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Ausstellung

Ein Wilder

in Wien



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Das MUSÉE D'ART MODERNE DE PARIS präsentiert noch bis zum 12. Februar 2023 in einer umfangreichen Retrospektive sieben Jahrzehnte künstlerisches Schaffen des österreichischen Künstlers Oskar Kokoschka (1886-1980). Der „Oberwildling“ und Seelenmaler aus Wien, der Dichter, Grafiker, Dramatiker Kokoschka suchte seine Inspiration und Folter in seinen jeweiligen Beziehungen, Erfolgen, Niederlagen und in der Politik. Der Schüler von Klimt, Zeitgenosse von Schiele und Loos, war ab 1908 das geliebte und verhasste „enfant terrible“ in Wien und ab den 1950er Jahren ein gefragter Porträtmaler im Anzug.

Die Ausstellung im Pariser MAM ist in sechs Abschnitte unterteilt. Sie beginnt mit den Arbeiten des jungen, erfolgversprechenden und bereits gefeierten Künstlers aus Wien. Der Trancespieler (1909) oder das Portrait des Publizisten und Galeristen Herwarth Walden begrüßen die Besucher. Walden selber war nicht unbedingt brillant, er hatte aber ein großartiges Gespür für Talent und Zeitgeist und war begeistert von Kokoschka. Im „Sturm“ sind schon ab 1910 regelmäßig Kokoschkas Zeichnungen veröffentlicht worden. Gleich hier hängt auch eines seiner wenigen Bilder mit Religionsbezug, Veronika mit dem Schweißtuch (1909). Angeblich soll das Modell die Tochter der Pförtnerin gewesen sein.



Oskar Kokoschka, Le joueur de transe (Ernst Reinhold)/ Der Trancespieler (Ernst Reinhold),1909; Huile sur toile 81 x 65 cm | Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Bruxelles/ photo J. Geleyns © Fondation Oskar Kokoschka/ Adagp, Paris 2022


„Da ist ein junger, genialer Kerl, ich würde mich an deiner Stelle von ihm malen lassen“ , sagt Carl Moll im Winter 1912 zu Alma Mahler und meint den 26-jährigen Kokoschka. Später schreibt sie über diese erste Sitzung, dass er krank und heruntergekommen ausgesehen hätte, schlecht gekleidet gewesen wäre, immer in ein blutiges Taschentuch gehustet und sich natürlich sofort in sie verliebt hätte. Diese amour fou beschert Kokoschka eine sehr kreative Phase, überdauert drei stürmische Jahre und endet endgültig, als Alma Mahler 1915 Walter Gropius heiratet. Aber vorher, 1913, reisen sie gemeinsam in die Dolomiten. Dolomitenlandschaft Tre Croci ist eine friedliche Sinfonie in Blau und Grün und reflektiert die "dunkelgrünsten Flecken um eine Lichtung" im Wald. Angeblich sollen ihm die Pferde auf dem Bild aus Hand und Tasche gefressen haben. In den Jahren mit Alma Mahler glänzen seine Bilder im El Greco-Manierismus, besonders hervorstechend bei dem Gemälde Die Windsbraut, seinem Alma-Schwanengesang. Das Ende dieser Beziehung bringt ihn fast um den Verstand. Kokoschka verbrennt eine Puppe, die Alma Mahler ähnlich sieht, und meldet sich dann freiwillig an die russische Front, wo er gleich zweimal schwer verletzt wird. 1916 geht er nach Dresden, um sich von den Verletzungen, von den psychischen und physischen, zu erholen. Dort entsteht das großartige Autoportrait, das auch das Ausstellungsplakat [s. Bild o.re.] ist. 1917/18 malt Kokoschka Die Freunde. Ein düsteres, unsicheres Bild das seine neuen Bekannten Käthe Richter, Walter Hasenclever, Ivar von Lücken und dem Psychiater Fritz Neuberger zeigt. Das Bild kam aus Linz nach Paris. Eine Farb-Explosion hingegen ist ein Jahr später das Gemälde Die Macht der Musik aus der Sammlung Abbemuseum Eindhoven.



Oskar Kokoschka, Paysage des Dolomites, Tre Croci/ Dolomitenlandschaft, Tre Croci, 1913; Huile sur toile 79,5 x 120,3 cm | Leopold Museum, Vienne © Fondation Oskar Kokoschka/ Adagp, Paris 2022


Die Dresdner Zeit ist von leuchtenden Blautönen und breiten Pinselstrichen geprägt. 1921 malt er die zehnjährige Gitta Wallerstein mit riesigen, neugierigen Augen und großer Schleife im Haar. 1922 präsentiert sich Kokoschka auf der Biennale von Venedig. In diese Zeit fällt auch das fauvistische Werk Maler und Modell II. Hier steht der Künstler im blauen Kittel vor grünem Hintergrund prominent in der Mitte. Sein Modell in Gelb hinter ihm hat eine Picasso-Nase und wird fast aus dem Bild geschoben. Wen er genau malt, ist nicht ganz klar. Es könnte auch ein Autoportrait werden.

Im nächsten Abschnitt hängen Bilder, die während seiner Paris- und London-Reisen zwischen 1923 und 1934 entstehen. Schon ab 1933 stellt Kokoschka sich öffentlich gegen die Nationalsozialisten und reist später aus finanziellen Gründen nach Prag, an den Geburtsort seines Vaters. Hier wird er nostalgisch. In Prag lernt der einst schüchterne Künstler, der immer wieder an Depressionen leidet, Olda Palkovskà kennen, die ihn 1938 überredet, nach London zu gehen, wo sie 1941 heiraten.

Auf der Ausstellung Entartete Kunst werden neun Bilder von ihm gezeigt. Kokoschka reagiert 1938 darauf mit dem beeindruckenden Selbstportrait als entarteter Künstler. Seine Pinselstriche sind ausgebremste Hurrikane, die über bukolische, weiche Farbflächen hinweg ziehen. Kokoschka malt sich selber als knochenlosen Körper, der nur durch grelle, schreiende Rummelplatz-Farben zusammengehalten wird. Mit vor dem Körper verschlungenen Armen blickt er starr und fragend auf den Betrachter. Das Bild hat weder Ecken noch Kanten und ist in Edinburgh zu Hause.

Ganz anders, fast wirkt es ironisch, sein Porträt von Ferdinand Bloch-Bauer, ein reicher Mäzen und Industrieller, dessen Frau Adele Gustav Klimts Muse war. Er malt ihn als bäuerlichen, älteren Jäger in grün-braun-Tönen mit der Flinte auf den Knien inmitten von verrückten hin- und hergerissenen Farbstrichen.



Oskar Kokoschka, Time, Gentlemen Please, 1971-1972; Huile sur toile 130 x 100 cm | Tate, Londres © Fondation Oskar Kokoschka/ Adagp, Paris 2022


Ein bedeutender Abschnitt der Schau ist der Malerei im englischen Exil gewidmet. Kokoschka malt 1941 eines seiner politischsten Bilder: Das Rote Ei. Auf 63 x 79 cm protestiert er gegen den Verkauf der damaligen Tschechoslowakei nach dem Münchner Abkommen von 1938. Links vom Tisch der schreiende Hitler, rechts breit Mussolini, der britische Löwe hinter dem Tisch und eine satte Katze als Verkörperung von Daladier unter dem Tisch. Das gerade wegfliegende, gerupfte Huhn hinterlässt ein großes rotes Ei in der Mitte auf dem Verhandlungstisch. Es gibt Essbesteck für vier Personen. Ein Jahr später verurteilt Kokoschka mit Anschluss – Alice im Wunderland den Zynismus der Hegemonie.

Die Ausstellung endet mit Kokoschkas Zeit in der Schweiz. Sein letztes Autoportrait Time, Gentlemen Please entsteht 1971 und gehört der Tate London. Farbmäßig überhaupt kein Alterswerk. Kokoschka in der Mitte des Bildes, die klumpigen Hände über Kreuz gefesselt, will durch eine Tür gehen, aber vom Tod ausgebremst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg reißen sich auch Politiker darum, von ihm portraitiert zu werden. Aus dem "Kunstlumpen", wie ihn George Grosz 1920 einmal nannte, ist ein Hofmaler geworden. Kokoschka nimmt außerdem dreimal an der documenta in Kassel teil und entwirft Bühnenbilder für die Salzburger Festspiele. Aber die Qualität der ersten 40 Jahre seines Künstlerlebens, in denen er auch das auf die Leinwand brachte, was unter der Haut und hinter den Augen passierte, erreicht er meist nicht mehr. Else Lasker-Schüler hat 1911 über ihn geschrieben „Kokoschka ist ein alter Meister, später geboren, ein furchtbares Wunder.“ Er hat sie nie porträtiert.


Christa Blenk - 6. Oktober 2022
ID 13841
Kuratiert wurde die umfangreiche, sehenswerte Ausstellung, die anhand von 150 Exponaten jede Epoche seines künstlerischen Schaffens, inklusive der grafischen Arbeiten, beschreibt, von Dieter Buchhart, Fanny Schulmann und Anna Karina Hofbauer.

Ab 17. März 2023 wandert die Ausstellung nach Bilbao ins Guggenheim Museum.


Weitere Infos siehe auch: https://www.mam.paris.fr/


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