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Ausstellung

Wie ein Picasso

oder ein Matisse

oder doch lieber

Mickey Mouse?



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Das Museum Berggrün präsentiert sich gerade ein wenig anders. Zwischen all die Meisterwerke der Moderne, die der Sammler Heinz Berggrün (1914-2007) in seinem langen Leben zusammentragen konnte, hat sich nun ein bei uns relativ unbekannter Künstler, der Amerikaner George Condo (geb. 1957), eingeschlichen.

Es ist das erste Mal, dass im Museum Berggrün ein zeitgenössischer Künstler ausgestellt wird, wobei Condo nur deshalb zeitgenössisch genannt wird, weil er zurzeit arbeitet. Seine Arbeiten sind ansonsten dem Neo-Expressionismus zuzurechnen, sie sind manchmal von der Pop Art dominiert, dann wieder zeigen sie Comic-Aspekte. George Condo ist der Meinung, dass in der Kunst alles gesagt und gemalt wurde und man nichts mehr erfinden kann oder muss - aber dass alles neu interpretiert werden darf und soll. Nun ja, das ist seine Meinung. Jetzt hängt er zwischen all den Größen der Moderne, und man fragt sich, ob er dessen würdig ist und ob er sich damit einen Gefallen tut.

An Ego scheint es ihm jedoch nicht zu fehlen, in einem Saal stehen zwei in 2016 für die Ausstellung entstandene Bronze-Skulpturen, Nude on Wine Crates 1 und 2, im Hintergrund ein Bild ("Condo"), das den Titel The Great Schizoid (1984) trägt. Rechts oben, erhöht, zart und elegant, Giacomettis Katze. Hiermit konfrontiert er sich auch mit sich selber!



Im Giacometti-Saal vom Museum Berggruen: George Condo, Nude on Wine Crates 1 und 2 | Foto (C) Christa Blenk

*

Auf unserem gewöhnungsbedürftigen aber doch lustigen Spaziergang kommen wir zu Matisse. 1940 fing dieser mit seinen Scherenschnitten an (Découpages), Arbeiten aus koloriertem Papier, die er wieder zu abstrakten Formationen zusammenfügte. Condo zitiert ihn hier mit seiner Arbeit aus 1989, Telepoche Cut-Out, und es braucht nur eine Sekunde, um es als Matisse-Hommage zu erkennen. Condo, der in den 80er Jahren in Paris lebte, referiert hier über die Fernsehzeitschrift Télépoche und natürlich über die US-Pop-Künstler sowie Andy Warhol.



Condo, Bird Lady (1992) und (rechts) Matisse, Die bestickte grüne Bluse (1936) | Foto (C) Christa Blenk


Anschließend werden die Besucher mit einer Klee-Inflation und mit Condo konfrontiert. Paul Klee hat viele schöne und aussagekräftige Bilder gemalt, aber auch viele, die langweilig oder nichtssagend sind; wahrscheinlich hat er einfach zu viel gemalt. Die meisten sind sehr kleinformatig und verlangen eine große physische Annäherung, die immer gleich den Alarm auslöst und deshalb nicht stattfinden kann. Hier fühlt Condo sich groß. Während er bei Matisse oder Cezanne oft schüchtern dazwischen hängt, dominiert er die Klee-Säle durch großformatige Arbeiten. Ein Klee-Lieblingsmotiv ist der Vogel. Für Klee symbolisierten Vögel und Fische "die Annäherung an Kosmos und Unendlichkeit". Condo hat hier aus dem Vollen geschöpft. Fantasy Bird (1989) ist ein Riesenvogel, und mit ihm klatscht er sozusagen die anderen Klees an die Wand. Paul Klees versteckte gerne Buchstaben in seinen Bildern, die den Titel des Bildes beschreiben sollten. Condo macht seinen Namen zum Bildhauptgegenstand, wie man im ersten Giacometti-Saal sehen konnte.

Bis hierher war es ganz okay.

Was aber gar nicht geht, ist das "Zusammenleben" mit Picasso, und zwar mit den Picasso-Werken seiner Glanzzeit von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg - Picasso und die Blaue oder Rosa Periode, seine Frauenportraits von Dora, der Beginn des Kubismus oder seine Auseinandersetzung mit dem Theater. Neben Picasso wirkt Condo da nur noch tollpatschig (was er ja auch will). Picasso war 1973 verstorben; Condo, der 1979 vom Hinterland nach New York zog, hat im MoMA seine erste Picasso-Ausstellung gesehen und war sicher von der Vielfältigkeit tief beeindruckt. Er lässt in seine Werke die gesamte Kunstgeschichte eintreten. Seine Figure with Red Cape entstand 2006 und ist v.a. eine Referenz an einen anderen Spanier. Er zitiert hier den Barockmaler Velazquez, vor dem Picasso sich ebenfalls desöfteren verbeugte (ohne dies natürlich zuzugeben), gibt ihm aber die Nase eines Clowns mit einem Otto-Dix-Blick. Velazquez stand auch Pate bei George Condos Study for a Clown aus 2009.



Condo, Figure with Red Cape – rechts daneben: Picasso, Stillleben mit blauer Gitarre | Foto (C) Christa Blenk


Jetzt kann man natürlich sagen, dass Condo genau das suchte, was Picasso 1907 wollte. Eine Erneuerung des Vorhandenen, der Figuration! 1907 gab es einen Riesenskandal, als Picasso seine Demoiselles d'Avignon präsentierte und dabei für die damalige Ästhetik unschön gemalte afrikanische Masken aus dem Jeu de Paume als Gesichter malte. Es war der Beginn einer neuen Ära. Das kann man bei George Condo nicht erkennen. Er macht es sich doch leicht, alles was schon mal war, zu re-interpretieren, Manches zu verplumpen, um den Betrachter zum Schmunzeln zu bringen – was bisweilen durchaus funktioniert. Eine Verbeugung vor den Meistern ist es trotzdem und deshalb sehenswert, zumal sich das Ausstellungskarussell in Berlin derzeit recht langsam dreht.

Picasso tritt übrigens nicht das erste Mal mit anderen Künstlern in einen Dialog. 2008 hat der Pariser Louvre Delacroix, Velazquez und Manet Picasso gegenübergestellt, und es hat prächtig funktioniert. Allerdings sind diese vier hier Genannten künstlerisch gesehen eher auf demselben Niveau.

* *

Condo ist nur teilweise ein verspäteter Neo-Expressionist. Bei ihm fließen auch noch Pop-Tendenzen, Film, Kino oder Comic-Figuren ein. Manche Bilder könnte man sogar der Art Brut zurechnen. Ähnlich wie bei seinem Vorbild Picasso ist die menschliche Figur der Hauptprotagonist.

In den 80er Jahren verbrachte Condo ein Jahr in Köln, das zu dieser Zeit der Dreh- und Angelpunkt für Kunst in Deutschland war. Die mitunter fratzenhaften Motive seiner Bilder zeigen zweifelsohne Einflüsse des Karneval, den er dort (in Köln) sicher erlebt hat. Anschließend ging er nach Paris, wo er 10 Jahre lebte und sich voll in die Klassische Moderne stürzte. Auch wenn Paris in den 80er Jahren nicht mehr das Zentrum der Kunst war - die Erbstücke aus seiner Glanzzeit hängen immer noch dort, und man kommt an der Moderne nicht vorbei. Ensors Karnevalsmasken oder gruselige und schonungslose Bilder von Chaim Soutine; Condo hat sie alle gesehen, natürlich.

Wenn man die Ausstellung verlässt, bleibt nicht wirklich ein bleibender Eindruck von Condos Werken zurück; was allerdings bleibt, ist der wunderbare Picasso Harlequin Sitting on a Red Couch aus der Rosa-Periode, das hervorragende Portrait von Dora mit den grünen Fingernägeln, Mme Cézanne oder die zarte Giacometti-Katze.

Wie hätte wohl Heinz Berggrün dazu gestanden? Er selber sagte ja von sich, den absoluten Blick gehabt zu haben! – Wir glauben ihm das, wenn wir durch seine Sammlung spazieren.


Christa Blenk - 23. Januar 2017
ID 9800
Heinz Berggrün musste 1936 wegen seiner jüdischen Abstammung Deutschland verlassen und ging in die USA. Im Krieg kam er als US-Soldat nach Europa, arbeitete danach kurz bei einer Münchner Kunstzeitschrift, bis er sich Ende der 40er Jahre in Paris niederließ, um bei der UNESCO zu arbeiten. In der Pariser Rue de l’Univeristé gründete er eine Galerie und damit das Standbein seiner Sammlung. Picasso, Matisse, Klee, Cezanne, Chagall oder Miró - unfassbar, was er Alles zusammen getragen hat. Erst in den 90er Jahren kehrte er nach Berlin zurück und verkaufte der Stadt Berlin, als Geste der Versöhnung, diese bemerkenswerte Sammlung, bestehend aus 200 Kunstwerken der Klassischen Moderne. Die meisten Arbeiten von George Condo sind aus seiner eigenen Sammlung und werden zum ersten Mal gezeigt.

Die Ausstellung George Condo. Confrontation ist noch bis zum 12. März 2017 im Museum Berggruen zu sehen. Udo Kittelmann und Felicia Rappe haben die mutige Schau kuratiert. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat übrigens eine Erzählung, inspiriert durch Condos Kunst, herausgegeben.


Weitere Infos siehe auch: http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/museum-berggruen/ausstellungen/detail/george-condo-confrontation.html


Post an Christa Blenk

eborja.unblog.fr



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