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Das Schweigen

des Vaters





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Gerade hat der Leser die Geschichte ihrer Mutter „verdaut“, da schreibt die Autorin [in Irgendwo in diesem Dunkel] über ihren Vater, einen russischen Zwangsarbeiter aus Kamyschin, der später im Don Kosaken Chor singen sollte, aber wohl nur beim Singen längere Texte von sich gab. Und das ist die Crux an der Fortsetzung des erfolgreichen Buches Sie kam aus Mariupol. Der Vater hat buchstäblich nichts zu sagen, und es gibt praktisch auch niemanden, der etwas über ihn zu sagen hätte – tragisch für die Protagonistin, die unter der fragwürdigen Erziehung eines prügelnden Despoten aufwachsen muss und sich so nur schwer erklären kann, was den Vater zu seinem Verhalten bringt.

Nach dem Selbstmord der Mutter und einem mehrjährigen Heimaufenthalt kommt es während der Pubertät zum Bruch zwischen Vater und Tochter. Natascha, die ghettoisiert mit anderen ehemaligen Zwangsarbeiterfamilien am Rande einer fränkischen Kleinstadt wohnt, reißt aus, lebt auf der Straße und erfährt unaufgeklärt alle Gefahren, die dies mit sich bringt. Hier liegt eine der großen Stärken der Autorin, sie weiß über Sadismus und Vergewaltigung zu schreiben, ohne dass dieses sensationsheischend oder vulgär erscheint, es ist zu tiefst berührend und lässt uns doch Dinge (mit)erleben, die den meisten von uns hoffentlich erspart blieben. Aber auch die ersten erotischen Kontakte beschreibt sie in ihrer Hoffnungslosigkeit, so ihren ersten Kuss…



„Ich kannte das Wort Zungenkuss, aber ich hätte nie glauben können, dass Männer und Frauen so etwas wirklich machen. Jetzt, da Achim Uhlands Zunge an meine Zähne stieß, verstand ich, dass ich den Mund öffnen musste. Es fühlte sich an, als würde ein kleines nasses Tier in mich eindringen, um sich mit meiner Zunge zu treffen [….]. Doch bevor ich richtig begriff, was mir geschah, war es vorbei. […] Ich war mir sicher gewesen, wir würden uns nie mehr trennen, aber nun stand ich, zitternd in meinem leichten amerikanischen Kleid, am Prellstein und hörte, wie sich das Röhren seines Mopeds von mir entfernte. Es war, als hätte er eine Tür aufgemacht und sofort wieder zugeschlagen, als hätte er mir nur zeigen wollen, was für mich nicht zu haben war." (S. 98)


Und so ist es eigentlich nicht die Geschichte des Vaters, sondern ihre eigene, die sie mit schonungsloser Offenheit schildert. Der Vater bleibt für sie und uns ein Buch mit sieben Siegeln. Auch als Natascha den Bruder ihres Vaters in Moskau findet, hüllt sich dieser ebenfalls in Schweigen. Sie erfährt lediglich, dass ihr Vater schon einmal verheiratet war und dieser ersten Ehe zwei Kinder entsprangen, Halbgeschwister von ihr, von denen nicht einmal feststeht, wie sie heißen und ob sie noch leben.

Die Geschichte der Natascha Wodin ist lesenswert, sie gibt uns Einblicke in eine Zeit, die hoffentlich so nicht wiederkehrt. Mit leichter Feder beschreibt sie dabei auch politische Zusammenhänge und liefert damit einen kleinen Einblick in die jüngere Zeitgeschichte. Dennoch lässt die Autorin einige Fragen offen: Wie kam es zur späten Versöhnung zwischen Vater und Tochter, und wie konnte Natascha auf der Basis einer sehr schlechten Schulbildung erreichen, was sie nun geworden ist: eine gute Übersetzerin und bekannte Autorin. Vielleicht werden wir die Antworten dazu in ihrem nächsten Buch finden.



Ellen Norten - 18. September 2018
ID 10923
Link zum Buch: https://www.rowohlt.de/hardcover/natascha-wodin-irgendwo-in-diesem-dunkel.html


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