Selbstportrait von
Elfriede Lohse-Wächtler
(1899-1940)
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Als Anna Frieda Wächtler mitten im Ersten Weltkrieg ihr Elternhaus verlässt, um die Königliche Kunstgewerbeschule in Dresden zu besuchen, liegt ein hoffnungsvolles, spannendes Leben vor ihr. Sie ist 16 Jahre alt, gilt als trotzig, raucht und trägt Hosen. Nach dem Krieg schließt sie sich der Dresdner Sezession an, lernt unter anderem Otto Dix und Conrad Felixmüller kennen und verdient sich ihren Lebensunterhalt mit der Illustration von Postkarten und Batikarbeiten. In dieser Zeit ändert sie ihren Namen, nennt sich fortan Elfriede. Sie lernt den Sänger und Maler Kurt Lohse kennen, den sie 1921 heiratet - fortan heißt sie Elfriede Lohse-Wächtler. Mit Lohse geht sie zuerst nach Görlitz und folgt ihm später nach Hamburg, wo er ein Engagement als Chorsänger bekommt. Die Ehe ist eine stürmische und unglücklich, jedenfalls für Elfriede. Lohse betrügt sie ständig und hat mit seiner Geliebten drei Kinder, während Elfriede mehrfach aus wirtschaftlichen Gründen abtreibt. Dies führt 1929 zu ihrer ersten psychischen Krise und zu seinem Nervenzusammenbruch. Elfriede landet in einer Heilanstalt.
Nach ihrer Entlassung entsteht ihr Selbstportrait.
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Selbstportrait von Elfriede Lohse-Wächtler | Bildquelle: Wikipedia
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Braun-schmutzige Lilatöne dominieren in dem Porträt in Dreiviertelansicht. Elfriede blickt resigniert, ausdruckslos auf den Betrachter. Zu dem Zeitpunkt ist sie gerade mal 30 Jahre alt. Die dichten braunen, gewellten Haare trägt sie sehr kurz. Die vollen Lippen sind verschlossen. Schonungslose Licht- und Schattenspiele machen ihr Gesicht älter und hart. Sie wirkt ungewaschen, verkrustet. Um den Hals trägt sie einen braunen Schal oder eine enorme wollene Halskette. Ihr grünliches Hemd verwischt sich zeitweise mit dem lila-braunen Hintergrund. Nur vorne, am Ausschnitt, kommt ein wenig Farbe in Form von gelb-orange ins Spiel. Sie sieht auf dem Porträt wie ein Roboter aus, hat alles Menschliche eingebüßt. Lohse-Wächtler hat sich hier entpersonalisiert. Für eine Anklage hat sie zu diesem Zeitpunkt keine Kraft. Emotionen sind unsachlich geworden. Das Porträt ist ein expressionistisches, ganz im Stil der Neuen Sachlichkeit, eine dominierende Stilrichtung zwischen den beiden Weltkriegen, bekannt v.a. durch die Werke von Otto Dix und Max Beckmann. Als Neue Sachlichkeit bezeichnet mal im Allgemeinen die Rückbesinnung auf die Welt des Sichtbaren und die Hinwendung zu sozialkritischen Themen.
Das Selbstporträt entsteht 1930, kurz nach ihrem Nervenzusammenbruch 1929 und misst 43,0 × 45,0 cm. Wo es hängt, war nicht herauszufinden.
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In den zwei Monaten in der Heilanstalt Friedrichsberg entstehen die Friedrichsberger Köpfe, 60 Zeichnungen von anderen Patienten. Als Elfriede als geheilt entlassen wird, trennt sie sich endgültig von Lohse, was zu einer künstlerisch ausgesprochen produktiven Phase führt. Sie malt Szenen im Hamburger Hafen und inspiriert sich im Arbeiter-, Kneipen- und Prostituiertenmilieu. Schonungslose, großartige Selbstbildnisse entstehen in dieser Zeit. Auf jedem ist sie eine andere Person. Allerdings verkauft sie so gut wie nichts und leidet bittere Armut. Als sie keine andere Möglichkeit mehr sieht, geht sie 1931 zu ihren Eltern zurück. Auf Drängen ihres Vaters wird Elfriede 1932 in die Heilanstalt Arnsdorf einweisen. Diagnose: Schizophrenie.
„Ich werde durch die Notwendigkeit des dicht aneinander gepfercht seins mit ewig schwatzenden Weibern zur Verzweiflung getrieben“, schrieb Elfriede Lohse-Wächtler aus der Heilanstalt Arnsdorf 1933 an ihre Mutter.
1935, nach der Scheidung von Kurt Lohse, wurde Elfriede Lohse-Wächtler entmündigt. Es begann ein entwürdigender Prozess der Sterilisation, da sie dieser freiwillig nicht zustimmte. Als unheilbar geisteskrank diagnostiziert, wurde Elfriede Lohse-Wächtler kurz darauf zwangssterilisiert, brach seelisch und physisch endgültig zusammen und hörte auch zu malen auf. Einige frühere Werke von ihr wurden 1937 beschlagnahmt und vernichtet.
Ab 1939 bekam Elfriede Lohse-Wächtler nur noch die sogenannte „Sonderkost“, eine günstige, fleischfreie, kalorienarme Kost in Breiform, die arbeitsunfähigen Patienten zugewiesen wurde und kaum deren Hunger stillen konnte. Die Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler wurde 1940 zwangsdeportiert und landete in der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein. Dort wurde sie im Rahmen der nationalsozialistischen Massenmord Aktion T 4 - die sich an Behinderte richtete - ermordet. Offiziell verstarb sie an einer Lungenentzündung und Herzmuskelschwäche.
Elfriede Lohse-Wächtlers künstlerisches Werk verschwand mit ihrem Tod 1940. Heute hat sie ihren Platz im deutschen Expressionismus und in der Neuen Sachlichkeit zurückbekommen und zählt zu den bahnbrechenden Künstlern der Avantgarde zwischen den beiden Kriegen. Seit Ende der 1980er Jahre werden ihr immer wieder Ausstellungen gewidmet. Ihre kreativste Zeit war die in Hamburg zwischen 1927 und 1931.
Es gibt einen aussagekräftigen Dokumentar-Zweiteiler von Susanne Radelshof: LOST WOMEN ART.
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Christa Blenk - 2. Juli 2025 ID 15344
Wikipedia-Link zum Selbstportrait von Elfriede Lohse-Wächtler
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