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Katalog-Cover: Figur des Gottes Quetzalcoatl | Landesmuseum Württemberg Stuttgart © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch

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Die Ausstellung Azteken im Linden-Museum Stuttgart steht ganz offensichtlich unter einem guten Stern, denn sie wurde im Oktober 2019 eröffnet, lief eine ganze Weile und konnte nun nach dem mehrmonatigen Shutdown bis zum 16. August 2020 verlängert werden. Anlass ist der 500. Jahrestag der Eroberung des Aztekenreiches durch den Spanier Hernán Cortés, und die Eroberer sollen überwältigt gewesen sein, als sie im Jahr 1520 die aztekische Hauptstadt Tenochtitlan erblickten, die auf einer Insel inmitten eines Sees auf einem Hochtal errichtet worden war. Mit rund 200.000 Einwohnern war es eine der größten Städte der damals bekannten Welt, später wurde auf ihren Ruinen Mexiko City errichtet mit 20 Millionen Menschen, die heute in der Metropolregion leben. Die Azteken hatten sich nach längerer Wanderschaft dort niedergelassen nach einer Prophezeiung, die besagte, dass ein Adler, der auf einem Kaktus säße mit einer Schlange im Maul das Zeichen wäre. Dieser Adler ist heute noch auf der Flagge Mexikos abgebildet.

Von der Hochkultur der Azteken ist verhältnismäßig wenig übrig geblieben, denn die Konquistadoren und Missionare schalteten die maßgeblichen Vertreter und ihre Kulturgüter ziemlich gründlich aus. Auf der anderen Seite sind die meisten Informationen über das eroberte Volk aber von den Eroberern, ohne die noch weniger Quellen vorhanden wären. Es gab unter den Azteken Kollaborateure, die das Ausmaß der beabsichtigten Zerstörung aber wohl kaum voraussehen konnten. Dazu gehört die Aztekin Malinche, die für Cortés übersetzte und ihn dadurch mit entscheidenden Informationen versorgte. Sie gilt als die „Mutter der Mestizen“, weil sie zu den ersten bekannten Frauen gehört, die Mischlinge gebar. Heute sind 60 Prozent der Mexikaner Mestizen, aber Mexiko hat mit 30 Prozent noch einen vergleichsweise hohen Anteil an indigener Bevölkerung.



Federschild Mäander und Sonne, Holz, Rohrgeflecht, Vlies, Rohhaut, Federn vom Eichhornkuckuck und Schwarzkopftrogon, vermutlich Schwarzkehltrupial, Azurkotinga, Ridgewaykotinga, lovely cotinga, Flammentangar, D: 75,5 cm, H: 2,5 cm Mexiko, aztekisch, um 1520 Landesmuseum Württemberg Stuttgart | © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch


Zwei Schilde aus Federn, dem kostbarsten Rohstoff der Zeit, tauchten schon kurz nach der Eroberung in Württemberg auf, landeten schließlich im Lindenmuseum, aber auch nach intensiver Recherche konnte man ihren vollständigen Weg dorthin nicht nachvollziehen. Aber eine württembergische Abbildung aus dem frühen 16. Jahrhundert zeigt einen Umzug in Kostümen, in denen die Schilde zur Schau getragen werden und klar erkennbar sind. Ein weiterer Schatz aus dieser frühen Zeit ist eine Grünsteinfigur des Schöpfergottes Quetzalcoatl, dem Gott des Windes, der Erde und des Himmels, der oft in Form einer gefiederten Schlange dargestellt wird. Es zeugt von der großen Kunstfertigkeit der Azteken, dass zwischen Gesicht und Bauch im Inneren der Skulptur eine Öffnung ist. Durch diese ist das rituelle Räuchern möglich, aber auch das „Füttern“.



Mictlantecuhtli, Keramik, Pigment, H: 176 cm; B: 80cm; D: 50 cm, Mexiko, aztekisch, Spätphase, zwischen 1430 und 1502, Museo del Templo Mayor, Mexiko-Stadt, D.R. Secretaría de Cultura –INAH | © D.R. Archivo Digital de las Colecciones del Museo Nacional de Antropología, Secretaría de Cultura –INAH


Denn am Totentag lädt man bis heute die verstorbenen Familienmitglieder nach Hause ein und serviert ihnen Speisen. Am nächsten Tag besuchen dann die Lebenden die Toten auf dem Friedhof. Die Azteken hatten die Vorstellung vom Weltenbaum, in dessen Krone sich die Götter befanden, in Höhe des Stammes die Menschen und im Bereich der Wurzeln die Verstorbenen. Der Weltenbaum entspricht nicht dem christlichen Bild, denn die Verstorbenen landen alle in der Unterwelt, in der es aber schöne Orte gibt. Die Art des Todes spielt bei der Vergabe des Aufenthaltsortes eine große Rolle, und Menschen, die den Göttern geopfert wurden, erhalten einen besonders würdevollen Platz. Da es keine strikte Trennung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits gab sowie einen ausgeprägten Ahnenkult, bargen die Menschenopfer für die Azteken offensichtlich keinen so großen Schrecken. Für die Eroberer und Missionare boten sie einen willkommenen Grund für die Auslöschung dieser „barbarischen“ Zivilisation. Die Statue des Totengottes Mictlantecuhtli mag verhältnismäßig freundlich erscheinen, aber ihm wurden Menschenopfer gewidmet wie auch der Göttin Tlaltecuhtli, von der am Templo Mayor eine monolithische Steinskulptur freigelegt wurde.

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Der zwischenzeitlichen Schließung des Museums ist es zu verdanken, dass die Museumsdirektorin Inés de Castro zwei Onlineführungen macht, die über die Webseite [s. URL unten] aufrufbar sind. Darin betont sie, dass die Azteken schon damals weite Handelswege zurücklegten mit Muscheln aus Ecuador oder Türkis aus den heutigen USA. Gold hatte bei ihnen nicht die Wertigkeit wie bei uns, Jade galt als wertvoller, aus der sie wunderbare Kunstwerke anfertigten. De Castro erklärt ausführlich den Schmuck und das Piercing an verschiedenen Körperstellen, mit dem der Adel sich von den anderen Einwohnern absetzen wollte. Die Gesellschaftsstruktur war eine hierarchische mit ungefähr 5 Prozent Adeligen. Es gab ein hohes Bildungsniveau bei den niederen Schichten und eine sozial ausgerichtete Ordnung. Es wurde eine Zeichenschrift verwendet, von der weltweit nur noch 20 Beispiele erhalten sind, Bücher aus Baumrinde mit Geschichten und Mythen. Man geht davon aus, dass diese Piktogramme bevorzugt wurden, weil dort Menschen aus verschiedenen Kulturen mit mehreren Sprachen lebten, und die Zeichenschrift war universell für alle verständlich. Eine Schriftsprache wäre nur für wenige lesbar gewesen.



Freilegung der monolithischen Steinskulptur der Göttin Tlaltecuhtli am Fuße des Templo Mayor | © Proyecto Templo, Mayor, Foto: Leonardo López Luján


Die Forschung hat in den letzten sechs bis sieben Jahren große Fortschritte gemacht, auch am Templo Mayor, dessen Ausgrabungsstätte sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kathedrale in Mexiko-Stadt befindet, die zum Teil aus den Steinen der alten Tempelanlage gebaut wurde. Die vorhandenen Kenntnisse und neuen Errungenschaften werden im gleichnamigen Katalog zur Ausstellung ausführlich vorgestellt, in dem de Castro als Projektleiterin sowie die Kuratoren Doris Kurella (Stuttgart) und Martin Berger (Leiden) zu Wort kommen. Als wissenschaftliche Berater fungierten drei Koryphäen aus dem INAH, dem Instítuto Nacional de Antropología e Hístoria in Mexiko-Stadt: Eduardo Matos Moctezuma, der Entdecker des Templo Mayor, Raúl Barrera-Rodríguez, Leiter des stadtarchäologischen Programms am Templo Mayor und Leonardo López-Lujan. Der Katalog ist die übersichtlichste, umfangreichste und aktuellste deutsche Publikation auf dem Gebiet: Er umfasst geografische, politische, gesellschaftliche, historische, soziale, wirtschaftliche, ökologische und botanische Aspekte von führenden WissenschaftlerInnen auf ihrem Gebiet, dazu Quellenforschung, Archäologie, Kunsthandwerkliches, Rituelles, Religiöses und mehr. Da sind noch viele Lücken in unserem Wissen über die Azteken und jedes Puzzleteil zählt, denn wir können heute noch allein von ihrer Verbindung zur Natur und ihren astrologischen Kenntnissen lernen.

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Wer - wie die Autorin dieses Artikels - keine Möglichkeit hat, sich die Stuttgarter Ausstellung persönlich anzusehen, hat die Onlineführungen und den Katalog als Trostpflaster. Der gute Stern der Ausstellung wird aber ab dem 15. Oktober 2020 über dem Weltmuseum in Wien und im Frühjahr 2021 in Leiden im Nationaal Museum van Wereldculturen (Niederlande) wieder aufgehen, und diese Informationen wollten wir unbedingt weitergeben.

Helga Fitzner - 19. Juli 2020
ID 12361
Weitere Infos siehe auch: https://www.lindenmuseum.de


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