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Kultura-Spezial


Der Hauch und die Luft dazwischen
oder von der Anwesenheit des Nicht-Orts

zu Ton von Sabrina Hölzer, Liza Lim und Volker März uraufgeführt bei Maerzmusik 2008 in der Elisabethkirche Invalidenstrasse

Über das Utopische: Teil 1

Text: Gerald Pirner
Foto: Adel

Alles, was zu mir gehört, also vor allem meine Poesie, ist so etwas wie ein Mobile, eine wundervolle, von mir gleicherweise geliebte wie gehasste Unordnung, die sich ihr Gleichgewicht erhält, solang kein Zweiter eine Verlagerung der Schwerpunkte vornimmt. […] Immer noch war es dafür notwendig, die eigene Burg zu verlassen, um sich in einer neutralen Zone zwischen den beiden Zentren zu treffen, doch war dies nicht mehr irritierend, da die Begegnung in wohlbekanntem Terrain stattfand. (Friederike Mayröcker)

Drei Zeiten eines Ortes…
Geräusche auszüngelndes Selbst in begriffslosem Auswurf. Das klebt da dran und saugt Sich heraus. Schrittweise Vorsprünge herausgeplatzt. Vielleicht Gesims. Vielleicht Balkone. Verschluckt dann oder nach hinten gezogen. Im nächsten Schlag den Hörriss schon wieder übersprungen. An Fassaden vom Stock hochgetriebene Ansprünge nur kurz bevor von Motoren Bewegung und Höhe verschwemmt.

Das erste Mal war es Nacht. Man hatte ihn mitgenommen hatte ihn begleitet hatte ihn hergebracht und er hatte die begleitet mit denen er gekommen. Nacht, damals schon diese Undurchdringlichkeit wenn auch von Farbe noch gesprochen. Wo ein Lichtkegel zu sehen, hieß sie den ein blasses Rund aus ihr schneiden, das nichts beschien, unter dem nichts mehr ins Sichtbare getrieben. Später dann, als bildlos Farben von Farben gelöst, Hirnzustände ohne Optik, sollte allein Wärme noch von ihm bleiben. Licht nur noch wo es zu spüren zu hören zu tasten. Am Arm von einem gekommen. Am Arm von einem an den Platz geführt. Am Arm von einem ihm die Tür des Verschlages aufgestoßen wo er durch grünstichigen Gestank mit dem Bein nach dem Becken gesucht. Damals noch kein Stock und auch nicht geglaubt je einen zu brauchen. Das war ja nur nachts dachte er damals, nur nachts.




Ein Raum zu groß für die aufgestellten Stühle obschon das nicht wenige. Geruch von Holzbrand von Zigaretten. Schmierige Kälte um eine Scheibe Helligkeit von der Retinitis nichts mehr in den Raum ließ. Keine Gesichter nur noch Stimmen. Winter `89 wenige Tage nachdem Herrhausen mitsamt der „Fahrradfalle“ in die Luft geflogen. Einer antwortet ihm und wie er aus dem Westen, dass er das Wort Proletariat nicht mehr hören könne. Von denen aus dem Osten sagt keiner was dazu. Proletariat diffuse Masse, unberechenbare Artikulation nur schwer im festen Politjargon handhabbar. Stattdessen Moral in inhaltsklaren Kampagnen sich gegenseitig zugeschworen, mit Demotransparenten als bekennender Übereinkunft auf denen sonst nichts stand als „Uns nach!“. Dass wir der Gemeinde nicht mitbrächten weswegen sie sein solle und sie deshalb nicht bilden könnten, hatte dereinst einer gesagt, hatte von Sehnsucht gesprochen und davon, die phantastisch konstitutiven Wege zu hauen, das zu rufen was nicht ist, und uns ins Blaue hineinzubauen. Nein, am Unberechenbaren der Masse wollte sich keiner die Hände schmutzig machen. Ihr gegenüber war man Lehrmeister, sauberer Scheider zwischen Gut und Böse. Danach waren sie gegangen. Erst Jahre später sollte er wieder in die Invalidenstrasse kommen.

Eine Kirche von der nur noch der Bau übrig. Im gebrochenen Hall wie aufgerissen. Eisengestäng über Stahlbolzen. Betonverkrustete Schalbretter quer. Unter den Füßen Sand. Alles Sand. Er denkt an das Schlagzeugstück von Grisey zu dessen Aufführung zentnerweise Sand auf den Boden der Parochialkirche gekippt. Viel kälter aber hier und in Bewegung, sodass spürbar dass noch keine Fenster eingesetzt. Zischen geöffneter Dosen über Lautsprechersirren. Rascheln mitgebrachter Matten. Einige sitzen darauf andere auf Sand. Er komme später sagt einer und Sie dass es schon dunkel sei, und sagt dies in das gleißende Weiß seines Schauens. Den Arm ausgestreckt eiskalte Baugerüststangen in der Hand und die ziehen ihm sofort die Helle aus der blinden Sicht.




Tief die ersten Schläge und die Bauchhöhle aufgerissen – ockerfarbendicht. Breit brechende Klang- und Geräuschskalen monoton perkussiv hinaufgeschlagen. Gesteigertes Volumen das alles Volumen bricht. Zu- und Stillstand körperschmelzender Wucht. Schallwellen überschwemmte Haut. Bildlos weder Platz noch Orientierung mehr spürbar. Leibhaftiger Raumzerfall. Körperzerteilung materialweiß. In Muskeln Organe und Knochen gepresstes Gehör scheidet diese in Zonen verschiedenen Körpergespürs. Verhärtete Knochenstränge von vibrierenden Muskeln gelöst, die halten nur noch scheinbar etwas, was zunehmend von ihnen abfällt. Einige Bullen tauchen auf, die sehen was der Blinde nicht hört und steuern direkt auf die Lärmursache zu. Armgefuchtel vor Glenn Brancas Gesicht und Schluss. Die Uraufführung seiner Symphonie Nr. 14 wegen Ruhestörung zwangsbeendet.

Fünf Jahre später. Akustisch der Raum eingenommen vom Holz seines Bodens. Vom Portal her das hölzerne Kreuz in seiner Funktion als Fensterhalt zugleich anwesend wie fort. Auf Holz den Boden übergangen. Als solcher über Grund ausgelegt und dass man jetzt überall hinkomme. In jedem Schritt aber den Grund unter Dielen hervorgerufen. Hohle Resonanz und jetzt wo er verschwunden noch deutlicher im Raum als vormals unter Sand. Dicht, Gravitation ähnlich lässt das Holz den Raum in seinen Widerklang schrumpfen, lässt die Schritte nicht hoch zu ihm, als habe er selbst sich herabzubiegen um deren Geräusche zu fassen. Feste Steinplatten würfen diese hinauf und schöben den Raum nach oben zu etwas, das sie dort suchten. Über Holz vom Boden bei sich gehalten, formt der hörbar den Raum aus, den Steinbodenhärte in seinem Streben zum Licht nicht aufhielte. Erst das Knarzen der Stufen hoch zur Apsis lässt Bodengrund hinter dem verschwinden, womit er begangen.
Der Wand lang. Zu Steinen gebrannter Lehm oder Ton. Geruch von frisch geschnittenem Holz sich aus abstoßender Versiegelung der Bodenbretter hochziehend. Holzkuben vier an der Zahl und als Säulen den Raum in Geruch- und Geräuschzonen unterteilend. Klar gegliedert von ihnen her zu Hörendes. Geräusch und Ton fester Ort. Lose Ferne, Zerrissenheit und Schritte dazwischen, die in nachgehörten Strecken all dies verbinden. Vier Soloinstrumente auf den Säulen an den Kirchenwänden. Die Spieler unüberwindlich von einander getrennt. Im Ton nur scheinbar einander zugetragen. Verschichtungen ab und an ohne Gespräch ohne Nähe. Inmitten des Statischen die Eigenbewegung der Schwerkraft: scheinbar andauerndes Kreisen handgroßer Tonfiguren als Mobile um einander und überkopf. Skulpturen als Gestalt gewordene Ideen. Gedanken um organische Überwindung des Körpers um körperhafte Überwindung des Organischen, worin Menschen Tiere Dinge Geschlechter ihre vermeintlichen Attribute untereinander getauscht. März 2008. Elisabeth-Kirche Invalidenstrasse. Ton Gemeinschaftsarbeit der Komponistin Liza Lim, der Regisseurin Sabrina Hölzer und des Bildhauers Volker März öffnet unter Zeitbildern um Selbstreflektion und Zirkularität Räume im Raum, die allein in den Bewegungen der Wahrnehmenden zusammenfinden, um ereignishaft zustoßend im Gehörten, im berührend Berührten ganz körperhaft Ort zu verlieren.
Hält Utopie Zeit wie Richtung erfüllt bei sich so dass nichts mehr fort muss und nichts weiter, geraten letztlich Bestimmung Fassung Zuordnung Aufteilung von Körpern in Fluss, alle Geschichte in ihnen hereintretend und auf Einmal und ohne alle Linearität. In Ton geronnene Visionen davon greifbar und nichts als Ton was da zu hören zu tasten.




Hecheln staubigem Scharren Antwort und Atemstöße hinterher gespuckt. Werben blechern gegurrt wie durch ein Gefäß, Halt darin gewinnend dass es auch trifft. Verhalten hauchiges Pfeifen lockt hinter etwas, das es nur selbst. In Zischen Anderes zum Schweigen gebracht ohne dass das zu hören. Eingesogene Luft abgeschmeckt. Kompakter Auswurf in Ton probt wo er herkommt und ob ihn das noch trägt. Von vier Instrumenten vier Richtungen ausgespielt, einiges überkopf ihre Orte und die hält der Raum weit voneinander getrennt. Dass auf den Säulen vier BläserInnen in Körpergesten instrumentverstärkte Hauch- und Atemgeräusche einander zuwürfen, sagt Sie. Zu hören das Gesehene allerdings nicht. Eher scheinen die Instrumente sich der Mitteilung zu verweigern. Fast trotzig etwa die Flöte gegen ihre Spielerin. Dann Stille und alle Orte ausgewischt. Hölzerne Schritte nur noch – Ablagerung von Bewegung. Gemächlich von Gesehenem durch Bodenresonanzen geführt: kein Innehalten kein Warten auf einen Fortgang. Akustisches Gewebe inmitten bildlos verschwundener Orte. Anwesenheit zugefallen. Gegebenes launenhaft und auf Pump.

Den Schritt in eine Wölbung geschoben die bei sich lässt. An den Wandgeraden zu ihrer beiden Seiten flacher Geräuschschnitt als Draußen. Halbrund nachtastbar backsteingemauert. Vor ihm der eigene Atem und der kommt auf ihn zu, hineingemischt in Gehauch und tönernes Gestammel von hinten. Langsam in steinerne Schale sinkend. Geräuschemulsion die trägt und das Ohr findet keine Partikel mehr dran. Die Apsis vormals Hingabe des Bauwerks an den Aufgang der Sonne an die Epiphanie. Hinausgewölbt sich darbietend, in Sehnsucht Gefäß dem was sich gibt. Von etwas leicht berührt das sich lautlos genähert. Kühle auswüchsige Oberfläche beulenartig und unter der Hand in einer Bewegung, die Körperteile wie Arm Rumpf oder Bein nicht zu sich kommen lassen will. Dem Streifen der Finger ein Widerhall von innen. Zwiegespräch und so als wäre Wand nötig um durch sie von Anderem zu hören. Figur eines Kopfes von kleiner Hand an den Körper gepresst, der ihn umschmiegt und dessen Kopf mit dem überdimensionalen Gegenüber verbunden. An dem saugt er oder schleckt an ihm, übergibt sich an ihm oder speit ihn aus, bläst ihn auf oder saugt ihn aus und all dies aber auch umgekehrt denkbar: dass Kopf Körper und Hand hervorgebracht oder ausgespieen von dem was da gehalten, was da hält. Etwas sei zwischen beiden Köpfen, das halte sie zusammen sagt Sie. Rot sei es, vielleicht eine Zunge vielleicht aber auch etwas was aus dem Mund in den Kopf laufe oder aus dem ausgeschieden. Vorsichtig lässt er die Figur los und sie entzieht sich ihm wie von einer umgekehrten Schwerkraft gezogen nach oben. Er sucht dem nachzutasten. Tastet ins Leere.

Indem der getastete Gegenstandsausschnitt im Begriffsbehelf übergangen und weit hinaus darüber seine Gestalt wie sein Ort imaginiert, sammelt sich für den Blinden Raum am Markierten, passiert und in einem Moment. An jedem Gegenstand anders als Ort gefasst öffnet Raum sich nur vertikal, lässt Zeiten ein aus allen Richtungen und das „Weiter“ hält sich lediglich in Kalkül. Dergestalt Raum in Zeiten gestürzt bleibt blinder Ort flüchtig, wo kein Bild mehr vorgibt dass er Boden habe und der Raum seinen Ort. Muss dem Blinden aber etwas zustoßen um sich seinen Platz zu denken und den Raum gleich mit, stürzt die Berührung der Mobilefigur ihn endgültig ins Bodenlose, lässt ihn spüren dass er da immer schon ist und dass ein jeder Schritt provisorisch. Ungegründet der aufrechte Gang. Ungegründet der blinde Schritt. Mobile als Metapher bodenloser Bewegung. Unzählige Berührungsorte möglicher Weise und auf niemals fassbarer Bahn. Die einzige Örtlichkeit der blinde Körper selbst, dem kein Bild einen Ort gibt, der einzige Ort aller Bilder er damit selbst - bodenloses Ereignis zeichenverschwemmt. Zeit allein Gestalt der Berührung. Erfahrene Inschrift in Haut. Ortsausweis in Gedächtnis sinnlos. Keine Rückkehr kein Auffinden und doch nichts als das Selbe. Zeit in der Mehrzahl bei sich.




Eine Gestalt holt ihn heraus. Handgreiflich Form aus Hautbewegung. Körperteile zwischen Fingern: ein gestreckter Arm etwa, die Hand um eine Stange wie ein Trapez. Rundes oben gespalten, Mund Nase Wangen seitlich in der Hand. Tastet ins Klaffen und da kommt einer heraus – Kopfgeburt des Erwachsenen aus einem Kinderschädel. Instanz und Zukunft was er solle was er muss. Schrittverloren dann wo anders: flügelartig aufgeklappter Körper, verpuppte Fortpflanzung als Kugel im Bauch. Umgekehrt zusammengewachsene Rümpfe, asymmetrische Liebkosung die hält und noch da wo ein Kopf oben und der andere unten. Mensch-Tier-Wesen mit Gefäßen verwachsen, in ihnen steckend und doch nichts anderes denn ihr Teil: die Erfindung des Behälters als Voraussetzung eines Begriffs von Gedächtnis und von Zeit; Ursprung der Illusion von Fülle Fassen und Erfüllung; Ek-statisches Zeichenmaß der Hingabe des Gegebenen des Nehmens des Raubes wie des Empfangens.

In der Zahl als organisierendem Moment des Mobiles über Figurengewicht und dessen integrierendem Ausgleich in Justierung und Balance des Gestänges, erscheint ein unsichtbares Drittes als Wirkmacht hinter Figuren und deren Dualität, von welchem her allzu leicht Bilder kosmischer Harmonie und Gleichmaßes aber auch der Marionettenhaftigkeit jeglicher Gestalt. Als wollte eine jede seiner Figuren dieser Unterwerfung widersprechen, hängen die März´schen Unos an den Stangen wie lebendige Wesen, sich denen gleich mit Hand oder Händen haltend, Arme Beine Körper nach unten gestreckt – Entscheidung und Willentlichkeit zwischen Himmel und Erde, Bodenlosigkeit auf sich genommen. Scheint im Gleichgewicht des Mobiles Schwerkraft scheinbar zauberhaft aufgehoben, führen die Figuren von Ton Gravitation geradezu vor, sich dabei als Handelnde gebärdend, die in spielerischer Leichtigkeit über jene verfügen, ja sie überwinden. Funktionsprinzip des Mobiles ist die Verdoppelung ohne allerdings Doubles oder Schatten hervorzubringen. Allein die quantitative Eigenschaft des Gewichtes wirkt dabei entscheidend, die qualitativen Unterschiede in ihm aufgehoben. Nivellierung der Schwere als Empfänglichkeit als Öffnung hin zu jeder und noch der leichtesten Berührung. Zugleich auch ein weiches immer aber renitentes Bestreben nicht eingenommen zu werden: vom Anderen des Gegenübers des Berührten des Angehaltnen des Begriffenen des Herabgezogenen her, wirkt Schwerkraft der Figur als wollte sich diese entziehen, wollte zurückkehren in eine Unbestimmtheit von Ort und Bewegung, kreisend dabei nur in einer ideellen Bahn von der in jedem Moment immer abgewichen.




Die Tonfolge einer Flöte aus dem Nichts nach oben vor das sie einen akustischen Ort stellt. Ein Instrument im Selbstgespräch wie verstört von den eigenen Äußerungen. In Geräuschen Tönen widersprechend, sie zurücknehmend, sich distanzierend von ihnen. Solipsistisch die Spielerin verleugnend, widerborstig sich ihr widersetzt, störrisch Töne aus sich herausziehen lassend, andere erbettelt. Soloinstrument im wörtlichen Sinne. Sich zu erhalten gesucht dass es bekommt was dann bleibt und sich gegeben. Töne absackend als forderte das Instrument zu viel Kraft von der Luft. Schwankend sie ohne zu schwingen, zieht in Betracht sich zurückzuziehen. Selbstvergessen im nächsten Moment und auch darin nur Ton bis Melos abrupt in schrilles Gekreisch gesprungen und atemflussglatte Linie tierhaft verschreckt und im Pfiff nur sich selbst gewarnt. In eleganten Gesten schlank sich nach oben entwunden und erneut vom Gesang in den Schrei, erschreckt von den eigenen Phantomen. Aus wenigen Tönen Figuren gefunden mit denen gespielt bis – dickflüssig sie ineinander gezogen - wabblig das Instrument angebleckt dem sie jetzt gegenüber. Klagen Kichern bezugsverlorene Geräusche zwischen Ding Mensch und Tier, wo ein Selbst Welten herbeiruft und eine Unzahl von Kreaturen erscheint.

Der Flüchtigkeit des Tons einen Ort ohne von dem aus in Raum zu finden. Auf der Stelle zurückgezogen spielt letzteren nichts aus, nichts spricht mit ihm, nichts setzt sich mit ihm auseinander. Ort als Platz von Ereignissen deren erhörte Richtung sie im Eigenen folgenlos hält – unbekümmert rücksichtslos automanisch. Klanggeschehen an vier Säulen aus dem Raum geschnitten, Ton- und Geräuschschwellen sympathetischer Nähe und die ruft Organisches und Anorganisches gleichermaßen auf, beseelt vom selben Hauch Mensch Tier und Ding. So monologisch die Instrumente aber von sich sprechen, wird von ihnen wie nebenbei auch das Material erbracht, das, kaum in Äußerung hervorgetreten, selbsttätig Ton- und Geräuschraum im Raume webt, worin Flöte Klarinette Trompete und Posaune alle Singularität abgestreift und verwechselbar ineinander verschwommen ohne dass dies von ihnen bemerkt, so versunken in sich nach wie vor. Liza Lims Komposition: Stimmen des Unabsichtlichen, des ungerichteten Ausdrucks. Material als Abfall von Selbstreflektion, das solch Selbst immer wieder entindividualisiert, es mischt mit dem Anderen und anders nur dann das Selbe. In blinder Bewegung Orte hörbar aus ihrer Richtung verloren und ortlos wo Gehörtes nicht mehr zu identifizieren. In Bodenlosigkeit solcher Utopie der Sturz fühlbar. Der lässt nicht zu sich. Der reißt Welt auf, verschlingt ihre Belege.




Das getauschte Geschlecht und seine Verwahrung
Was berührt zugleich nicht erfasst: Frauenköpfe Männerköpfe Tierköpfe ineinanderübergehende Züge. Furchen - Doppel buchstäblich herbeizitiert. Zugesprochene Bilder halten auseinander was unter Haut vermischt. Affenkopf in Händen darunter die Brüste einer Frau. Weibliches Geschlecht ertastet, dessen Eigenschaften am Körper sich weigernd solches mit Bestimmtheit zu bedeuten. Eine Frau mit einem Männerkopf oder ein Mann mit Frauenkörper - dieselbe Figur Bestimmung zwischen Kopf und Körperteilen verloren; erst recht wo darunter noch Tierisches oder der Busen reliefartig von Männergesichtern überzogen. Im Tasten die Figuren in Worte zerfallend, überschüssig an Bildern in Ihrer Beschreibung und daran platzen sie auf.

An Geschlechter Statt eine Kugel oder alles Geschlecht aufgehoben in ihr – begehrenlose Fülle ungeschieden. Kugeln seien sie gewesen die ersten Menschen so der platonische Mythos des Aristophanes im Symposion. Kugeln und eine jede beiderlei Geschlechts und noch des Dritten als deren Mischung. Gestillt bei sich und aneinander Mann Frau und Hermaphrodit. Begehren Begierde Lust ganz ohne Draußen. Stärke keinen Dienst duldend. Frevel gegen die Gottheit schon dies und erst recht wo im Irdischen alles gefunden bei den Himmlischen aber nichts gesucht und nichts von denen verlangt. Lästerung gegen das Göttliche allein schon deren Existenz und so zerriss sie Zeus, hieß ihre Teile verstreuen, stieß sie hinaus in die Sehnsucht ins unstillbare Begehren in den Verzehr nach dem Anderen. Der Ort geschlechtlicher Erfüllung wurde zum Nicht-Ort. Abarbeitung des Verlustes im Bild. Objekte des Sexes errichtet vor Begehren und im so gezeichneten Anderen befriedigt Sich an Statt, die nichts desto weniger ortlos. Freilich hatte auch der Kugelmensch keinen Ort – war er doch dieser Ort selbst und das in einer Weise die ihn überall sein ließ, weil er nichts bedurfte außerhalb von sich als dem Einen dem Einzigen dem einzig hinreichenden Ort.




Erstarrt der Moment. Handlungen die von Dingen ausgehen. Körperteilen Verrichtungen kontextlose Klammer. Aus Berührung Gedächtnisstücke gestreift, die versetzen alle Erwartung. Bildlos schaut er nach vorn in das was sich zurückzieht. Im Handrücken geschirmter Zerfall und der plötzlich imaginär nicht mehr übergehbar. Handlich die Figuren in Lesbarkeit hingegeben. Von Fingern buchstäblich durchstammelter Ton, wo unter Haut zuvor Erkanntem der darauf folgende Griff widerspricht. Erst als der Erwartungsvorlauf gebrochen, überlassen sich der blinden Hand Mensch-Tier-Ding-Geschöpfe wie ertappte Metamorphosen in einem Zwischenraum erstarrt. Geschlechter handgreiflich getauscht vom Anderen her. Aufgenommen sie aufgehoben ausgemischt. „Ich war ja einst schon Knabe, Mädchen, Strauch, Vogel und aus dem Meere emportauchender stummer Fisch.“ Im Fragment des Empedokles – Hubert Fichte hatte es sich auf seinen Grabstein schreiben lassen – erscheint in wechselnder Gestalt als bloßes Mischverhältnis aus den vier Elementen alles Irdische, hervorkommend aus dem Unzerstörbaren Ewigen Einen, das für den Vorsokratiker eine Kugel. All die Verwandlungen und Wanderungen von Seele und Geschöpf weigern sich in den März´schen Unos die Wandlung zu verlassen, wo die Kugel selbst jetzt Teil der Bewegung und kein Prinzip mehr das nach Anfang oder Ende hin ordnet. Element unter Elementen fester Anzahl, unter ihnen erscheinend und die mit ihm: Kugelgeschlecht Kugelkopf mit Zylinder Kugelauswuchs am Rücken Kugeluterus Kugel als Handlungsausweis in der Hand…




Körpergefäß und in Gefäßen Körper beider Verwachsung noch in der Hand. Schalenöffnung: Gabe und flehentliche Bitte eins. Handlung gleich Haltung. Material im immer anderen, Vielfalt unerschöpft und ohne im Eigenen zu Identischem zu kommen. Organ als Ding Ding als Organ tierisch menschgewordener Zwiegeschlechter einander enthaltend, Teile von allen in jedem und einmalig zugleich. Absolute Scheidung und aufgehoben die in Gewicht und Elementen. Das Eine dem Anderen Gefäß und umgekehrt. Ausgrenzende Einverleibung nichts über sich hinaus und doch niemals anders denn überall. Blinde Bilder und zu tasten wie deren Erinnern funktioniert: zerbrochene Innschriften von Worten dürftig bedeckt, bis neuerlich sie aufgerufen und in anderen Gestalten voneinander gelöst, als denen in welchen sie zusammengefunden. Diskrete Binarität allein unter blinder Hand, die trennt noch was im Blick längst verschmolzen, sucht Herausgerissenes in Bestimmung mit Ganzem zu versöhnen, hält sich fest an Erkanntem wie Mensch Mann oder Frau. Im Ausschnitt die Hand gefasst und der Rest ist Dichtung. An den Ton-Figuren weiß sie das bald und bleibt bei sich. Zerbrochene Erwartung. Loses Tasten. Auf alles gefasst.




Scharf hochgestoßener Schrei der Trompete. Säuger oder Vogel unbestimmt. Drohgebärdiges Gekeif. Triumphgehabe primatenartig. Angriffslustig herausfordernd und doch nur allein und wie sich schulend an den eigenen Posen. Worte in die Posaune und von der ins Unverständliche verzogen. Verscheucht von einer Katze aus Blech der Ton und der verkriecht sich hinter dem Gaumen. Klischeehafte Tonfiguren der Trompete verstottert, Angriffsgeblase oder Jagdgeschmetter in Gegurgel ersäuft. Dennoch aber führen die vier Soli nichts auf geschweige denn vor. Selbstgespräche sind sie, im Gespräch aber nach solchem Selbst erst tastend. Erschreckt entflatternd etwa die Klarinette – in schrillem Pfiff zugleich der Schrei eines Kleinkinds ausgestoßen aus dem Schnabel eines Geiers, bevor das warnende Fahrzeug alles überrollt und sich gleich mit. Hauch weich umfangen von Ton der sich aus ihm speist um sich erneut zurückzuziehen in ihn: akustische Absage an den Raum, im Ort von ihm gelöst abgeschnitten. Hinter all diesem Geschehen aber nicht verschwunden eher wie unabhängig von ihm und aller Bewegung, erscheint der Raum in dieser Trennung als unbedingte Gegebenheit, inszeniert als immer schon gewesenes Gehäuse. Erst in der Installation, in welcher er mit der Aufnahme des Konzertes bespielt – zwei weitere Wochen an der Invalidenstraße zu hören – schwindet solche Illusion des Statischen und Ablösbaren des Raumes im Verschwimmen der Tonorte. Die Holzkuben jetzt mit Lautsprechern bestückt und die Instrumente von verschiedenen Seiten her zu hören, weisen für den Blinden keinen festen akustischen Ort mehr aus, der sich von anderen eingespielter Töne und Geräusche unterschiede. Solcherart Örtlichkeit nivelliert, öffnet sich das Spiel dem Raum und der fasst sich darin an seinen Wänden seinen Boden: Ton Laut Geräusche sein Teil. Im Konzert mit sich allein beschäftigt verlieren die Instrumente in der Lautsprecherwiedergabe ihre verschreckte Introvertiertheit und nichts in der Aufnahme sucht mehr nach Nichtgefundenem. Als Abschnitt der Konzertdauer die Zeit überwunden, kehrt sie in den Raum zurück, wird zu Bewegung in ihm, lässt ihn in jedem Schritt zu sich kommen und in jedem Schritt ganz anders.




Inmitten des Raumes stufenartige Podeste auf welchen zu den schwebenden Figuren hinaufzukommen und gerade so als erdete der Besucher den Raum zwischen Himmel und Welt. Bodenlosigkeit wie Utopos aus dem Stand im Bild festgestellt: in gewisser Weise Distanz aus der Nähe und der zeigt sich reflektiert die scheinbar freie und beliebig konstruierbare Mischung als einem Gesetz verhaftet, das kein Außen kennt und Schweben nur zulässt in seiner Unterwerfung. Dezent scheint Ton in der Gestalt des Mobiles und dessen beliebiger Austauschbarkeit von Formen unter festem Austauschäquivalent des Gewichts die vermeintliche Freiheit aktuell modischer Geschlechterperformances wiederzuspiegeln, die - und in Analogie zu seiner Schwerkraft längst von Verwertung und Markt durchdrungen - eher konsumierbar wirken muss denn befreiend oder gar befreit. Androgynie aus dem Warenhauskatalog als banalste Konsequenz die das Kapital aus der Konstruiertheit allen Geschlechts gezogen – fortgesetzt diese aber in Attitüden der Aversion und, wenn auch negativ, in ihnen erneut wertverspiegelt. Matrizes dabei aufgenommen als Ja oder Nein in Praktiken, denen entsprechend ausgerichtet an Exotismen und Extravaganzen im Kick. Verraten darin der Moment, das Aufeinmal, das weder Davor noch Danach kennt und doch nichts anderes denn exzessive Wiederholung…

Lautlose Bewegung ist vom Blinden nur wahrzunehmen wenn er sie unterbricht. Die Hand an der Figur wie an Schlackenresten einer Handlung. Kein Körperganzes hat die übrig gelassen. Niederschlag einzig dessen was getan. Zerrissen das Berührte in der Berührung. Kein Fortkommen im Tasten. Kein weiteres „Obskures Objekt der Begierde“. Berührung als Riss abgeschnitten von Erwartung. Unbedeutend kommt alles herein. Bildstücke nochmals und wie von hinten in sie geschaut, abgeschirmt vom Handrücken gegen die Zukunft. In der Stille bricht die ab und wartet richtungslos auf ein Ereignis, von dem aus sie für einen Moment denkbar. Wert aber findet hier nicht mehr Statt.

Vom Nicht-Ort zum Un-Ort. Mai 2008. Invalidenstrasse ein paar Ecken weiter. Eine Holzwand undurchdringlich zweieinhalb Meter hoch. Alle zehn Meter ein Scheinwerfer Bewegungsmelder Videokameras. Hinter der Hochsicherheitszone entsteht das neue Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes. Das ganze Gebäude auf einem künstlichen Hügel. Fensterlos die unteren Etagen. Streifen umrunden das Areal.





Text: Gerald Pirner
Foto: Adel - red / 2. Juni 2008

ID 3861

Weitere Infos siehe auch: http://www.zeitgenoessische-oper.de/TON/TON.htm





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