Mut und
Mallust
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Cover vom Ausstellungskatalog (C) Hirmer Verlag
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Bewertung:
Die Schweizer Künstlerin Miriam Cahn, Jahrgang 1949, präsentiert ihr Werk in einer umfassenden Ausstellung. Sinnlich, direkt und wagemutig widmet sie sich dem menschlichen Körper in all seiner Verletzlichkeit: es geht um Sex, Lust, Macht, Gewalt, Leben und Tod.
Die Kriegerin, das Titelbild dieser kraftvollen Werkschau, schaut einem geradewegs in die Augen, hell lodernden Blickes, der von weit her zu kommen scheint, aus archaischen, blauen Vorzeiten. Der Helm auf ihrem Kopf wirkt dagegen futuristisch gläsern. Sein leuchtend gelbes Licht fließt über Hals und Schultern. Diese Frau ist unverwundbar, auch wenn ihre Haut nackt ist und der Mund grellrot. Denn: sie begegnet uns auf Augenhöhe. So sind die über 200 Werke auch auf ausdrücklichen Wunsch der Künstlerin gehängt.
Wobei „hängen“ hier der falsche Begriff ist: sogar monumentale Werke aus Papier hat man ohne jeden Rahmen mit Stecknadeln an die weiße Wand geheftet. Auch einen herausfordernden weiblichen Akt. Es ist eine Replik auf das berühmte Bild von Gustave Courbet von 1866, L´origine du monde, in dem man zwischen die gespreizten Beine einer Frau schaut: der voyeuristische Blick eines Mannes auf das klassische Lustobjekt. Da ist ihr Kopf nicht wichtig, deshalb wurde er abgedeckt. Miriam Cahn zeigt ebenfalls die Nahsicht auf eine Vulva, aber sie gibt der Figur ein Gesicht, geprägt von einem sinnlichen Mund und einem geraden Blick. Doch das Provozierendste an diesem Bild ist vielleicht der blaue Schleier, den die Frau trägt: Le milieu du monde schaut zurück von 2017. Da hatten wir längst die Kopftuchdebatte. Cahn möchte sie differenzierter geführt wissen: „So wenig Kleidung wie möglich zu tragen, ist nicht freier, als verschleiert zu sein“, lässt sie sich zitieren.
Miriam Cahn spielt ungehemmt mit sexuellen Rollen und Identitäten, nationalen Stereotypen und religiösen Vorstellungen. Auch die Familie ist nicht unbedingt ein Hort menschlicher Geborgenheit. In ihrem fulminant gemalten Fleischbild verlieren sich Mann und Frau beim Sex, das dazwischen eingeklemmte Kind wird fast aus dem Bild gedrängt. Miriam Cahn gilt als explizite Feministin. Gewalt üben in ihren Bildern aber nicht nur Männer aus. Auch die Frau schlägt zu – siehe eine ihrer kräftigen Kreidezeichnungen, die keinen Titel nötig hat. Nicht einmal der eigene Verfall wird beschönigt. Abbau entstand 2017, nach ihrer hocherfolgreichen Teilnahme an der Documenta in Kassel. Da macht sie ein glücklich grinsendes Kindergesicht, ballt vor Freude die Faust, doch ihr schonungslos genau gemalter Körper ist der einer alternden Frau.
Miriam Cahn malt spontan, oft auch blind, im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen und Füßen. Der Körper: Gegenstand und Werkzeug. Das ist besonders gut am Abdruck von Zehen und Fingern in ihren groß- kleinformatigen Kohlebildern zu erkennen. Hier spürt sie dem nach, was man nicht sehen kann, das Innenleben des Frauenkörpers. Ihre Eisprungarbeiten nehmen die verschiedenen Stadien des weiblichen Zyklus wahr.
Verführerisch auf den ersten Blick und schockierend auf den zweiten ist ihre Serie mit dem Titel Atombomben [s. Foto unten] von 1989, riesige farbenfrohe Aquarelle einer Explosion auf Papier. „Schönheit vermittelt nicht immer etwas Schönes“, sagt Miriam Cahn und erinnert sich an die Bilder des Atompilzes, die sie als Kind sah und so „schön“ fand. Fassungslosigkeit und Faszination spielen für sie zusammen, bekannte sie in einem Interview.
Der bezeichnende Titel eines ihrer Bücher lautet denn auch: Was mich anschaut. Darauf schauen ihre Bilder zurück – mit Ausdruckskraft, Mut und unbändiger Mallust!
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Atombomben von Miriam Cahn im Münchner Haus der Kunst | Foto: Petra Herrmann
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Petra Herrmann - 7. August 2019 ID 11606
Die Werkschau ist noch bis 27. Oktober 2019 zu sehen und täglich geöffnet.
Weitere Infos siehe auch: https://hausderkunst.de
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
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