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nachDRUCK # 4

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Hamburger Kunsthalle

Das

Hausfrauen-

und

Bügeltrauma


Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien


Cindy Sherman (*1954), Untitled #443 (Bus Riders II), 1976/2005 © Cindy Sherman, New York; Courtesy: Metro Pictures, New York/SAMMLUNG VERBUND, Wien

Bewertung:    



„Wie ein Mann“ sein wollen, ist das schon Emanzipation? Oft verkleiden und verwandeln sich die hier vorgestellten Künstlerinnen aus der Zeit der 70er Jahre in Männer, legen Bärte an, rauchen…

Doch irgendwie muss der alte Bart ab, traditionelle Denkweisen, verankert in einer von Männern dominierten Welt, es sollte das wirklich Weibliche und das Eigene gefunden werden.

Damals in der Suche nach Identität beschäftigte frau (in der Zeit waren wir angehalten „frau“ anstatt „man“ zu sagen) sich mit dem Rollenverhalten althergebrachter Schönheitsideale, und frau war gegen Perfektionismus, sie wollte lieber Schwarz-Weiß-Fotos (in der eigenen Dunkelkammer entwickelt), kleine Formate, einen eigenen experimentellen, unmittelbaren Zugang. Der eigene Körper wurde Material der Kunst, und das Private wurde politisch.

Zudem war Kunst nicht mehr nur das Malen, besonders Frauen entdeckten für sich das schnelle Medium der Fotografie und Videokunst. Oft war ihre Strategie der Humor.

* * *

„Humor ist wenn man trotzdem lacht“, sich die Fesseln abstreift, den eigenen Köper spürt. Nach dem Motto „ich bin die Torte“ gibt es die Fotoserie einer Braut. Man sieht eine Frau in Verkleidung einer Torte mit offenen Sehschlitz wie der Hosenschlitz von Männern oder der Schlitz einer Piepshow. Offensiv wird die Schambehaarung der Frau gezeigt, mal mit Rose oder einem betrachtenden Auge, mal geschmückt mit einem Mauerblümchen. Künstlerin ist Penny Slinger, sie macht Kunst mit Doppeldeutigkeit und viel Humor.



Penny Slinger (*1947), Wedding Invitation – 2 (Art is Just a Piece of Cake), 1973; S/W-Photografie © Penny Slinger / Courtesy of the Artist and Broadway 1602, New York / SAMMLUNG VERBUND, Wien


Zeitgleich und international arbeiten die Künstlerinnen mit dem Thema Innen und Aussen, über Gefangenschaft, Enge, körperlichen Schnürungen - frau will sich spüren. Das führt zu Gewalt gegen den eigenen Körper, dem Ritzen, Modulationen. Man denkt an Marina Abramovic. Doch die Schlachter-Bilder der französischen Body-Art- und Performance-Künstlerin ORLAN (geboren 1947) sind viel authentischer, und diese Frau ist sehr nahbar.

Lebensgroße Fotoabzüge ihres Körpers, ausgeschnitten die Beine, Arme und Po, an den Nagel gehängt und auf dem Markt zum Kauf angeboten. Ein Statement!

Der weibliche Körper von damals war also Objekt der Begierde, und der Mann ein Busen-Grapscher. Die Frau konnte nach Belieben genommen und geteilt werden. Frau war nicht mehr das eigene Selbst, sondern ein Allgemeines. Es ist heute noch so.

Wie kommt es dazu? Haben Männer Angst die Macht zu verlieren?

Haben Frauen Angst nicht mehr geliebt zu werden?

In der Psyche der Frau liegt vielleicht eine unbewusste Spaltung, sich selbst gleichzeitig als Subjekt und als Objekt wahrnehmend. Wir fragen uns selbst, sollen wir nun in Latzhose Stärke demonstrieren oder uns mit Stöckelschuhen und Nagellack zu unserer Weiblichkeit bekennen? Frauen sind stark emotional und gleichzeitig immer bedacht, wie sie nach Außen hin wirken. Es ist ein Verbergen und Auffallen zugleich. Ein Leben zwischen Heiliger und Hure, zwischen Moral und Genuss. Oben Hui, unten Pfui.

Aber in einer Welt, wo die Frauen weniger verdienen, wird letztendlich der Körper zu Kapital. Damals hieß es: „Sich durch die Betten hoch schlafen.“ Gut aussehen ist also sehr wichtig.

Für sich selbst verlangt ORLAN das Recht zur Veränderung ihres Körpers, nicht nach dem Motto „Art must be beautifull“, sondern sie will das standarisierte Ideal der Frau (wie jung, schön und schlank) durchbrechen. Ihre ganz persönlichen Themen sind „Narcissismus is important“ - doch hinter einer narzisstischen Selbstspiegelung lauert die Geltungssucht, der ewige Traum gesehen zu werden als das, was man ist. Doch wer ist man/frau? Deshalb vielleicht ist ihr anderes Thema: „Giving birth to herself.“ Man kann es körperlich erfahren oder auch seelisch bzw. psychisch betrachten. Es geht ihr um Selbstverwirklichung.

„Ich will bis in die Tiefe der Eingeweide sehen.“ (ORLAN)



ORLAN (* 1947), Wirf Geld in den Schlitz. - Foto (C) Liane Kampeter


Ansonsten wurden für diese Ausstellung unbekanntere Künstlerinnen ausgesucht, die Recherche dauerte 10 Jahre. Man fand sie in Katalogen, die Kunst lag derweil auf dem Dachboden. Neben Fotos, Objekten und Videofilmen gibt es auch bemerkenswerte feine Zeichnungen oder Handarbeit von Hackenschuhen aus unterschiedlichsten Materialien. Es ist eine gute Zusammenstellung feministischer Kunst, viel Arbeit und Herzblut steckt in dieser Ausstellung. Kuratorin Gabriele Schor bekam freie Hand und finanzielle Unterstützung durch die VERBUND AG Wien, Österreichs führender Stromerzeuger aus Wasserkraft. Hier in Hamburg stand ihr die Hamburger Kuratorin Merle Radtke zur Seite, ebenfalls sehr beflissen mit diesem Thema; sie ist verantwortlich für die wunderbare Hängung und die Wandtexte der einzelnen Künstlerinnen zum Mitnehmen.

*

Der Titel Avantgarde wird gemeinhin mit Männerkunst assoziiert, Surrealismus, Futurismus, Neo-Avantgarde nach dem Krieg. Frauen sind schlichtweg unter den Tisch gefallen (nachdem sie ihn gedeckt hatten). Doch sie leisteten Pionierarbeit nahezu im Verborgenen, während der 68er Bewegung, dem Vietnamkrieg und der Bürgerrechtsbewegung entstand gleichzeitig eine Frauenbewegung - Frauen unter Frauen, versuchte Frauenpower. Deshalb möchte die Kuratorin hier die Historie umschreiben. Ist das jetzt hysterisch? Wie sieht das mit der Aggression von Männern aus? Männer auf der ganzen Welt wollen sich nicht so einfach die Zügel aus der Hand nehmen lassen. Gewalt gegen Frauen steht an der Tagesordnung, und irgendwie soll Kirche und Gesellschaftordnung nicht in Frage gestellt werden?!

Aber Slogan wie: "Jeder Mann ein Täter!" machen es nicht besser.

Dennoch: Männer verdienen mehr als Frauen, in der Arbeitswelt gibt es extreme Ungerechtigkeit, dazu kommt die Unvereinbarkeit von Kind und Job. Ich erinnere mich an Sprüche wie: "Das bisschen Haushalt mach sich von allein!"

Es fällt auf, dass 40 Jahre später noch immer Männer von Galerien bevorzugt werden. Und heute trägt der moderne kreative Mann von Welt wieder Bart. Ist er damit männlicher? Er benutzt seinerseits jede Menge Kosmetikartikel. Klingt das nicht nach Gleichschaltung? Was ist mit dem Gender-Thema heute? Ist es wirklich schon wieder ein alter Hut?

Wir sollten vielmehr die Frage stellen nach dem Wer-wir-Sind, unabhängig von Mann und Frau. Im Grunde geht es um die Grenze des eigenen Ichs und dem Gegenüber - dem Du.

Auch durch den Anderen wird unsere Identität konstruiert.

* *

Mit Verblüffung betrachtet man Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Lili Dujourie (geboren 1941 in Belgien). Sie fotografierte einen nackten Körper in klassischen, weiblichen Posen auf dem Boden liegend. Es war aber ein Mann, und er war äußerst irritiert, dass sein Körper zart wie der einer Frau wirken konnte.

Jeder Mensch braucht Deutung seines Lebens. So haben also all diese 34 Künstlerinnen experimentiert, um zu erfahren, wer sie sind als Frau. Sie haben Intimes mitgeteilt, um ein eigenes Selbstverständnis zu entwickeln. Sie waren sehr mutig, provokant, radikal, und ihr Humor hatte dabei stets etwas Poetisches.



Ulrike Rosenbach (*1943), Art is a criminal action No. 4, 1969; S/W-Photographie auf Barytpapier © Ulrike Rosenbach / VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / SAMMLUNG VERBUND, Wien


„Ich werde niemals heiraten wir in der Kirche?“ (Auf dem Heimweg sehe ich diese Werbung einer Versicherungsgesellschaft.)

Wir schreiben das Jahr 2015! Ist das jetzt ein neues Selbstbewusstsein? Unsicherheit? Widersprüchlichkeit?


Liane Kampeter - 14. März 2015
ID 8499
Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien (Hamburger Kunsthalle | 13.03.-31.06.2015)

Zur Ausstellung gibt es einen rund 500 Seiten umfasenden Katalog, erschienen im Prestel Verlag.

Die Ausstellung war bereits im mumok Wien zu sehen, geht u.a. weiter nach London, ins ZMK Karlsruhe, ins Momok, Haus der Kunst der Stadt Brünn, nach Madrid und Brüssel.

Öffnungszeiten:
Mo, Di, Mi, Fr | 7 - 21 h
Do | 7 - 22 h
Sa | 7 - 19 h
So | 9:30 - 18:30

Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall am Hauptbahnhof
20095 Hamburg

Weitere Infos siehe auch: http://www.hamburger-kunsthalle.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de



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