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Künstlerinnenporträts

GABRIELE

MÜNTER


und


ANITA RÉE



Zwei außergewöhnliche Künstlerinnen im Vergleich - Retrospektiven im Lenbachhaus München und in der Hamburger Kunsthalle


Bild auf dem Ausstellungsplakat vom Lenbachhaus: Gabriele Münter, Bildnis Marianne von Werefkin, 1909, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Bild darunter: Anita Rée, Selbstbildnis, 1930, Öl auf Leinwand, 66 x 60,8 cm © Hamburger Kunsthalle - bpk, Foto: Elke Walford


Frauen in der Kunst sind in Ausstellungen leider immer noch lange nicht so präsent wie ihre männlichen Künstlerkollegen. Das vergangene Jahr 2017 hatte diesbezüglich allerdings Einiges zu bieten. Berlin, Hamburg und München zeigten z.B. große Retrospektiven von Jeanne Mammen, Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter und Anita Rée. Vier Namen (wenn auch sicherlich nicht gleich jedem präsent), die in der Kunstgeschichte durchaus als durchgesetzt gelten dürften. Ist Paula Modersohn-Becker in Deutschland mittlerweile fast schon zur Ikone der weiblichen Kunst stilisiert und in diesem Jahr sogar mit einem Biopic bedacht worden, bedarf es zum Werk der Hamburger Künstlerin Anita Rée und selbst zu dem der Münchnerin Gabriele Münter - vorrangig bekannt als Mitstreiterin der Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" - sicher noch ein wenig Nachhilfe.

Die 1877 in Berlin geborene Gabriele Münter wurde bisher meist im Rahmen der im Münchner Lenbachhaus beheimateten Sammlung des "Blauen Reiters" ausgestellt, während Werke der 1885 in Hamburg geborenen Anita Rée immer mal wieder in kleinen Überblicksschauen der Hamburger Kunsthalle zur dort ansässigen Sammlung der Hamburgischen Sezession, deren Gründungsmitglied sie 1919 war, gezeigt wurden. Es fiele aber sicher schwer, die Vielfalt des Werks beider Künstlerinnen anhand dieser kleineren Auftritte umfänglich zu beschreiben. Nun sind Münter und Rée in jeweils recht umfangreichen Retrospektiven der beiden großen Ausstellungshäuser neu zu entdecken.

Was diese durchaus sehr verschiedenen Künstlerinnen eint, ist zunächst ihre gutbürgerliche Herkunft, die es ihnen schon früh ermöglichte, das erst ab 1919 für Frauen zugängliche Kunststudium bereits um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert bei privaten Lehrern zu absolvieren. Bei Gabriele Münter, Tochter einer aus Nordamerika zurückgekehrten deutschen Zahnarztfamilie, war das zunächst eine private Damenkunstschule in Düsseldorf, bevor die Familie 1901 nach München umzog und sie dort in der Damen-Akademie des Künstlerinnen-Vereins ihre Studien fortsetzen konnte. Anita Rée, Tochter eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns und seiner aus Venezuela stammenden Frau, nahm ab 1905 Malunterricht beim Hamburger Künstler Arthur Siebelist. Max Liebermann, dem sie bei einem Besuch in Berlin erste Werke zeigte, riet ihr weiterzumachen. Bei Münter dürfte es die Begegnung mit dem russischen Maler Wassily Kandinsky in dessen Münchner Malklasse gewesen sein, was sie in ihrem künstlerischen Drang bestärkte. Initialzündungen waren bei beiden angehenden Künstlerinnen aber mit Sicherheit diverse Reisen ins Ausland u.a. nach Paris und in verschiede Städte Italiens.

In beiden Ausstellungen ist in den frühen Werken der Künstlerinnen vor allem der Einfluss der französischen Impressionisten erkennbar. Sind es bei Münter die flüchtigen, mit pastösem Farbauftrag gemalten spätimpressionistischen Landschaftsbilder, so sind es bei Rée Portraits und Stillleben, die in ihrem Stil deutlich an Cézanne erinnern. Das sollte sich aber bei beiden Malerinnen recht schnell ändern. Wechselte Gabriele Münter mit der Gründung des "Blauen Reiters" zum Expressionismus mit seinen ausdrucksstarken Farbflächen, so wendet sich Anita Rée, die Expressionismus und Abstraktion eher weniger interessierten, dem Studium der italienischen Frührenaissance zu. In ihren Bildern, die sie bei längeren Aufenthalten in Positano an der italienischen Amalfiküste malte, greift sie in vielen Portraits von Einheimischen vor allem immer wieder das Madonnenthema auf. Die Hamburger Ausstellung zeigt hier wunderbare Frauen- und Kinderportraits aus den 1920er Jahren.



Gabriele Münter, Dame im Sessel schreibend, 1929,
Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München,
Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017


Auch die Gabriele-Münter-Schau im Münchner Kunstbau beginnt mit Portraits. Am Beginn steht das wohl zum bekanntesten Lenbachhaus-Postermotiv gewordene, farbenfrohe Bildnis der Künstlerkollegin Marianne von Werefkin. In der thematisch ausgerichteten Münchner Ausstellung kann man den künstlerischen Werdegang Münters vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit und wieder zurück zu naiveren Bildern schon anhand der Portraits gut erkennen. Einfach und „ohne Umschweife“ bezeichnet sie ihre Herangehensweise. Den kräftigen Ausdruck der Gemälde, die hier meist motivisch nach Landschaften, Bildern arbeitender Menschen, Stillleben und Interieurs angeordnet sind, erzielt die Künstlerin vor allem durch die Farbe. Das hat den Bildern mit ihren flüchtig hingemalten, zumeist bäuerlichen Sujets auch den Vorwurf naiver Kunst eingetragen.

Nach dem Ende der Künstlergemeinschaft "Der Blaue Reiter" und spätestens mit dem Aufkommen der Neuen Sachlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg bekam Münters Werk einen zweiten Aufschwung, oder, wie sie es bezeichnete, „eine neue Sichtweise“. Es entstanden wieder wunderbare Portraits wie Die Sinnende II, Dame im Sessel, schreibend oder Bildnis einer Künstlerin (Margret Cohen). Besonders hier ist eine gewisse Ähnlichkeit zum Werk Anita Rées, die zur gleichen Zeit als Porträtistin der Hamburger Gesellschaft reüssierte, zu beobachten. Die Kunsthalle zeigt Bildnisse des befreundeten Kunstkritikers Carl Einstein, von Otto und Gustav Pauli sowie mehrere großformatige Frauenportraits.



Anita Rée, Paar (Zwei römische Köpfe), 1922–1925, Öl auf Leinwand, 51 x 45,5 cm, Privatbesitz USA, Foto: Christoph Irrgang


Während sich Gabriele Münter als „Plein-air-Malerin“ bezeichnete, sind die Landschaften in den Bildern von Anita Rée immer auch fremdländische Sehnsuchtsorte, die sie nach Eindrücken ihrer vielen Reisen malte. Anfang der 1930er Jahre entstanden Bilder mit Fabeltieren und ein mit Affen bemalter Bauernschrank. Auch Münter befasste sich mit Bauernkunst, Kinderbildern und dem sogenannten Primitivismus als Quelle der freien, ursprünglichen Kreativität. Motive finden die Malerinnen bei volkstümlichen Maskenfesten, den Anfang des 20. Jahrhunderts stattfindenden Völkerschauen oder in den Völkerkundemuseen Hamburgs und Berlins. Im Gemälde Blauer Dämon portraitiert Münter die Statue einer hinduistischen Gottheit, die noch heute im Ethnologischen Museum Berlin zu sehen ist. Interessant auch die Sammlung früher Fotografien einer Reise Gabriele Münters, die sie 1899-1900 mit ihrer Schwester zu Verwandten in den Süden der USA unternimmt.

Selbstbildnisse gibt es von Gabriele Münter nur wenige. Eins zeigt sie 1909 in hellen Farben mit Blumen am Hut. Wesentlich nachdenklicher präsentiert sich Anita Rée in ihren zahlreichen Selbstportraits. In einem letzten 1930 malte sie sich sinnend im Halbakt, eine Hand an der Wange. Da stand die Malerin eigentlich im Zenit ihrer Karriere. Zwei öffentliche Aufträge für Wandbilder in Hamburger Schulen hatte sie erhalten. Vorarbeiten und Fotos sind in der Ausstellung zu sehen. Der Auftrag für die Gestaltung des Altars der neuen Ansgarkirche in Hamburg-Langenhorn wurde in Folge der Einflussnahme der erstarkenden Nationalsozialisten zurückgezogen. Die eigentlich bis dahin allgemein anerkannte Künstlerin geriet daraufhin in eine persönliche Krise. 1932 reiste Anita Rée zusehends deprimiert und einsam nach Sylt. Die dort entstanden, in gedeckten Farben gehaltenen Aquarelle von Dünen, Leuchttürmen und Tieren sind im letzten Raum ausgestellt. Kontakt hatte die Künstlerin nur zur Freundin Lotte Burk, die sie mehrfach malt. Am 12. Dezember 1933 nimmt sich Anita Rée auf Sylt das Leben. Die sehr gelungene Retrospektive entreißt sie nun dem Vergessen.

Die Münchner Ausstellung beschäftigt sich nicht weiter mit der Zeit des Nationalsozialismus. Recht unbekümmert erscheinen die 1935 gemalten Bilder der Baustelle der Olympiaanlagen in Garmisch. Nach einem Ausstellungsverbot zog sich Gabriele Münter ins Privatleben zurück. Nach dem Krieg malte sie bis zu ihrem Tod 1962 weiter. Münter kehrte dabei teilweise wieder zur Phase der expressionistischen Malweise zurück. Auch den Weg zur Abstraktion versuchte sie ähnlich wie Wassily Kandinsky. In der Ausstellung sind einige Studien, Interieurs und Stillleben vertreten, die aber nur in zwei Fällen den Grad abstrakter Auflösung in geometrische Formen wie bei Kandinsky erreichen. Natürlich ist Münters zeitweiliger Lebensgefährte nicht aus ihrer Kunst wegzudenken. Er taucht dann immer wieder in Bildern von Münters Haus in Murnau auf, wo die Künstlerin ihre Sammlung expressionistischer Gemälde der Künstlergruppe "Der Blauen Reiter" vor dem Zugriff der Nationalsozialisten bewahren konnte. Nun ist sie Grundstock der Sammlung im Lenbachhaus, aber wie die Retrospektive nun zeigt, nur eine von vielen Facetten der Künstlerin.

Stefan Bock - 9. Januar 2018
ID 10460
Gabriele Münter. Malen ohne umschweife
31. Oktober 2017 - 8. April 2018
Kunstbau München in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus
Luisenstraße 33
80333 München
U-Bahnhof Königsplatz
Zwischengeschoss
http://www.lenbachhaus.de

Bewertung:    



Anita Rée - Retrospektive
06. Oktober 2017 - 04. Februar 2018
Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall 5
20095 Hamburg
http://www.hamburger-kunsthalle.de

Bewertung:    


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