Heike S. Mayer: Medea
RomanGebundene Ausgabe: 240 Seiten Verlag: Wiesenburg; Auflage: 1 (2007) ISBN-10: 3939518255 ISBN-13: 978-3939518259
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Medea ist eine Frauenfigur der antiken griechischen Mythologie. Erst etwa im Jahre 431 v. Chr. hat Euripides in seiner Tetralogie aus Medeia schließlich die Figur gemacht, die wir heute kennen: eine zunächst in Liebe ent- und dann von Hass verbrannte Frau, die sogar ihre Kinder ermordete, um ihre Rache an ihrer ehemaligen großen Liebe Jason dem Argonautenführer möglichst wirksam zu gestalten. Seither ist das Thema Medea in Variationen immer wieder aufgegriffen und immer wieder neu interpretiert worden.
Wer war die Medea der antiken Mythologie vor Euripides? Die Überlieferungen dazu geben nicht allzu viel her, jedenfalls schien sie dort noch nicht die mordende Ehefrau und Mutter zu sein. Es bleibt eine Menge Spielraum für einen Roman, in dem versucht wird einer anderen Medea nachzuspüren.
Heike S. Mayer hat einen Roman geschaffen, der sich durchaus an den alten Überlieferungen aber auch an den Deutungen Euripides und Ovids in Metamorphosen) orientiert. Ebenso sind Elemente aufgegriffen, die auch schon von Autorinnen der jüngeren Zeit, eine neues Bild der Medea mitprägten. So zeigt auch schon Christa Wolf eine Medea, die nicht Täterin ist, sondern eine Außenseiterin ist und die schließlich zum Opfer zahlreicher Intrigen, entstanden aus Neid, Angst und Vorurteilen, wird.
Ähnlich ist es auch bei Heike S. Mayers Medea: eine junge Priesterin und Heilerin, die bereit ist, alles für ihre Liebe zu Jason zu tun. Eine Liebe, die schließlich am Misstrauen ihrer Umwelt und an Jason scheitert. Interessant an dem Roman ist dabei die Figur des Argonautenführers Jason. Er wird bei Mayer nicht einmal mehr zu einem Antihelden stilisiert, dem man noch ein wenig Verständnis entgegenbringen könnte. Jason, der sich als arbeitsloser Argonautenführer vor allem langweilt, wird vielmehr zu einem feigen und eigennützigen Opportunisten, dessen einzige Sorge der Aufrechterhaltung seiner Männlichkeit gilt, die er in Betten anderer Frauen zu bestätigen sucht. Medeas Liebe prallt an seinem Narzissmus ab. Von Jason ausgenutzt und schließlich weggeworfen rächt sich Medea tatsächlich, aber nicht in dem sie ihre Kinder tötet, diese waren schon zum tragischen Opfer intriganter Machenschaften geworden, sondern den Argonautenführer selbst. Und auch hier muss Medea nicht direkt hand anlegen: Jason stirbt quasi aufgrund seiner eigenen Feigheit.
Die Geschichte um Medea und Jason ist ein Liebesroman, der den allmählichen Zerfall einer Liebe beschreibt, die am Alltäglichen und am Egoismus einzelner Protagonisten scheitert. Allein Medea versucht opferbereit die Liebe aufrecht zu erhalten, jedoch vergebens.
Mit Medea und Jason konstruiert die Autorin zwei gegensätzliche Lebensgrundhaltungen: engagierter Altruismus trifft rücksichtlosen Opportunismus. Doch in einer Welt, in der das soziale Umfeld von Eigennutz getrieben ist, hat eine Figur wie Medea keine Chance. Schnell sind alle bereit, die Fähigkeiten Medeas für sich zu beanspruchen. Doch Medea bleibt ihnen verdächtig und nur zu gerne wollen sie nach erfolgter Hilfe die Frau wieder loswerden. Und so sehr sich Medea auch bemüht, sie bleibt eine ungeliebte Außenseiterin. Allein ihre Söhne geben ihr Rückhalt. Bei dem Bildhauer Oistros, der auch schon bei Christa Wolff die Rolle der männlichen Gegenfigur innehat, stößt sie schließlich auf Vertrauen und Zuneigung.
Aus heutiger Sicht ist diese, vielleicht etwas zu schwarz-weiß geschilderte Geschichte um Medea, deren Hilfe jeder in Anspruch nimmt, der aber keiner Freundschaft anbietet, ein durchaus aktuelles Phänomen, das gar nicht voraussetzt, dass ein Fremder versucht, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. Das Umfeld Medeas könnte auch, durchaus symptomatisch, für eine Gesellschaft stehen, in der – stets vom eigenen Egoismus getrieben – man dem anderen nur mit Misstrauen begegnen kann.
Was mich am Anfang des Lesens irritierte, waren die auffallend einfachen Sätze. Mayer hält dies den gesamten Roman konsequent durch. Doch man liest sich rein. Ja, man fängt sogar an, es zu mögen. Denn irgendwie schaffen diese einfachen Sätze Fakten. Im Vergleich zu den blumigen und ausufernden Formulierungen eines Euripides oder Ovids, ist dies ein angenehmer Gegensatz. Die Sätze scheinen eine Realität zu bekunden, die auch im Kontrast zu einem mythologischen Inhalt stehen, der bestückt ist mit phantasievollen Elementen einer Zauberwelt, jenseits einer für uns möglichen Wirklichkeit. Das reizt. Und das Faktische verlagert sich auf eine andere nichtmythische Ebene: auf die Beziehungen und Bindungsgefüge der Figuren.
Ich habe das Buch mit wachsender Begeisterung gelesen.
s.p. - red /27. März 2007 ID 00000003094
Für eine Übersicht zum Thema Medea siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Medea
Dort befindet sich auch eine Liste wichtigster literarischer Bearbeitungen:
- Euripides: "Medeia"
- Ovid: "Medea" (verloren)
- Seneca: "Medea"
- Geoffrey Chaucer: "The Legend of Good Women" (um 1385)
- Pierre Corneille: "Medée" (1635)
- Franz Grillparzer: "Medea", als dritter Teil der Trilogie "Das goldene Vließ" (1821)
- Paul Heyse: "Medea" (Novelle, 1890)
- Hans Henny Jahnn: "Medea" (1926, 2. Fassung 1959)
- Jean Anouilh: "Médée" (1946)
- Robinson Jeffers: "Medea" (1948)
- Franca Rame und Dario Fo "Medea" (1979)
- Christa Wolf: Medea: Stimmen (1996)
- Heiner Müller: "Verkommenes Ufer. Medeamaterial. Landschaft mit Argonauten" (Medeaspiel; 1974)
- Dea Loher: "Manhattan Medea" (1999)
- Doris Gercke: "Die Frau vom Meer" (2000) ISBN 3-455-02295-2
- Nino Haratischwili: "Mein und dein Herz/Medeia" (2007)
Siehe auch:
http://www.wiesenburgverlag.de
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