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Portrait

SCHIRIN

FATEMI


Südlicht – Nordlicht – Waldlicht


Schirin Fatemi in ihrem Atelier | Foto © Ulf Jasmer, 2017

Im Atelier herrscht lichte Harmonie und penible Ordnung. Rechts neben der Künstlerin ein Blick auf ihre aktuellen Arbeiten. Direkt hinter ihr das Fenster in die Natur. In der Renaissance sprach man zum ersten Mal vom Fenster als Bild, vom Blick nach draußen, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis auch der Künstler zum Malen ins Freie ging und aus idealisierten Landschaften reelle wurden.

Vor dem Fenster grundiert Schirin Fatemi gerade eine weiße Leinwand mit einem dunklen Ockerton. Die Künstlerin hat diese Technik von den Renaissancemalern übernommen, auch sie bereiteten so die Basis für ihre Landschaften vor. Dieser primordiale Erdton ist oft Bestandteil ihrer Arbeiten und verrät, wo sie ihre Motive sucht, wo ihre Leidenschaft liegt, was sie auch außerhalb der Kunst bewegt und wo sie Ruhe und Glück findet: es geht um die Natur, wie die Zivilisation damit umgeht und die Konsequenzen daraus, sei es Klimawandel, Zerstörung oder Mutation von Feld und Wald oder das Thema Nachhaltigkeit. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum in den letzten Jahren immer mehr Menschen ihre mosaikartigen, expressionistisch-kubistischen Landschaften betreten haben.

Am Weinberg entstand 2017. Auf 50 x 100 cm drückt Schirin hier ein Natur- und Umweltbewusstsein aus. Das Bild ist dimensionslos und könnte genauso gut eine ganze Wand füllen. Wie eine Mahnung steht die Person im Bild. Der Mann selber ist eine symbolische Landschaft und wirkt irgendwie verzweifelt, fast ein wenig linkisch steht er in dieser herbstlichen Farbenpracht, unter ihm eine moorige braun-beige, von Sonne ausgebleichte Flusslandschaft. Entweder er hat seinen Platz noch nicht gefunden, oder er will schon wieder weg, zufrieden ist er jedenfalls nicht. Die satten, blau-grünen Weinreben spiegeln eine falsche Idylle vor und scheinen ihn gar nicht zu interessieren. Sein nach oben gerichteter Blick sucht sorgenvoll die Ferne. Seine Kleidung ist Teil der Landschaft. Die Künstlerin lässt hier einen Dialog zwischen Mensch und seinem natürlichen Raum entstehen. Ein Thema, mit dem sie sich gerade in ihren letzten Arbeiten viel auseinandersetzt. Die Motive sind ihre eigenen, Selbsterlebtes oder Gesehenes. Dieses hier entstand nicht in ihrer Wahlheimat Rom, sondern beschreibt einen Flecken an der Mainschleife bei Volkach, in der Nähe von Würzburg, wo Schirin geboren wurde. Für sie steht die Person im Bild stellvertretend für die Menschheit. Am Weinberg wurde 2017 für den Andreas Kunstpreis Natur-Mensch nominiert.



Am Weinberg (2017) | (C) Schirin Fatemi


In der bedeutenden Ausstellung Horizonte vor sechs Jahren hat Schirin Fatemi die Weichen für ihre zukünftigen Arbeiten gestellt. Horizonte ist eine Ankündigung auf das, was alles noch kommen wird, ein Versprechen auf die Befassung mit ganz unterschiedlichen Stilen und Perspektivänderungen, ein virtuoser Spaziergang zwischen zarten Aquarellen, licht-durchfluteten Landschaften, brennenden römischen Kuppeln, Portraits, metaphysischen Stillleben mit einem Hauch Surrealismus, eine Konfrontation von unterschiedlichen Lichterfahrungen und Farbexperimenten. Wegweiser zu ihrem ganz persönlichen Expressionismus. Eine Mutation der Klee'schen Farbparzellen zu verbalen Mahnungen. Klee suchte sich seinerzeit seine Lichterfahrungen in Tunesien, Schirin fand und findet sie meist in Italien und nimmt sie mit auf den Weg von der Moderne zu einem spannenden Neo-Expressionismus.


„Es gibt Maler, die die Sonne in einen gelben Fleck verwandeln. Es gibt aber andere, die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln können.“ (Pablo Picasso)


Eines meiner Lieblingsbilder ist ein Selbstportrait. Es entstand 2016, und die Künstlerin nimmt fast die komplette Leinwand in Beschlag. Sie sieht in die Ferne, vielleicht nach Italien, in ihre Wahlheimat, vielleicht aber auch in den Iran, wo ihr Vater geboren wurde. Drei Farben stechen hervor: ein erdig-brauner Hintergrund, der sich nach unten in blau-orangen Tönen verliert, eine blaue Tunicabluse und eine rostbraune Hose, die mit der Farbe der Haare spielt. Auch hier spürt man es wieder, das große Farbgefühl der Künstlerin und die eminente Bedeutung des Lichtes.

Gegenwärtig befasst sich Schirin Fatemi mit dem Wandel, interpretiert Veränderungen, die der Erde und ihre eigenen. Wasserwege ist ein work in progress. Frühere Werke holt sie dazu wieder auf die Leinwand wie das Gemälde Am Fluss, das nun mit Bildern aus der Serie Wasserwege I und III zu einem Triptychon vereinigt wird.

Mit der Arbeit an der aktuellen Serie Wasserwege bewegt sie sich weit weg von einer anderen bedeutenden Serie, die 2015 in den italienischen Marken entstand. Dort, wo der Künstler Gentile da Fabriano wirkte, brachte Schirin Fatemi Kulturlandschaften auf die Leinwand. Schön ordentlich angeordnet sind sie, die Felder, Weinberge, Wälder oder Wiesen einer zeitlosen Landschaft, die von antiken Wegen durchzogen und geprägt ist. Die Welt scheint hier im Einklang mit der Natur zu liegen, und es gibt nichts, was uns beunruhigen könnte.

Anders heute! Die Gemälde Wasserwege I, II oder III beschäftigen sich auf den ersten Blick mit dem gleichen Stück Landschaft zu unterschiedlichen Tageszeiten, vielleicht. Wasserwege II ist hell, sommerlich, braun, das schwarze Rinnsal schält sich aus der grünen hügeligen Sumpflandschaft, kommt auf uns zu und mündet vielleicht gerade in einen Teich. Wasserwege II kommt der Terre gentili- Serie am nächsten. Wasserwege III hingegen zeigt Sonnenuntergangsstimmung. Der schwarz-goldene Fluss sucht sich seinen Weg von links nach rechts durch orange-lila Weiden. Im Hintergrund kündigen Häuser die Zivilisation an. Wasserwege I hingegen kommt wuchtig, drohend daher. Es ist Nacht, und es scheint windig zu sein. Mutig, selbstbewusst, drohend, dominieren hier die Farben Grün und Blau. Häuser gibt es nicht auf diesem Bild, dafür sind Waldgeister unterwegs. Bei dieser Serie ist die Künstlerin ihren bevorzugten Farbtönen Rot, Blau, Grün, Braun erstmals treu geblieben, setzt sie aber ganz anders ein. Das Auge des Betrachters füllt sich mit dicken Farbschichten, einzelne Bestandteile des Gemäldes werden isoliert und zur Skulptur.



Wasserwege I (2018) | (C) Schirin Fatemi


Terra incognita nennt sie ihre Ausstellung, die vom 9. bis 17. Juni 2018 im Ringelheimer Mausoleum zu sehen sein wird. Der Titel ist eine Fortsetzung von Werkserien wie Seewärts, Landeinwärts oder Horizonte.

Dann gibt es aber noch die andere Künstlerin, diejenige, die sich mit Radierungen beschäftigt und intime, sehr arbeitsintensive Kupferstiche hervorbringt, die viel Zeit und Muse brauchen. Schirin Fatemi würdigt bei diesen Arbeiten die bedeutenden Kupferstecher wie Piranesi oder Dürer. Großartig kommt sie daher mit wunderbaren Radierungen von römischen Motiven, die in den letzten Jahren entstanden sind, oder neueren, symbolistischen Arbeiten.

John Miltons gefallener Engel findet sich im Wasser wieder oder versucht sich verschämt hinter den Blättern eines Baumes zu verstecken. Aber das Licht lässt dies nicht zu.



Lost paradise - Aquatinta-Radierung auf Kupferplatte (2017) | (C) Schirin Fatemi


Die Aquatinta-Radierungen Lost Paradise oder Lichtung entstanden 2017, und hier beweist die Künstlerin wieder einmal, dass sie Berührungsängste nicht kennt. Mit Lost Paradise kokettiert sie mit dem englischen Symbolisten William Blake oder mit dem orientalischen Holzschnitt. Eine Streuobstwiese im Naturpark Schorfheide-Chorin hat Schirin Fatemi zu diesen Arbeiten inspiriert. Die Radierungen sind aber oft Wegbereiter für spätere Bilder wie das bei Lost paradise der Fall ist.

*

Geboren ist die Künstlerin in Würzburg. Sie lebte in Osterode und Göttingen, bevor sie in Italien (Bologna und Rom) ein Kunststudium begann. Direkt nach ihrem Studium arbeitete Schirin Fatemi im Bereich Szenografie für Theater und Fernsehen. Die Künstlerin geht ihren ganz eigenen Weg und folgt nicht immer allen angesagten aktuellen Tendenzen. Sie ist eine zeitlose und begeisterte Landschaftsmalerin und eine ausgezeichnete und leidenschaftliche Beobachterin, die sich anhand von Fotos und Zeichnungen sehr gründlich auf ihre Arbeiten vorbereitet.
Anlässlich eines gemeinsamen Projektes zum Thema Globalisierung und Kommunikation hat sie 2014 kurz die Natur verlassen, um sich mit der digitalen Welt auseinanderzusetzen. Die Austauschausstellung HelloWorld fand zeitgleich in San Francisco und Hannover statt.

Schirin Fatemi ist außerdem Gründungsmitglied im Kunsthof Mehrum e.V. - Raum für Kunst und Natur.


Christa Blenk - 3. April 2018
ID 10617
Weitere Infos siehe auch: http://www.schirinfatemi.de


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