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Seit über 50 Jahren erregt die umstrittene serbische Künstlerin Marina Abramović (* 1946 in Belgrad) mit ihren Aktionen Aufsehen und nennt sich selbst die “Großmutter der Performance Art”. Kuratiert von Susanne Kleine zeigt die Bundeskunsthalle nun die Retrospektive Marina Abramović – The Cleaner über die gesamte Schaffenszeit und ein großes Spektrum, sei es durch Installationen, Skulpturen oder Archivmaterial in Form von Filmen und Fotografien. Da Abramović eine Performance-Künstlerin ist, sind die Re-Performances, also die Nachstellung früherer Aktionen von ihr durch andere Darsteller, der wesentlichste Aspekt. Dadurch können die Besucher Eindrücke von Happenings gewinnen, die schon Jahrzehnte zurückliegen.

Bei der Pressekonferenz war Abramović anwesend und sieht erstaunlich jung aus für eine 71jährige. Mit ihrer Kunst hat sie oft Grenzerfahrungen gemacht, sich selbst verletzt oder verletzen lassen. Ihr eigener Körper und ihre Persönlichkeit sind für sie künstlerisches Ausdrucksmittel. Sie wuchs im ehemaligen Jugoslawien auf und hatte überzeugte Kommunisten wie auch sehr religiöse Menschen als Familienmitglieder. Fanatismus, Gewalt, seelische und körperliche Verletzungen prägten ihre Kindheit. Diese Spannungsfelder bringt sie in ihre Kunst ein. Der Titel The Cleaner ist im Englischen vielschichtiger als das deutsche Wort Putzfrau, es geht um das Säubern, auch im Sinne von Bereinigen. Das kann so konkret sein wie das Exponat einer uralten Waschmaschine, in der sie sich als Kind mal die Hand einklemmte, gilt aber auch im übertragenen Sinne.

Ihre teilweise sehr extremen Performances passten sehr gut in die 1960er und 1970er Jahre, in denen sich eine experimentelle Kunstszene entwickelte, zu der auch Charlotte Moorman, Gina Pane und Joseph Beuys gehörten und Tabubrüche durchaus nötig waren, um das verkrustete System aufzumischen. Musik und Rhythmus werden zu immer wichtigeren Elementen für sie. Seit Mitte der 1970er Jahre bezieht Abramović das Publikum als Akteure ein. Und das ist schon sehr konkret. 1977 gab es einen Aufruhr im italienischen Bologna. In der Galleria Communale d'Arte Moderna standen sie und ihr damaliger Partner Ulay (Frank Uwe Laysiepen) sich nackt in dem engen Eingang gegenüber. Die einzige Möglichkeit für die Besucher der Aktion Unwägbar in das Museum zu gelangen, war das Sich-Durchzwängen durch die beiden nackten Künstler. (In Bonn hat man rechts einen freien Zugang zum nächsten Raum gelassen).



Marina Abramović und Ulay in einem Video aus dem Jahr 1977 in Bologna | Foto: Helga Fitzner



Die Re-Performance von Unwägbar 2018 in der Bundeskunsthalle Bonn | Foto: Helga Fitzner


Das Malen mit echtem Blut oder die Reinigung von Rinderskeletten, das Arbeiten mit okkulten Symbolen, vor allem aber ihre aggressive Selbstgeißelung riefen und rufen jedoch auch Ablehnung hervor. Es kam in der Vergangenheit vor, dass Zuschauer sie bei Aktionen retteten, weil sie ohnmächtig geworden war oder zu stark blutete. Es wird in Bonn u.a. eine Re-Performance von The House with the Ocan View geben, wo man einen Langzeitperformer beobachten kann, der auf Dauer weder essen noch sprechen darf, aber duschen, schlafen, inklusive der Benutzung der Toilette. Das soll zu einer Art Läuterung, vielleicht sogar Katharsis führen. Die Performances der Marina Abramović sind natürlich auch ein Spiegel der Grausamkeit der Welt, und diese Grenzüberschreitungen aufzuzeigen gehört sicher auch zu der Aufgabe von Kunst.

Ob es aber auf diese Art tatsächlich zu einer Bereinigung und Befreiung kommt, können die Besucher in der ausführlichen Ausstellung und bei den verschiedenen Re-Performances selber entscheiden. Auch Mutual Gaze (2017/2018) wird zu erleben sein, eine Langzeitperformance, bei der Abramović stundenlang regungslos auf einem Stuhl saß und dem jeweiligen Menschen, der ihr auf einem Stuhl gegenüber weilte, in die Augen sah. Das können die Besucher untereinander selbst ausprobieren. Wer an Work Relation (von 1978) teilnehmen will, kann in Eimer gefüllte schwere Steine von einer Seite zur anderen schleppen oder in Counting the Rice (2015) Reiskörner zählen.

Bei aller Bewunderung für die außergewöhnliche physische und mentale Stärke der Künstlerin wird das individuelle Kunstempfinden durchaus herausgefordert. Zwar macht es stellenweise Spaß, als Besucher Teil der Aktion zu sein oder dass einige Exponate angefasst und benutzt werden können, doch basiert die Ausstellung überwiegend auf Performances, in denen sich Menschen in Grenzerfahrungen begeben, die mit seelischen und körperlichen Torturen zu tun haben.
Helga Fitzner - 20. April 2018
ID 10655
Weitere Infos siehe auch: http://www.bundeskunsthalle.de


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