Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 4

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Ausstellung

Alles in Frage stellen

Halil Altindere im Kunstpalais Erlangen


Who the f*ck is Halil Altindere? im Kunstpalais Erlangen - Ausstellungsansicht Tag Self-Potrait (2011) | Foto: Erich Malter

Bewertung:    



Who the f*ck is Halil Altindere? Diese Frage stellt die gleichnamige Ausstellung im Erlanger Kunstpalais den Besuchern, und sie ist zugleich auch Programm. Der Künstler Halil Altindere soll vorgestellt werden und ebenso sein Werk, das immer wieder um Fragen der Identität kreist. Bei dieser Schau - auch das impliziert der provokative Titel - geht es generell um das Infragestellen und um das Hinterfragen. Und darum, dass man genau hinsehen muss, wenn man Antworten will.



Ausstellungsansicht Untergeschoss | Foto: Erich Malter


Halil Altindere wurde 1971 als Sohn kurdischer Eltern in der Türkei geboren. Dort lebt und arbeitete er in Istanbul, einer Stadt, die ihn immer wieder aufs Neue inspiriert. Er ist Künstler und Kurator und war Herausgeber eines eigenen Kunst-Magazins. 2015 ist er Mitglied der Internationalen Kurzfilmjury im Rahmen der Filmfestspiele in Berlin. So viel also zu einigen Eckdaten seines Lebens – die Frage, wer er ist, lässt sich damit aber nicht beantworten. Altindere (das zeigt die Ausstellung im Kunstpalais) ist jemand, der mit Konzepten, mit Ideen, mit Stilen, mit Klischees und mit Identität spielt und sich nicht festlegen lässt. Man kann auch sagen, dass er sich nicht vereinnahmen lassen will. Er setzt sich intensiv mit Politik, mit Geschichte, mit der Gesellschaft und der Kunst auseinander und nimmt dabei besonders sein Heimatland und dessen Widersprüchlichkeit zwischen Tradition und Moderne ins Visier. Dementsprechend vielfältig und vielschichtig, aber auch multimedial, ist daher die Schau in Erlangen. Es sind Fotografien, Videos, Skulpturen und Objekte des zeitgenössischen türkischen Künstlers zu sehen, und es gelingt so einen Überblick über Halil Altinderes Schaffen zu geben.

Die gezeigten Werke laden den Besucher teilweise zur aktiven Interaktion ein, und erst wenn man mitmacht, offenbaren sie sich oder zeigen ihr anderes Gesicht. Der erste Blick kann täuschen, und man wird aufgefordert, hinter der Fassade des Offensichtlichen etwas völlig Anderes zu erkennen. Es geht hier nicht um Kunst um der Kunst willen, sondern um Kunst, die zum Nachdenken anregt. Einfach nur Anschauen ist in dieser Ausstellung eigentlich nicht möglich. Die Frage, WER Halil Altindere ist, muss daher umformuliert werden und lauten: WORUM geht es Halil Altindere überhaupt? Das Fragen an sich ist der rote Faden dieser Schau und vielleicht sogar des Künstlerlebens. Weil die Ausstellung mehr Fragen aufwirft als sie Antworten gibt, hat das Kunstpalais eine Broschüre mit hilfreichen Hintergrundinformationen zu Altinderes Werken ausgelegt. Reinschauen lohnt sich!



Ausstellungsansicht Art is only a question of desire and signature (2012) | Foto: Erich Malter


Mit Ironie, tiefsinnigem Humor und dem Mut zur Provokation setzt sich Halil Altindere beispielsweise mit dem Bild des Künstlers, mit der Kunstgeschichte und mit dem Kunstmarkt auseinander. Dass er den Kunstmarkt, wo es hauptsächlich um Geld, Erfolg und Prestige geht, eigentlich nur wenig abgewinnen kann – obwohl er doch selbst ein Rädchen in dessen Getriebe ist – verdeutlich sein Werk Art is only a question of desire and signature. Zu sehen ist hier das überdimensional vergrößerte Foto eines Schecks, den Altindere von einem Sammler für eine Auftragsarbeit bekam. Als diese Arbeit überreichte Altindere dem Sammler eben jenes Foto des eigenen Schecks. Der Künstler hatte den Scheck vor dem Vergrößern signiert und eingelöst – auch als Freigeist muss man schließlich von etwas leben. Altindere thematisiert hier die gegenseitige Abhängigkeit von Künstler, Sammler und dem Kunstmarkt. Künstlerische Autonomie ist eben nur bedingt möglich - und ebenso hält es sich mit Rebellion und totaler Loslösung.

Dass sich in diesem Zusammenhang Fragen der eigenen Identität auftun, wird auch deutlich. Gerade in einem Land wie der Türkei sind Fragen bezüglich Autonomie und Rebellion natürlich nicht leicht zu beantworten, noch sind sie überhaupt erwünscht. Altinderes Werk Dance with Taboos (ID), das seinen türkischen Ausweis mit einem manipulierten Foto zeigt, auf dem er die Hände vor das Gesicht hält, kündet von seiner Kritik an einer kollektiven, vom Staat verordneten, Identität als Türke. Immerhin hat er kurdische Wurzeln, die er auch nicht verleugnen will. Altindere bezieht politische Stellung, er analysiert scharf; und er sei sich, wie er sagt, durchaus bewusst, dass er deswegen in der Türkei unter der Beobachtung von Politik und Behörden stehe.



Ausstellungsansicht Emma Goldman Series (2010) | Foto: Erich Malter


Halil Altindere setzt sich nicht nur mit seiner eigenen Rolle und Identität als Künstler, Mann und Türke auseinander, sondern auch generell mit Geschlechterrollen und –stereotypen, vor allem, aber nicht nur, in seinem Heimatland. In Erinnerung bleiben dem Besucher die drei Porträtfotografien im bunkerartigen Untergeschoss des Kunstpalais. Sie zeigen Frauen, die als Männer geboren wurden; und machen so auf die Transgender-Problematik in der Türkei aufmerksam. Alle drei Frauen sind extrem weiblich und sexy, ihre Blicke sind herausfordernd und offen. Sie wollen, dass man sie betrachtet und dass man sie sieht, sie wahrnimmt. Auch hier ist ein erster Blick also nicht genug, man muss wieder das Offensichtliche hinterfragen. Es scheint, als hätten sie den Kampf gegen Vorurteile aufgenommen. Dazu passen auch die drei zarten Goldkettchen, die sich in einer Vitrine im selben Raum mit den Porträts befinden. In femininer geschwungener Schrift zeigen sie Zitate der amerikanischen Feministin Emma Goldman. „Women need not always keep their mouths shut and their wombs open“, lautet beispielsweise eines dieser Zitate. Diese Aussage ist deutlich und doch: Altindere bringt starken Feminismus mit der goldenen Halskette als Symbol der Weiblichkeit zum Ausdruck und spielt mit Hilfe dieses scheinbaren Widerspruchs zugleich darauf an, wie Frauen weltweit noch an die Kette gelegt werden. Hier wird besonders die Vielschichtigkeit der Werke Halil Altinderes bewusst und auf wie vielen Ebenen sie sich bewegen.

Die Ausstellung im Erlanger Kunstpalais zeigt zudem mehrere Videoarbeiten des Künstlers. So auch sein jüngstes Werk Angels of Hell, das hier erstmals in Deutschland zu sehen ist. Auf dem ersten Blick eine Art Action-Film, doch natürlich muss man auch in diesem Fall wieder genauer hinschauen und hinterfragen. Dann erst werden auch die politischen Bezüge deutlicher. Nichts, so meint man, ist bei Altindere wie es auf den ersten Blick scheint. Also, noch Fragen?


Jessica Koch - 27. Januar 2015
ID 8393
Who the f*ck is Halil Altindere? ist noch bis zum 22.März 2015 zu sehen...

Kunstpalais Erlangen
Marktplatz 1
91054 Erlangen


Weitere Infos siehe auch: http://www.kunstpalais.de


Post an Dr. Jessica Koch

http://www.culture-enroute.de



  Anzeigen:




KUNST Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUSSTELLUNGEN

BIENNALEN | KUNSTMESSEN

INTERVIEWS

KULTURSPAZIERGANG

MUSEEN IM CHECK

PORTRÄTS

WERKBETRACHTUNGEN
von Christa Blenk



Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)