Deutsches,
britisch
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Bewertung:
"Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden."
(Goethe & Schiller, Xenien, 1796)
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Seit Anfang Oktober ist im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung Der Britische Blick: Deutschland – Erinnerungen einer Nation zu sehen, die das Deutschlandbild beschreiben soll – aus Sicht der Briten, wohlgemerkt. Der Historiker Neil McGregor, Intendant des sich gerade im Aufbau befindenden Humboldt-Forums und ehemaliger Direktor des British Museum, hat sie 2014/2015 für eben dieses Londoner Museum organisiert. Ziel sollte sein, das vor allem vom 20. Jahrhundert geprägte Deutschlandbild der Briten auf die Vergangenheit auszudehnen und deren Geschichtshorizont zu erweitern. Das Interesse war groß, denn rund 115.000 Besucher konnte die Schau in dieses kulturgeschichtlich außerordentlich bedeutende Museum locken.
Mit 200 Exponaten, von denen sehr viele aus dem British Museum kommen, werden 600 sehr bewegte Jahre unseres Landes dokumentiert. Ein Land, das sich immer wieder neu erfinden musste, ein Land, das permanent seine Grenzposten verrückte und seine Zollschranken versetzte, ein Land, das mit unzähligen unterschiedlichen Währungen und Sprachen umzugehen hatte. Ganz anders als bei unseren britischen Nachbarn. Londinium wurde bereits im Jahre 50 n.C. von den Römern gegründet und ist seit 1066 Hauptstadt des Königreichs England; das englische Pfund Sterling wird schon im 11. Jahrhundert zum ersten Mal erwähnt. Eine Informationstafel über das 17. Jahrhundert gleich in den ersten Räumen dokumentiert das sehr er- und einleuchtend.
Die Schau beginnt mit der Presseberichterstattung zum Mauerfall 1989 und wandert durch die Themenbereiche „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“, „Fließende Grenzen“, „Reicht und Nation“, „Made in Germany“, „Krise und Erinnerung“.
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Ernst Barlach, Schwebender, 1927 (Guss, 1987); Bronze, 74x217x71cm | © Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Leihgabe des Kulturrings der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft
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Didaktisch und abwechslungsreich werden Kultur, Wirtschaft und Politik von der Frührenaissance bis zum Mauerfall behandelt. Dichter, Philosophen, Künstler, Erfinder und Politiker kommen zu Wort. Maximilian I, ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, gab bei Dürer so Manches in Auftrag. Von ihm sind einige Arbeiten ausgestellt, darunter die Rhinozeros-Radierung von 1515 (die er übrigens nur nach einer Beschreibung eines solchen fertigte); im selben Raum steht das Porzellan-Pendant von Johann Gottlieb Kirchner. Tischbeins wandfüllendes Goethe-Portrait in der Römischen Campagna, die deutsche Landschaftsromantik repräsentiert u.a. durch Caspar David Friedrich, filigrane astronomische Gerätschaften, Gutenbergs Buchdruck, Luthers Bibel, Heinrich-Heine und ein Neoprenanzug.
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Carl Gustav Carus, Die Dreisteine im Riesengebirge; 1826 Öl auf Leinwand, 64 x 92,5 cm | © Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Estel/Klut
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Am Brezel-Käfer von 1952 vorbei hat sie uns eingeholt, unsere finstere Geschichte des 20. Jahrhundert. Dort steht das Lagertor (eine Replik) von Buchenwald [s.u.]. Das KZ Buchenwald wurde 1937 praktisch vor der Haustür der Bauhaus-Stadt Weimar, der Stadt, in der Goethe und Schiller wirkten, errichtet. Franz Ehrlich, Bauhaus-Schüler und Inhaftierter in Buchenwald, hat es entworfen. Von innen lesbar steht dort in Bauhausschriftzügen „Jedem das Seine“. Daneben an der Wand springt uns der Satz von Paul Celan „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ ins Gesicht; Anselm Kiefer hat die Todesfuge in Kunst umgesetzt. Erschütternd die Skulptur Schwebender [s.o.]. Ernst Barlach hat sie 1927 für den Dom zu Güstrow gefertigt. Ein in der Luft hängender und in Ketten gelegter Engel mit gebieterischem Kinn, vor der Brust gekreuzten Armen und mit den Gesichtszügen seiner Künstlerkollegin Käthe Kollwitz scheint wie eine Rakete auf uns zuzuschwingen. Barlach kam als Pazifist aus dem Krieg zurück und hat mit diesem Werk das Drama des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Die Schau verabschiedet sich mit einem Offset-Druck einer der Meisterwerke von Gerhard Richters, Betty [s. Plakatmotiv] , sie hängt gegenüber einem Modell des neuen Reichstags, schaut ihn aber nicht an, da sie uns und ihm den Rücken zudreht.
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Buchenwald Lagertor (Replik); Replik 2009/Farbgebung 2014 Metall, 186,5x98,7 cm | ©Katharina Brand, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald
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"Die Ausstellung öffnet uns den Blick zurück und gibt uns unsere eigene Geschichte wieder“, so der künstlerische Direktor und Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender.
Das Konzept ist seltsam und hatte natürlich auf der Britischen Insel einen ganz anderen Stellenwert. Wir wissen ja, dass es außer Sauerkraut, Fußballhelden, dem Oktoberfest, den romantischen und bei rieselndem Schnee Glühwein-schlürfenden Weihnachtsmarktbesuchern und der Kuckucksuhr noch Anderes – Schönes und Unschönes, Gutes und Schlechtes – bei uns gibt.
Auf Interesse scheint die Ausstellung in Berlin aber trotzdem zu stoßen, wenn man die vollen Ausstellungsräume als Maßstab nimmt und beobachtet, wie andächtig die deutschen Gruppen den Ausführungen ihrer Museumsführer zuhören, wenn dieser ihnen Deutschland erklärt!
Sehenswert, allemal.
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Christa Blenk - 8. November 2016 ID 9674
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de
Post an Christa Blenk
eborja.unblog.fr
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