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Ausstellung

Natur

& Literatur

INS BLAUE! im Literaturthaus München


Bewertung:    



NATUR boomt. Vor allem im gedruckten Wort, in Zeitschriften, Illustrierten, Landschafts- und Gartenbüchern, Bergromanen, Seestücken, und natürlich spielt sie in der Literatur so gut wie aller Jahrhunderte eine große Rolle.

Es scheint, dass die Auseinandersetzung mit der NATUR vor allem von Gesellschaften im Umbruch gesucht wird, sie markiert häufig einen Paradigmenwechsel. Das war in der Romantik so, das war so zur Jahrhundertwende, und das zeigt sich auch heute wieder. Insofern ist es nur NATÜRlich, die NATUR auch in einem Literaturhaus zum Thema zu machen.

Doch - oh Problem - was für eine Bandbreite! Wie 2.500 Jahre Literaturgeschichte unter einen Hut bringen, auf 300 Quadratmeter? Die Macherinnen entschieden sich angesichts dieser Überfülle notgedrungen gegen die "große, zusammenhängende Erzählung". Und ersannen eine Kunst- und Wunderkammer. "Jeder Raum ein NATURgedicht.". So Tanja Graf, die Leiterin des Literaturhauses im Vorwort zu dem ausführlichen Katalog, der begleitend erschienen ist. Wobei die "NATUR" im Literaturhaus eine menschengemachte, erfundene bleibt - einschließlich des angeschlossenen Gartens. NATURgemäß, um mit Thomas Bernhard zu sprechen.

Die Kuratorin Heike Gfrereis ließ sich von Assoziationen, subjektiven Kombinationen leiten, fand den Mut zum Unvollständigen. Und animierte andere dazu. Sie bat zahlreiche bildende KünstlerInnen und LiteratInnen, für die Ausstellung "ihr" NATURstück herauszusuchen und es mit Text zu versehen. Eingereicht wurden nicht die erwarteten Blumen - die steuerten Häftlinge bei, und zwar aus Papier - vielmehr kam allerlei Ungewöhnliches, worum sich kleine Installationen aufbauen ließen.

Zum Beispiel ein Stein, den Ilija Trojanow aus dem westindischen Fluß Narmada geholt hatte. In diesen Fluss zieht sich der Ganges zurück, um sich selbst zu reinigen, nachdem ihn bekanntlich viele gläubige Waschungen immer wieder verschmutzen. "Narmada ist eine Göttin", so Trojanow, die "den Unterschied zwischen dem schöpferischen Akt der NATUR und dem eines Menschen nivelliert". Überhaupt: Steine. Sie sind beliebt und belebt - und auch in ihrer Schwundstufe als Staub ein großes Thema der Kunst im 20. Jahrhundert: In München gehen sie ungewöhnliche Verbindungen ein. Neben dem ältesten bisher datierten Gestein (einem Stück Gneis aus Acasta, entstanden vor 4.2 Milliarden Jahren, und gefunden von Raoul Schrott) liegt einer der Lügensteine aus Dr. Beringers Cabinet. So einen hat 1850 Eduard Mörike erworben, eine dereinst gefälschte Fossilie aus Muschelkalk. Daneben ein Exemplar aus Christian Enzensbergers Sammlung Dialekt sprechender Steine: eä mochd meeä kinsdlis wiiäsd moänsd. Was bedeutet: Der NATURwille ist mehr auf Anstrengung bedacht, als Du ihm zutraust. Verstanden?

All diese Einsendungen und die eigenen Ideen der MacherInnen fügten sich schließlich zusammen unter der kundigen Hand der Literaturwissenschaftlerin Heike Gfrereis, der Leiterin der Museumsabteilung des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Es entstanden Kapitel wie "der Himmel, das Gras", "die Nacht, der Stein", "das Feuer, die Tiere", die Erde, das Kraut", "das Wetter, das Licht" usw... Sie stehen dem Besucher gegenüber auf großen, weiß leuchtenden Flächen. Buchseiten? Digitale Oberflächen? Kurze Texte stimmen den Leser ein - z.B. auf einen locus amoenus bei Platon: "Wie angenehm und sehr süß ist das Wehen der Luft an diesem Orte. Sommerlich und hell tönt sie im Chor der Zikaden." Oder auf ein Foto Hermann Hesses beim Erdemachen. Oder auf Hugo von Hofmannsthal. Zu seinem Text das Bild, wie er aus dem kastilischen Quell bei Delphi trinkt, der die Gabe des Dichtes verleihen soll. Autoren hat man versammelt von Hans Christian Andersen über Brecht, Celan, Kafka, Mayröcker bis Jan Wagner.

Eine der ersten persönlichen Einsendungen kam von Thomas Gsella, dem ehemaligen Chefredakteur des Satireblattes Titanic: eine Fliegenklatsche, das dazugehörige Gedicht "Es genügt nicht, Mücken nur zu killen...": Über dieses rote Plastikding kann man nachdenken, auch dann, wenn man sich in das unweit installierte Himmelbett aus Kunstgras legt, in die darüber hinwandernden Wolken schaut, seinen Gedanken nachhängt, Vogelgezwitscher hört oder auch das Dröhnen eines Flugzeugs. Eine Installation rund um das titelgebende Bild der Freisinger Künstlerin Brigitte Stenzel mit dem Titel Maiwiese: Dazu Zitate: "Und Wiesen gibt es noch/ und Bäume und/ Sonnenuntergänge/und/Meer/und Sterne/und das Wort/das Lied/und Menschen/und" (Rose Ausländer). Oder aber Konrad Beyers Topologie der Sprache: "blaustein blauwerk blaugerüst blaugrund blaukunst..." Schlichte Aufzählungen, die unserem heutigen Poesieverständnis besonders nahe zu kommen scheinen.

Vielleicht weil wir so viel lesen wie nie zuvor, aber auch so schnell wie nie (oft zu schnell!) verfolgt diese Form der Präsentation die Absicht uns zu bremsen und aufmerksamer zu machen - gerade dem Wort gegenüber. Denn natürlich steht in einem Literaturhaus der Text im Mittelpunkt, schwarz auf weiß. Er wird jedoch hier mal ganz anders präsentiert, fast nebenbei, eingebettet in Objekte und Installationen, sinnlich und dreidimensional erfahrbar. Keine unübersichtlichen Bleiwüsten. Wir dürfen wieder entziffern und genießen.

Beeindruckend Herlinde Koelbls riesige Fotos über die gesamte Fensterfront, Aufnahmen von Pflanzen, die fast aussehen wie Tiere: Metamorphosen der NATUR. Sie kommen ohne Text aus. Aber, so Koelbl: "Alle Lebensthemen, mit denen sich die Literatur beschäftigt, sind in diesen Metamorphosen."

Der Besuch der Ausstellung ist, wie schon der Titel sagt, eine "Fahrt ins Blaue", ins Offene, ins Unerwartete, nicht in einen durchgestylten Erlebnispark. Er lässt die Probe aufs Exempel zu und lädt ein zum spielerischen Selbstversuch. Der kann einen auch beunruhigen. Wer wagt es, sich in den schwarzen Kasten zu stellen? Absoluter Dunkelheit setzen wir uns normalerweise nicht aus. Doch keine Angst, man kann sich getrost einlassen auf dieses originelle Sammelsurium von NATUR-Fundstücken, in die Zitate eingestreut sind wie Blüten in eine Wiese, Muscheln in den Sandstrand, Schaumkämme ins Wellenmeer, Wölkchen in den Sommerhimmel. Wer seinen Erinnerungen, Gedanken und Assoziationen erlaubt, zu mäandern, geht nicht belehrt, aber wissender und animiert nach Hause.

Und sucht oder schreibt dort vielleicht sein eigenes NATURstück... was dann als Blog oder Mail zur Veröffentlichung in der "blogparade" eingereicht werden kann. Mal sehen…



Ins Blaue! im Literaturhaus München | Foto (C) Petra Herrmann

Petra Herrmann - 21. März 2018
ID 10598
Weitere Infos siehe auch: http://www.literaturhaus-muenchen.de


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de



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