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Ausstellung

Salon-Kunst



Cover des Ausstellungskataloges vom (C) Hirmer Verlag

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Die Venus Medici wurde im 1. Jahrhundert v.C. geschaffen und geht auf ein Original von Praxiteles um 350 v.C. zurück. Ihren Namen verdankt sie der Florentiner Medici-Familie, denn in deren Besitz gelangte die Skulptur im 16. Jahrhundert. Die Venus ist aus weißem Marmor und fast lebensgroß. Sie diente wohl auch als Vorbild für Botticellis Gemälde Die Geburt der Venus. Gleich im ersten Raum der Ausstellung steht sie neben Ingres Bild Die Quelle, eine andere nackte, kalte Schöne und Paradeprodukt des französischen Neoklassizismus. Damit wird auch schon angedeutet, worum es in dieser Ausstellung geht: nämlich um die Verherrlichung der Antike.

Der Aktmalerei im 19. Jahrhundert ist das erste Kapitel der Ausstellung gewidmet, und die Geburt der Venus von William Bouguereau, einer der Hauptvertreter des klassischen Realismus, lässt auf den ersten Blick an Botticelli denken und auf den zweiten an ein Pin-up-girl, das eher lasziv als jungfräulich aus der Muschel steigt. Er hat es 1879 gemalt, ein Jahr bevor der Salon 1880 geschlossen wurde. Bouguereau, dem der Rom-Preis übrigens zweimal verweigert worden war, wollte mit dem ebenfalls in München ausgestellten Mammutgemälde Dante und Vergil endlich punkten. Auf fast drei mal zwei Metern beschreibt er eine Episode aus dem achten Höllenkreis – dem der Fälscher. Dante und Vergil beobachten, wie der Erbschleicher Gianni Schicchi den Alchimisten in den Hals beißt. Bouguereau versuchte sich hier in einem romantisch-symbolischen Manierismus. Muskeln und Sehnen der marmorweißen Kämpfer treten stark kontrastiert und überdeutlich hervor, und der Turner-Himmel ist von fliegenden Ungeheuern bevölkert.

"Zu kalt", sagten die Romantiker, "zu chaotisch" die Klassiker, "zu verständlich" die Symbolisten und "zu herrschaftlich" die Genre-Maler. Nach dem Vater der französischen Klassik, Ingres, hat eine Art Fusion von Klassizismus und Romantik - beeinflusst von manieristischen Tendenzen, Symbolismus, Genre-Szenen, Orientalismus und vor allem Aktmalerei, die unter dem Namen Klassischer Realismus in die Kunstgeschichte einging - eingesetzt. Die altgediente und populäre Historienmalerei wurde runderneuert und bekam ein anderes Gesicht. Die Geschichten kommen nach wie vor aus der griechischen Mythologie und der Bibel, und Göttinnen sind immer noch gefragte Modelle, aber die Personen auf den Bildern sind keine bekannten oder verherrlichten Götter oder Bibelpersönlichkeiten mehr. Hier tummeln sich Menschen im Götterlook bei einfachen Szenen, wie das Gemälde aus dem Jahre 1846 von Jean-Léon Gérôme (1824-1904), Junge Griechen beim Hahnenkampf, zeigt.



Jean-Léon Gérôme (1824-1904), Junge Griechen beim Hahnenkampf, 1846; 143 x 204 cm, Öl / Leinwand | Musée d’Orsay (C) bpk / RMN – Grand Palais / Stéphane Maréchalle


Die Klassik ist der Französische Revolution verbunden und mündet später, in der Zeit der Napoleon-Kriege, in die Romantik, der sie ideologische Waffen für Patriotismus, Volkskultur und fromme Stetigkeit bietet. Ein Stilpluralismus sondergleichen entsteht. Auf der einen Seite die moderneren Klassiker und auf der anderen Moreau, Turner, Goya oder Delacroix, die den Weg der kommende Moderne vorbereiten würden.

Schon die Malergruppe der Schule von Barbizon um 1850 zog es in die Landschaft. Ihr Bestreben war, die Zwänge der unbiegsamen und anachronistischen Akademiker abzulegen. Malen außerhalb der Atelierwände - allein schon der Gedanke daran versetzte die Akademiker in große Panik. Ein Maler war so etwas wie ein beamteter Staatsdiener und Arbeiten ging nur im Atelier und gut gekleidet.

Ein Klassiker wie Ingres interessierte sich vor allem für Linien. Farbe und Licht waren für ihn zweitrangig. Doch dann kam Bouguereau mit der revolutionären Idee „Farbe und Linie als dieselbe Sache zu sehen“. Wirklich Bahnbrechendes haben die klassischen Realismusmaler trotzdem nicht hervorgebracht. Allerdings profitierten sie von großen Stadtaufträgen, und hier kommt der Präfekt des französischen Departements Seine ins Spiel, der große Stadtplaner von Paris, Georges-Eugène Baron Haussmann. Er wirkte und wütete in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das klassizistische Stadtbild, das er schuf, ist heute noch das Paris, das wir kennen. Neben den wichtigsten Markthallen entstanden die großen Bahnhöfe und andere kommunale Einrichtungen, darunter mehrere Theater und sogar eine moderne Abwasseranlage. Die Akademie der Schönen Künste hatte ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht bei seinen Entscheidungen. Unmut entstand nicht nur durch zwangsweise Umsiedlungen von Bürgern. Haussmann selber ist dabei übrigens sehr reich geworden und hat an den diversen Ausschreibungen verdient. Bauten wie die Garnier Oper wurden zu Spielwiesen der akademischen Maler. Fresken, Allegorien und christliche Szenen gehörten zur Standard-Ausstattung dieser Gebäude. Puvis de Chavannes hat u.a. das Pantheon aufwendig verziert. Alles sollte schön, wahr und gut sein!



Alexandre Cabanel (1823-1889), Das verlorene Paradies, 1867; 122,5 x 93,3 cm, Öl / Leinwand | Musée d’Orsay (C) bpk | RMN – Grand Palais | Patrice Schmidt


Einmal im Jahr fand sie statt, diese bedeutende und weltweit bekannte Kunstausstellung. Der Salon de Paris war eine Einrichtung im 19. Jahrhundert, ein Tummelplatz für Händler und Sammler, aber auch ein bedeutendes, gesellschaftliches Ereignis, das Hunderttausende Besucher anzog. König Ludwig der XIV. hatte sie im Jahre 1667 ins Leben gerufen, um den Kunstgeschmack bei Hofe zu verbreiten. Im Jahre 1855 zählte man 892.000 Besucher. Es gibt eine Radierung von Honoré Daumier (Salon de Paris am Tag des kostenlosen Eintritts, 1855), auf der ein Gedrängel herrscht wie heute in der U-Bahn zu Stoßzeiten oder bei Ausstellungen der Impressionisten! Im Salon wurden ausschließlich die Kunstwerke gezeigt, die die Obrigkeit und die strenge Jury als Künstler anerkannte. Die menschliche Figur, vor allem das Aktstudium, stand im Vordergrund, und außerdem mussten Anatomie und Perspektive stimmen. Keine Risiken, keine Erneuerungen! Historische Mammutschinken boten sich geradezu an dafür, und so entstand die perfekte klassizistisch-akademische Lösung, durch Bibelgeschichten oder Mythologie viel nackte, weiße Haut zu zeigen und den Voyeurismus der Reichen und Schönen zu befriedigen. Ohne akademische Ausbildung konnte man kein Maler sein und wurde auf keinen Fall zugelassen, geholfen hat auch ein längeres Rom-Stipendium.

Der Romantiker und Fast-Zeitgenosse von Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780-1867), Eugène Delacroix (1798-1863), wurde sieben Mal von der Akademie abgelehnt, ehe er mit dem erlauchten, ranzigen Kreis im Salon ausstellen durfte. 1863 lehnte die Jury 3.000 von 5.000 präsentierten Werken ab, was zur Entstehung des Salon des Refusés (Salon der Abgewiesenen) führte. Die ehrwürdigen und konservativen Kunstkritiker bestimmten, welcher Maler gekauft werden sollte und welcher nicht.

Schon Mitte des 18. Jahrhunderts starteten die Grabungsarbeiten in Pompeji und Herculaneum, ab 1806 unter französischer Leitung. Diese bahnbrechenden Entdeckungen zogen nicht nur Bildungsreisende nach Neapel, sie brachten auch frische und interessante Erkenntnisse und Anregungen für neue Bilder mit römischen Szenen zutage. Der Archäologe und Maler Etienne Gautier malte 1878 die Tote Cäcilia vor einer Pompeji-rot-Wand.



Etienne Gautier (1842-1903), Die tote Cäcilia (von Rom), 1878; 109 x 192 cm, Öl / Leinwand | Musée d’Orsay (C) bpk | RMN – Grand Palais | Patrice Schmidt


Diese Re-Interpretationen waren sehr begehrt in den Pariser Salons, und sogar preisgünstigere Reproduktionen fanden reißenden Absatz bei der französischen Oberschicht-Klientel, d.h. bei all denen, die mit dem sich ankündigenden Impressionismus nichts zu tun haben wollten bzw. ihn ablehnten. Ein Verharren im Wahren und Schönen, ein Aufhalten des Fortschrittes, eine Verweigerung der Industrialisierung, wie sie auch schon die Präraffaeliten und das Aesthetic Movement in England um Alma Tadema oder die deutschen Nazarenern vorgemacht haben. Die altbewährten und ehrwürdigen Akademien sorgten dafür, dass die Fundamente der Malerei aufrecht erhalten blieben. Einem naturalistischen Caravaggio- Manierismus hingegeben hatte sich indessen der Maler Léon Bonnat. Sein Hiob von 1880 erinnert an die ausgezehrten Jusepe de Ribera -Heiligen.

1880 fand der letzte Salon de Paris statt, und der Staat gab die Macht um die Kunst an die Künstler ab. Sezessionistische Initiativen aller Stilrichtungen keimten aus dem Boden, und es entstand eine symbolistische Strömung angeführt durch Gustave Moreau und Puvis de Chavannes. Andere, wie der Orientalismusmaler Georges Rochegrosse (1859-1938), konnten sich nicht überwinden, einen Schritt Richtung Moderne zu tun. Der Ritter und die Blumenmädchen (1894) ist purer rosa-roter Kitsch auf 2,5 x 3,7 Metern. Rochegrosse gehörte zu den letzten Repräsentanten.

Die Akademiker, für die der Impressionismus einem unverzeihlichen Regelbruch gleichkam, konnten ihn aber trotzdem nicht aufhalten. Diese total gegensätzliche Bewegung streckte sich auf Kunst, Musik, Literatur und Fotografie aus und ließ die Historienmalerei komplett hinter sich. Farbe sticht zeichnerische Elemente, und der Betrachter kann sehen oder empfinden, was er will. Die erste Gruppenausstellung der „eigensinnigen“ Impressionisten fand im April 1874 im Atelier des Pariser Fotografen Nadar statt, hier wurde auch Claude Monets (1840 bis 1926) Schlüsselwerk Impression – soleil levant gezeigt. Plötzlich waren nicht mehr historische Personen aus der Mythologie oder der Religion die Hauptprotagonisten, sondern das Licht, die Atmosphäre, der Verzicht auf dunkle Farben und die Eindrücke des Gesehenen sowie der Zufall bestimmend. Und waren es bei den Klassikern und Historienmalern die neu entdeckten römischen Ruinen in Pompeji, die den Stil veränderten, so gab es hier die Fotografie und neue Farben aus der Tube. Alexander Cabanel erhielt für seine kitschige Geburt der Venus von 1863 vom Salon große Anerkennung. Cabanel selber war auch Mitglied der Auswahlkommission und einer der größten Gegner der Impressionisten. Lichtjahre entfernt ist er von Edouard Manets im selben Jahr entstandenem Gemälde Das Frühstück im Grünen.


Christa Blenk - 21. Oktober 2017
ID 10327
Die Ausstellung GUT. WAHR. SCHÖN - Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d'Orsay ist seit Ende September 2017 in der Kunsthalle München zu sehen, und damit werden überhaupt zum ersten Mal in Deutschland diese Werke gezeigt. Anhand von über 100 Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen und kunsthandwerklichen Objekten aus dem Musée d’Orsay beschreibt sie, wie in den Pariser Salons klassische Tradition mit modernem Leben kollidierte. Die Ausstellung, die ein Kapitel der Kunstgeschichte aufgreift, über das eher wenig gesprochen wird und schon allein deshalb sehenswert ist, geht noch bis zum 28. Januar 2018. | c.b.

Weitere Infos siehe auch: http://www.kunsthalle-muc.de


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