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Feuilleton

"Ignoranz

ist eine

Tugend"
(?)


Auf der DOCUMENTA 14


Bewertung:    



"Ignoranz ist eine Tugend" - so wird es einem vor dem Fridericianum über Lautsprecher eingeflüstert. Und das zeigt auch gleich, wie viel sublimer Beeinflussung wir täglich ausgesetzt sind. Die Kunst macht darauf aufmerksam, und ist sie auch noch so intellektuell; immer wieder gibt es emotionale Stolpersteine - wie die ästhetisch geschnürten Bündel mit dem Hab und Gut flüchtender Menschen.

Die documenta 14 ist sozusagen ein Konglomerat von Sklaverei, politischer Manipulation, Folter, Massenhysterie, Verfolgung… eine nicht enden wollende Vergangenheit. Wir werden erinnert, das Vergessene und das Verdrängte zurückzuholen, die kulturelle Identität unterschiedlicher Völker zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen.

Es hat nichts Leichtes, diese Kunst zuzulassen, zeigt sie alles Böse und Schlechte der Welt. Da könnte gleich eine Kritik ansetzen. Doch auch das ist eine Sache der Perspektive. Vielleicht sind wir schon so abgestumpft, dass wir den Vorschlaghammer brauchen. Unangemessen wäre nur der moralische Zeigefinger. Ansonsten ist natürlich Selbstreflexion angesagt. Denn sind wir es nicht auch selbst, aus verschiedensten Gründen, die wir Rassismus, alles Fremde und genauso das Verbieten von Büchern zulassen?

Da hängt vergoldetes Bonbonpapier an der Wand, riesengroß und unerreichbar.

Nicht jeder aber hat ein zuckersüßes Leben. Andererseits ist auch nicht alles Gold, was glänzt! Also: Augen auf im Straßenverkehr.

Kunst ist unberechenbar. Kunst ist eine Erfahrung, Kunst fordert Neuorientierung.

Was da heißen will, es braucht mehr Wachsamkeit, mehr Eigeninitiative und Verantwortung. Wir könnten alle kritischer werden mit unserer Lebenssituation, nicht so selbstherrlich, wie wir es im Westen oft sind. Und anstatt in Vorwürfen und Schuldgefühlen zu enden, heißt es eben, aus der Vergangenheit zu lernen. Doch wie, wenn wir in der Schule nur die Jahreszahlen wichtiger Kriege auswendig lernen mussten?

Jetzt sind wir erwachsen, und es ist eine DOCUMENTA der Aufklärung, und deshalb keine einfache. Doch besser jetzt als nie.

Hier in Kassel sieht man, dass sich nichts ändert außer dass alles nur globaler wird und man sich dem nicht mehr entziehen kann. Wir alle spielen das Himmel-und-Hölle-Spiel. Hier auf dem Fußboden gezeichnet, wird es gespielt von Menschen ohne Kopf, den Koffer der Vertreibung in der Hand. Das Unheil ist schon längs passiert.



Real Nazis, Bildersammlung von dem Polen Piotr Uklanski | Foto (C) Liane-Kampeter


Merkst du noch was? Und wenn du ein Tableau gerahmter Fotos echter Nazis siehst? Verhörszenen einer Militärdiktatur? Oder bringt es der im Todeskampf zappelnde Fisch?

Weil der Fisch ist jenseits von intellektueller Wahrnehmung. Es tut einfach nur weh!

Oder sagen wir da: "Oh, it's so contemporary!" - Anspielung auf die Verstrickung von Kunst und Wirtschaft.

Der zeitgenössische Mensch ist die Kunst selbst. Er hat seine Vergangenheit weder bewältigt noch aufgearbeitet, er ist ein künstliches Produkt, vielfach in der Komfortzone. Mittels Installationen, Video, dokumentarischem Material und Malerei wird hier versucht, die Wirklichkeit aufzuzeigen. Es wird dick aufgetragen, und die Botschaft dürfte keinem entgehen. Für die feinfühligen Kunstgänger unter uns ist es allerdings oft zu pädagogisch, doch die Zeit drängt, nichts passiert hier mehr mit Slow Motion, Dead End ist erreicht. Spielen wir schon längst mit der Wohnlandschaft im Camouflage Look in Form eines Panzers. (Künstler ist Andreas Angelidakus). Dieses überdimensionale Objekt aus Schaumstoff passt allerdings in kein Wohnzimmer mehr. Dazu noch etwas NATO-Stacheldraht, und der dekorative Schutz ist perfekt. Schutz vor Müll, Umweltkatastrophen, vor Menschen, vor den Geistern, die wir doch selber riefen.



Picasso bei der documenta 14? Bildausschnitt Künstlerin Lorenza Böttner | Foto (C) Liane-Kampeter


Klar ist, heute muss man mit der Vergangenheit leben, und es ist eine schmerzhafte Lektion. Deshalb „Von Athen lernen“, denn dort versuchen Menschen etwas zu ändern, mit einfachen Mittel, sozusagen aus der Not eine Tugend zu machen. Also, nicht "Ignoranz ist eine Tugend." - sondern eine neue Menschlichkeit ist zu fordern, mit der wir unsere Zukunft gestalten. Wie sprach doch Charly Chaplin in seiner geschauspielerten Hitlerrede, hier in einer Videoinstallation (Theo Eshetu) mit Überblendungen antiker Köpfe zu sehen:

"More kindness than cleverness!"

Es braucht Poesie, Kunst, Tanz, es braucht Freiheit, die wir uns selbst nehmen müssen.

Und das Andersartige, wie durch Kunst, die man sich erst erobern muss, um sie zu verstehen. Es ist Zeit für das Verbindende, für Kreativität, für mehr Weiblichkeit, für Spiritualität ohne Kirche und Institutionen. Und es ist Zeit für neue junge Künstler.

Dem Kurator Adam Szymczyk ist es aber vor allem gelungen, dem üblichen Kunstzirkus entgegen zu wirken. Als Person bleibt er einem seltsam fremd und ist doch auch sehr sympathisch.

Wie steht oben am Fridericianum Giebel in goldenen Lettern geschrieben (Banu Cennetoglu): "Being save is scary."



Anstelle des gewohnten Schriftzugs "Museum Fridericianum" änderte der Künstler Banu Cennetoglu den Text in "Being safe is scary". | Foto (C) Liane-Kampeter


Genau, es ist beängstigend sich sicher zu fühlen, ein Couchpotatoe auf Rückzug zu sein und es auf Politik und Wirtschaft zu schieben, um daraufhin weiter dahin zu dämmern.

Bei dieser DOCUMENTA-Schau sieht man deshalb viel Gewalt, Zerstörung, Heldenkriege, Sex, PornoPerverses. Es ist eine öffentliche Masturbation und geht ziemlich aufs Gemüt.

Da hilft nur das selfie und die ehrliche Frage: Wer bin ich? Prompt folgt ein riesiges Kunstwerk aus Spiegeln. Da kann man schon mal das Smart-Phone zücken.

Wir sind der Mensch in der Identitätskrise, wollen aber Freiheit und können doch damit nicht umgehen. Wir ordnen uns lückenlos in die Ahnenreihe, ohne zu ahnen, was wir da eigentlich machen. Die DOCUMENTA ist gut, man muss nur bereit sein, sich den Albtraum der Menschheitsgeschichte reinzuziehen. Ein bisschen Humor wäre nicht schlecht gewesen anstatt weiterhin den Finger in die Wunde zu legen. Oder ist uns das Lachen im Halse stecken geblieben, als in einem Film die Bombe doch nicht explodierte? Wie schade. Das war dann nur der halbe Spaß! Ist es doch die Bombe in unseren Köpfen, denn der Mensch findet anscheinend Faszination an seiner eigenen Vernichtung.

Fazit: Betreten auf eigene Gefahr! The stage is our’s.


Liane Kampeter - 28. Juni 2017
ID 10112
Weitere Infos siehe auch: http://www.documenta14.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de



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