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Ausstellung

Kunst als ästhetischer Reiz im Widerschein durchaus politischer Intentionen


57. BIENNALE DI VENEZIA



Was ist vergänglich, was hat Bestand in unserer schnelllebigen Zeit? Auch über das diesjährige Angebot der 57. Kunst-Biennale in Venedig lässt sich da wie immer trefflich streiten. Der Pavillon der Lagunenstadt in den Giardini greift da gleich ein großes Thema auf und widmet sich ganz dem Luxus. Ob nun zur Darbietung des Widerspruchs oder einzig als Werbeveranstaltung für Touristen, bleibt dahingestellt. Man sieht sich als Schaufenster großer venezianischer Kunsthandwerkstradition. „Die sinnliche Schönheit Venedigs wird durch symbolische und sensorische Wahrnehmungen wiedererlebt, die auf verwobene Farben, Düfte, Lichtspiele verweisen.“ heißt es im Programm. Und so glitzert es golden im venezianischen Pavillon, die Düfte in den Giardini kommen allerdings eher aus den benachbarten Kanälen.



57. BIENNALE DI VENEZIA: Pavillon der zentrale Ausstellung in den Giardini | Foto (C) Stefan Bock


Die Liste der Länder ist lang - wer auf dem Gelände der Giardini keinen Platz gefunden hat, drängt sich in den Hallen der benachbarten Arsenale oder bespielt einen der vielen unbewohnten Palazzi mitten in der Stadt. Man kann also auf Entdeckungstour gehen, auch mit dem Vaporetto zu einem der Geheimtipps auf der Insel Giudecca fahren und im isländischen Pavillon einen Espresso trinken. Der Künstler Egill Sæbjörnsson hat zwei animierte Trolle geschaffen, die dort vom Geschmack der Biennale-Gäste berichten. Nicht nur ein lukullisches Erlebnis. Im finnischen Pavillon in den Giardini wollen Erkka Nissinen und Nathaniel Mellors ihren skandinavischen Künstler-Kollegen in Sachen Witz noch überflügeln. Ihre videoanimierten Aalto Natives philosophieren über eine neue Schöpfung nach finnischem Muster und alte, gefräßige Archetypen nach C.G. Jung.

Aber auch Ernsthaftes gibt es bei der Länder-Biennale. Der deutsche Beitrag Faust, eine Performance, mit der die Künstlerin Anne Imhof den archaischen Pavillon Germania bespielt, handelt von institutioneller Gewalt, und auch ohne die Performer und zwei deutsche Doggen, die nur zu bestimmten Zeiten anwesend sind, strahlt der leere Raum über einer Glasplatte viel Unbehagen aus. Dafür gab es den Goldenen Biennale-Löwen für den besten nationalen Beitrag. Eine sehr deutsche Geschichte, wie viele internationale Kritiker meinten. Anders geht es da in den benachbarten Pavillons zu. Die Briten haben die Künstlerin Phyllida Barlow mit ein paar Großskulpturen aus Holz, Stahl und Pappmache beauftragt. Das sind zumindest gute Fotomotive fürs Publikum. Folly (Torheit) heißt die gesamte Rauminstallation und hat laut Künstlerin auch was mit Vortäuschung zu tun. Archaisch wirkende Säulen, Wände und bunte Felsbrocken aus Pappmache.

Etwas leichter und flockiger, aber nicht minder bedrohlich wirkt da die riesige Schimmelpilzinstallation von Gal Weinstein im israelischen Pavillon. Eine Meditation des Verfalls mit echten Schimmelpilzkulturen an den Wänden. Die USA haben ihren Pavillon vom schwarzen Künstler Mark Bradford ausgestalten lassen. In seinem Gesamtkonzept Tomorrow Is Another Day (Morgen ist auch noch ein Tag) befallen das neoklassizistische weiße Herrenhaus dunkle Skulpturen, Wandmalereien und abstrakte Gemälde, die aus der Perspektive antiker Mythen der Medusa und des Hephaistos von schwarzen Schatten und finsteren Schiffen berichten. Von Sklaverei, Gewalt und düsterer Kolonialgeschichte wird auch viel in den langgestreckten Hallen der Arsenale erzählt. Die neuseeländische Künstlerin Lisa Reihana hat ein breitformatiges fortlaufendes Video nach Bildern von der Ankunft James Cooks und seiner Begegnung mit den Ureinwohnern mit echten DarstellerInnen geschaffen. Ein filmisches Reenactment und fast schon idyllisches Breitbild-Diorama einer vergangenen Zeit mit bleibenden Nachwirkungen auf die Gegenwart.



57. BIENNALE DI VENEZIA: Mark Bradford mit Tomorrow Is Another Day im Pavillon der Vereinigten Staaten von Amerika | Foto (C) Stefan Bock


Fast schon brutal sadistisch wirken dagegen die in Holzplatten geschnittenen dystopischen Zukunftsvisionen mit dem Titel What Can Go Wrong von Menschen ausbeutenden und massakrierenden Aliens auf Erdurlaub des lettischen Künstlers Miķelis Fišers. Von institutionalisierter, religiöser Gewalt berichten auch die Länderpavillons von Malta und den Philippien mit einem überdimensionalen Rosenkranz aus Kinderköpfen oder Tafelbildern mit Darstellungen körperlicher Pein. Da nimmt sich der wie Frankensteins Höhle ausstaffierte italienische Pavillon fast noch human aus. Aus Paraffin hergestellte Körper liegen hier in Folienzelten und warten auf die Auferstehung als Heiligenreliquie. Imitazione di Cristo nennt der Künstler Roberto Cuoghi seine Großrauminstallation. Wer es noch opulenter mag, ist im chinesischen Pavillon mit einer groß angelegten Multimediashow aus traditionell asiatischen Künsten richtig.

Für sein Projekt Life in the Folds hat der mexikanische Künstler Carlos Amorales eine eigene Schriftsprache erfunden, die er multimedial für eine Geschichte aus Klang und Video nutzt. Ein archaischer Holzmaskenwald (Werken) von Bernardo Oyarzún bevölkert den chilenischen Pavillon. Weitere interessante Einzelpositionen in der Arsenale-Hauptschau „Arte Viva Arte“ gibt es u.a. mit Francis Upritchards Puppen, feministischen Werken der libanesischen Künstlerin Huguette Caland und einer überbordenden Rauminstallation mit Skulpturen und Videos der irisch-deutschen Aktionskünstlerin Mariechen Danz. Und der deutsche Konzeptkünstler und Bildhauer Franz Erhard Walther hat für seine Wandinstallationen aus Stoff ebenfalls eine Goldenen Löwen erhalten.

Der südafrikanische Pavillon zeigt interessante Videoarbeiten. In Love Story von Candice Breitz erzählen Alex Baldwin und Julianne Moore reale Fluchtgeschichten von Menschen aus Syrien, Somalia und dem Kongo. Und Mohau Modisakeng beschäftigt sich in Passage mit der postkolonialen Geschichte Südafrikas und der Frage sozialer und politischer Anerkennung. Einen anderen Blick wagt der australische Pavillon mit Foto- und Videoarbeiten von Tracy Moffat. In Vergil, einem Werk über die Tragödie der Massenmigration von Flüchtlingen nach Australien, kombiniert die Künstlerin grobkörnige Fernsehbilder von sinkenden Flüchtlingsbooten mit Schreckensposen berühmter Hollywoodstars wie Elizabeth Taylor, Julie Christie und Rock Hudson.

Der dänische Künstler Olafur Eliasson lässt in der Hauptausstellung in den Giardini Flüchtlinge und anderen Biennalebesucher aus von ihm vorgefertigten Modulen stylische Leuchten bastelt. In den weitläufigen Ausstellungshallen geht es teilweise auch sehr retrospektiv zu. Dort werden u.a. die in den 1960-70er Jahren entstandenen Gesichtslandschaften des kürzlich verstorbenen Malers Marwan und Werke des bereits 2012 gestorbenen österreichischen Konzeptkünstlers Franz West gezeigt. Der rumänische Pavillion widmet der Universalkünstlerin Geta Brătescu eine bemerkenswerte Werkschau. Den russischen Pavillon bespielt ein ganzes Künstlerkollektiv bestehend aus Grisha Bruskin, Sasha Pirogova und der Recycle Group. Grisha Bruskin hat ein raumgreifendes Setting aus weißen Skulpturen als Symbol für die Geschichte von Massenideologien, Krieg und Terror gebaut. Lustig geht es wie immer bei Erwin Wurm im österreichischen Pavillon zu. Der Meister der One-Minute-Skulpturs hat davor einen ganzen Laster auf den Kopf gestellt. Von oben lässt es sich laut Künstler stillstehen und aufs Meer schauen.

Meditieren lässt es sich auch vor den verwischten, wie Schwarz-Weiß-Negative wirkenden Fotos des Belgiers Dirk Braeckman. Der ukrainische Pavillon im Stadtteil Canarechio zeigt als Medienkritik die von Boris Mikhailov bis zur Unkenntlichkeit digital fragmentierten TV-Bilder von ParlamentarierInnen. Wer einmal selbst zum bestaunten Kunstobjekt werden möchte, stelle sich unten am japanischen Pavillon an und stecke seinen Kopf in das Loch oben in der Decke. Zu guter Letzt noch eine positive Vision. Der vom deutschen Kulturmanager Martin Roth unter dem Motto UNDER ONE SUN. The Art of Living Together kuratierte aserbaidschanische Pavillion an der Campo Santo Stefano setzt mit Installationen aus verschiedenen Instrumenten auf die sprachliche und religiöse Schranken überwindende Kraft der Musik. Mozart würde vermutlich die Ut (eine Art Laute) spielen.



57. BIENNALE DI VENEZIA:
Im Pavillon von Aserbaidschan | Foto (C) Stefan Bock


Stefan Bock - 7. November 2017
ID 10354
Weitere Infos siehe auch: http://www.labiennale.org


Post an Stefan Bock

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Venedig zwischen Fake und Faszination



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