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Rezension
Sir Peter Ustinov

„Achtung! Vorurteile“


Nach Gesprächen mit Harald Wieser und Jürgen Ritte

Verlag: Hoffmann und Campe, Hamburg, 2003
ISBN 3-455-09410-4
Als der heranwachsende Peter in die Schule geht, ist er nicht sehr beliebt. Denn er ist Deutscher (neben anderen Nationalitäten). Und das macht sich in den Dreißiger Jahren in London nicht so gut. Sein Vater ist zunächst England-Korrespondent der Wolff’schen Presseagentur und hat einen deutschen Pass. Auf die fremden Gestalten, die in der Londoner Wohnung der Ustinovs gelegentlich zu Besuch kommen, kann sich der Junge keinen Reim machen. Fragen ist strengstens tabuisiert, Peter wird ins Kino geschickt. Dass sein Vater Agent des britischen Geheimdienstes ist, ahnt er damals nicht, auch nicht, dass sein Vater mit allen Mitteln Hitler bekämpfen und den drohenden Krieg verhindern will. In seinen Büchern hat Peter Ustinov letztere Tatsache zumindest nie richtig beleuchtet.

Was er in diesen jungen Jahren aber begriffen haben mag, ist das dünne Eis, auf dem sich Vorurteile bewegen. Schon in der Schule begreift er, dass er in einem ewigen Exil leben werde, „denn ich gehöre zu keinem Land“. Mit 16 Jahren geht er ohne Schulabschluss ab und wird später Schauspieler, Opernregisseur, Schriftsteller und vieles mehr. Genau wie bei den vielen Nationalitäten seiner bunt gemischten Vorfahren, lässt sich auch keine einheitliche Berufsbezeichnung für ihn finden. Auf jeden Fall ist er Kosmopolit und Multitalent.

„Achtung! Vorurteile“ ist ein Konglomerat von Geschichten aus verschiedenen Lebensepochen des viel gereisten Autors und erstreckt sich von seiner Kindheit bis zu seinem „Intimfeind“ George W. Bush. Ustinov sieht dieses Buch als sein Vermächtnis an. Es ist das einzige, dass er auf deutsch geschrieben hat. Darin verspricht er seinem Publikum (!) Geschichten, in denen er sich auf die „Spur eines Gangsters“ begeben will: „Ich fahnde nach Vorurteilen“. Das Vorurteil hat sogar einen Komplizen, die Bequemlichkeit. Kommissar Ustinov verdächtigt auch die Dummheit einer etwaigen Mittäterschaft. Es hat aber auch einen Rivalen, denn glücklicherweise existiert ja manchmal der Zweifel. Neben der Kriminalterminologie vergleicht er das Vorurteil aber auch mit einer Krankheit. Schon das kleinste Vorurteil könne vielen weiteren Tür und Tore öffnen, so wie schon der kleinste Insektenstich einer Krankheit zum Ausbruch verhelfen kann. Aber Doktor Ustinov hat auch ein Rezept dagegen: Man solle seine Ansichten anhand seiner realen Erfahrungen überprüfen. Dabei dürfe man aber nicht „mit dem Schaum vor dem Mund und dem Hass“ konkurrieren wollen, den viele Vertreter von Vorurteilen an den Tag legten. Zwischen zwei Grundpfeilern siedelt Ustinov eine Immunisierung gegen das Vorurteil an: man müsse sich das Staunen bewahren, das ginge bis ins hohe Alter (wofür er selbst der Beweis ist). Der Kreis schließe sich aber erst, wenn man auch noch erschrecken könne; nicht nur über die schlimmen Vorgänge in der Welt, sondern auch über sich selbst, über die eigenen Fehler. Diese Fähigkeit zum Erschrecken nennt er ein „Talent“.

„Achtung! Vorurteile“ ist weitgehend in dem Stil geschrieben, in dem Ustinov auch erzählt hat. Selbst schwierige oder tragische Themen werden mit der ihm eigenen Leichtigkeit präsentiert. Das fällt ihm besonders leicht, wenn er von seiner Bewunderung für den früheren amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter spricht oder von seinem Freund, dem ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. Selbst wenn er über ernste Themen, wie den Irak-Krieg befindet oder über George W. Bush herzieht, ist das immer mit einem Augenzwinkern. Er wird nie respektlos oder unfair. Gerade bei Dingen, die ihn unangenehm beschäftigen, bedient er sich seiner Lieblingswaffe, des Humors. Der Humor verlässt ihn nur ganz selten, z. B. als er 1984 im Garten der indischen Premierministerin Indira Gandhi vor laufender Kamera moderiert. Sie ist gerade auf dem Weg zu ihm, als im Haus plötzlich Schüsse fallen. Indira Gandhi ist einem Attentat zum Opfer gefallen, während Ustinov und seine Filmcrew draußen beschäftigt waren.

Wo immer Ustinov auftaucht, ändert sich die Stimmung meistens zum besseren. Er lässt sich nicht durch seine Umgebung bestimmen, meist bestimmt er die Atmosphäre in seiner Umgebung. Kommunikation liegt ihm auf verschiedenen Ebenen. Er kann nicht nur meisterlich erzählen, als UNICEF-Botschafter erobert er auch reihenweise Kinderherzen. Und wenn da keine verbale Verständigungsmöglichkeit geboten ist, dann bellt er halt oder gurrt oder fasziniert die Kinder durch seine pantomimischen Talente. Diese Faszination schwingt auch in der Lektüre dieses Buches mit. Als Sir Peter am 28. März 2004 stirbt, hinterlässt er nicht nur bei UNICEF eine große Lücke (er gehörte der Organisation seit 1968 an). Die ganze Welt scheint Anteil an dem Ableben des 82jährigen zu nehmen. Dabei ist es ihm genau wenig wie einst seinem Vater gelungen, die Welt vor Krieg und Elend zu bewahren, aber ein bisschen besser gemacht, hat er sie schon.

h.f. - red. / Mai 2004


Peter Ustinov hat an drei europäischen Universitäten Stiftungslehrstühle zur Vorurteilserforschung eingerichtet: im englischen Durham, in Budapest und in Wien.

www.ustinov-foundation.org

 



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