Was man
über die DDR
wissen muss
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Bewertung:
Der Titel dieses Berichts klingt nach Ratgeber-Buch, und das hat durchaus seinen Sinn. Es wird darauf zurückgekommen.
Achtzig Jahre ist Christoph Hein nun, doppelt so alt wie die DDR, ihm persönlich ist zu wünschen, dass die Waage der Lebenszeit Ost/West sich noch deutlicher gen Sonnenuntergang neigt. So einer weiß, wovon er schreibt, wenn er von „zu DDR-Zeiten“ berichtet.
Um die DDR, vor allem ihr Machtgefüge, zu verstehen, muss man aber noch weiter zurückschauen, in die 1930er Jahre, nach Moskau. Dort sammelte sich ein Teil der Leute, die Nazideutschland verlassen mussten, meist KPD-Parteigänger, während es die SPD-ler und die Intellektuellen eher nach Westen zog. Schon 1937, nach der ersten großen Stalinschen Säuberungswelle, wurde ihre Zahl geringer, zwanzig wurden gar an Hitler übergeben, ein geheimes Zusatzprotokoll des Paktes mit Stalin sorgte dafür. Überlebt hat es von denen keiner.
Die Überlebenden hatten ihre Lebenslektion gelernt: Die Partei bzw. Väterchen Josef Wissarionowitsch hat immer recht, Zweifel ist Verrat und wer nicht mitbekommt, wenn der Wind sich dreht, den sucht Genosse Mauser auf. Die Machtbasis der späteren DDR-Führung war schlicht Angst.
Dies erfährt man präzise und nachvollziehbar im ersten Teil des Romans, 1. Buch genannt, mit knapp 200 Seiten vielleicht etwas übertrieben. Das ist hochspannend und lehrreich, entsetzlich und verstörend, niederschmetternd. Die fünf Hauptfiguren werden mit ihren Geschichten eingeführt, ein hochrangiger Exilkommunist, der Moskau überstand, ein jüdischer Professor, der sich nach England rettete, ein strammer Nazi, dem das Hirn in der Gefangenschaft so ordentlich gewaschen wurde, dass die Intensität der Überzeugung blieb, nur die Richtung wechselte, eine hoffnungsvolle Ostberliner Kulturfunktionärin, eine junge deutsche Frau mit Kind, aber ohne Mann (war halt Jude, Pech gehabt). Deren Lebenslinien werden geschickt verwoben, zwei mehr oder weniger passende Paare entstehen, der Professor findet ein spätes Glück mit einem DEFA-Kameramann. Aufstieg, Stagnation und Fall können verfolgt werden, die Partei spielt, nein, ist Schicksal, ein launisches dazu. Alle gehören zur erweiterten Nomenklatura, die Arbeiterklasse ist im Roman kaum vertreten, aber das schadet diesmal nicht.
Wenn man wissen will, wie es war: Hier erfährt man es. Kein Highlight der DDR wird ausgelassen (was der Zahl nach übersichtlich bleibt), auch die zahlreichen Tiefpunkte werden geschildert, so plastisch, dass man versteht, warum es so kam, kommen musste.
Bis zum Honecker-Putsch bleibt die Erzählung detail- und faktenreich, danach erhöht sich merklich das Tempo, das tut der Verständlichkeit nicht gut. Erst zum Ende hin (des Buches und der DDR) kann man wieder besser folgen, und die Beschreibung des Nachwendejahres gehört zum Besten, was ich je darüber gelesen habe, auch sprachlich.
Leider gilt das für große Teile des Buches mitnichten. Im Gegenteil, es ist enttäuschend, wie hölzern die Dialoge angelegt sind, wie spärlich die Beschreibungen, wie wenig inspiriert die Szenen. Der Plot ist großartig, aber die Erzählung ist ärmlich, tut mir leid, wirklich.
Deshalb auch die Überschrift aus dem Sachbuch-Regal, es ist größtenteils ein Doku-Drama, kein Roman, scripted reality trifft es vielleicht am besten. Diese Form hat sicher ihre Berechtigung, aber bei einem der Großen der schreibenden Zunft? Ritter der Tafelrunde, man erinnert sich? Hein schreibt hier deutlich unter Niveau.
Aber ein Lichtblick: Ich glaube, am Theater würde dieser Text funktionieren. Natürlich in einer ordentlichen Bearbeitung, wie sie Tilmann Köhler und Uta Girod letztens am Staatschauspiel Dresden mit dem Komet von Durs Grünbein so großartig gelang.
Falls ich also Das Narrenschiff irgendwann mal auf der Bühne sehen sollte, wäre ich auch wieder lieb.
Sandro Zimmermann - 22. August 2025 ID 15425
Suhrkamp-Link zum
Narrenschiff von Christoph Hein
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