigerweise und dem Thema entsprechend: Gemälde, auch Grafiken neben Fotos –, lokalisiert. Schon wahr, nicht jede Figur, die da aufscheint, ist eindeutig als Flaneur zu identifizieren. Und entgegen der Feststellung, dass der Flaneur männlich sei, sieht man auf den ausgesuchten Bildern gleich zu Beginn zahlreiche Frauen, Vorgängerinnen von Jeanne Moreau in Peter Brooks Moderato cantabile oder in Michelangelo Antonionis La notte. Faszinierend: die Gegenüberstellung von Anton Räderscheidts Jungem Mann mit gelben Handschuhen und August Sanders Foto von eben Anton Räderscheidt, auch wenn die neusachliche Isolation der Figur in ihrer Bewegungslosigkeit der Vorstellung des Flanierens eher zu widersprechen scheint. Den Eindruck der typischen langsamen Fortbewegung des Flaneurs begegnet man exemplarisch in August Mackes Helle Straße mit Leuten, in Ernst Ludwig Kirchners Straßenszene, in Rudolf Schlichters Hausvogteiplatz oder in Garry Winogrands Foto Untitled (Woman with Curls on the Street). Demgegenüber scheinen die Figuren in der Zeichnung Menschen in der Stadt von George Grosz mit raumgreifenden Schritten eher zu eilen, also gerade nicht zu flanieren. Sie entsprechen auch äußerlich nicht dem Typus des Flaneurs.

Der Katalog ist durch die ausführlichen und kenntnisreichen Essays, auch durch deren Exkurse auf die zeitgenössische Literatur, die im Museum naturgemäß keinen Platz findet, weit mehr als ein Begleitbuch zur Ausstellung. Er kann als Grundwerk zum Thema dienen, in dem die Abbildungen die Texte und die zweisprachigen Texte die Abbildungen vervollständigen. Dass er auch drucktechnisch und im Layout alle Wünsche erfüllt, macht das Glück nahezu vollkommen. Beim Flanieren freilich wird man den Wälzer nicht mitschleppen wollen. Er entfaltet seinen Zauber im Lesesessel oder auf der Couch. Für den zur Ruhe gekommenen Flaneur. Oder auch nur für seinen Bewunderer.



Thomas Rothschild – 14. November 2018
ID 11042
Link zum Katalog:
https://www.wienand-koeln.de/titel/Der-Flaneur-Vom-Impressionismus-bis-zur-Gegenwart-Kunstmuseum-Bonn.asp


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