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Portrait

NESTOR

BOSCOSCURO


Von polynesischen Fischen,
Mandalas und Gullydeckeln


Der Künstler Nestor Boscoscuro | Foto (C) Christa Blenk


Nestor Boscoscuro erzählt Geschichten: vom täglichen Leben, von früher, erfundene oder erlebte, idealisierte und realistische. Geschichten, die je nach dem Land oder Kontinent, in oder auf dem er gerade lebt, anders gehen, anders beginnen oder anders enden. Naturverbunden und beunruhigend, lebendig und einfühlsam sind sie, aber immer mit einem Augenzwinkern erzählt.

Der gebürtige Argentinier mit italienischen Wurzeln hat mit 25 Jahren sein Land verlassen und ist über Umwege auf den Polynesischen Inseln (Tahiti, Bora Bora, Moorea und Raiatea)  gelandet. Dort, zwischen Mythen, Legenden und Voudou lässt sich der gelernte Grafiker, Kunstmaler und Bildhauer nieder, taucht ein in die bunte und metaphernreiche Farbenwelt und verkauft in der ersten Zeit bedruckte T-Shirts und Pareos, die er selber entwirft und später Ölbilder in einigen individuellen Ausstellungen.  Anfang der 1980er Jahre setzt er sich in München intensiv mit Radierungstechniken auseinander. Seine Bilder nehmen nun expressionistischen Charakter an und verlieren die Leichtigkeit oder Sorglosigkeit der Südseeinsel. Arbeiten aus dieser Zeit erinnern an die Künstlergruppe Die Brücke.

In den 1990er Jahren zieht er nach Recife/Brasilien, und ein paar Jahre später verschlägt es ihn nach Indien, wo er die Welt der Mandalas entdeckt, die ihn nicht mehr loslassen soll.

Seine größte Arbeit entsteht allerdings in Brasilien: 0 + 0 (Acryl auf Leinwand) ist 390 x 205 cm groß und entstand 1993. Hier knallen Universum, Himmel, Erde und Unterwelt aufeinander und ertrinken im Meer. Eine Hommage an die Dämonenwelt von Hieronymus Bosch oder Max Ernst.



Nestor Boscoscuro: 0 + 0 (Acryl auf Leinwand) ist 390x205 cm (1993) | Foto (C) Christa Blenk


Später, schon in Bolivien, inszeniert er seine kleine, ironische Welt in Holzkisten unterschiedlicher Größe. Er arrangiert darin gesammelte Objekte, Papierschnipsel , Aufkleber oder Gebrauchsgegenstände und erzählt anhand von diesen entsorgten Artefakten das Leben einer Gesellschaft. Ein Fenster ohne Blick. Alles passiert innerhalb der Holzwände, und Nestor Boscoscuro ist der Theater-Regisseur.

Bei Nestor Boscoscuro kann man sich nicht auf eine Beständigkeit seiner Arbeit verlassen, es gibt keinen Boscoscuro-Stil, sein Stil ist, dass er eben keinen hat und aus jedem Ort das Versteckte und Hintergründige oder nicht gleich Offensichtliche sucht und hervorholt. Er ist ein Seelenritter - und damit sind wir auch schon bei seinen Escudos Urbanos (Urban shields).



Nestor – (urban shield von Nestor Boscoscuro) | Foto (C) Christa Blenk


2001 kommt er zum ersten Mal nach Berlin und legt den Grundstein für sein Lebenswerk. Dieses work in progress wächst sozusagen mit jeder Reise. Der Grund sind Gullydeckel!

Auf einem seiner Spaziergänge durch die Stadt steht er eines Tages auf einem besonders schönen Exemplar und beschließt, diese Abwasserdeckel, die man generell gedankenlos überquert ohne ihnen einen zweiten Blick zu widmen, zu seinem nächsten Kunstprojekt zu machen. Nestor Boscoscuro hat uns die Schönheit eines Gullydeckels erklärt. Der erste Abdruck entsteht auf dem Gendarmenmarkt. Boscoscuro reist nun, mit den Augen auf den Boden gerichtet, durch die Welt immer auf der Suche nach besonderen Exemplaren und sammelt sie alle ein, aber nicht so, wie das die Minimalisten oder Hyperrealisten in den 1970er Jahren gemacht haben, in dem sie das Objekt maßstabgetreu nachbilden. Auf den ersten Blick kokettieren diese Einfälle auch mit dem Minimalismus. Er verlässt den Weg aber gleich wieder, trägt dick abwaschbare Farbe auf und nimmt einen Abdruck. Diese Abzüge haben viel mitzuteilen: sie wissen, in welcher Stadt, ja sogar in welchem Bezirk man sich befindet und wer alles darüber gegangen ist. Sie erzählen von der unbekannten Welt unterhalb des Gullydeckels und von der bekannten darüber. Manche Gullydeckel sind nach der Fertigstellung nicht mehr als solche zu erkennen. Sie nehmen ein Eigenleben an, andere mutieren zu Labyrinthen oder Spiralen. Wenn man die unterschiedlichen Abdrücke betrachtet, sieht man erst, wie ausgefallen und einmalig einige sind. Seine Escudos Urbanos (urban shields) mutieren zu Mandalas, sie werden geometrische Bilder mit symbolischer oder religiöser Bedeutung, die Himmel, Erde, Unterwelt und Universum verkörpern. Die rote Farbe gibt ihnen etwas Primordiales, etwas Archaisches.

Aber die Gullydeckel sind beständig und geduldig, es gibt sie an jedem Ort der Welt, und sie warten auf ihn. In seiner bisherigen Sammlung ist z.B. einer aus der italienischen Höhlenstadt Matera, dann gibt es welche aus Meißen, Bamberg, Ingolstadt, Augsburg und Potsdam. Aber auch die Städte Peking, Sao Paulo, Pyräus, La Paz, Buenos Aires, Madrid, Asunción oder Rom gehören zur Mandala-Gullydeckel-Sammlung. Eine ganz besonders schöne Arbeit kommt aus Athen. Hier vermutet man eher, dass der Abdruck von einer antiken griechischen Vase gemacht wurde und nicht von der Straße: ein Kämpfer, vielleicht Hektor, der große Trojaner in einer Ruhephase thront darauf. Boscoscuro hat die Arbeit Nestor genannt, nach dem weisen, griechischen Herrscher von Pylos.

Dieses öffentliche action painting wird immer von einem jungen Filmemacher aus dem jeweiligen Land festgehalten. Einmal hat sogar ein junger Musiker die Musik dazu komponiert. In seinen Ausstellungen läuft meistens diese Gullydeckel-Odyssee als Filmprojektion an einer Wand, und es ist sehr interessant, wie die jeweiligen Passanten damit umgehen. Einige bleiben fasziniert stehen, stellen Fragen, andere schütteln den Kopf, und einmal hat sogar jemand die Polizei gerufen.

Zwischen 2007 und 2011 lebt Boscoscuro in Rom und verliebt sich in die Welt der Römischen Mosaike. In Workshops, geleitet von italienischen Künstlern, entstehen Werke und Arbeiten, die man auch im Archäologischen Museum in Neapel finden kann. Unglaublich die Energie, die er immer wieder aufbringt, sich total auf seine Umwelt einzulassen und in ihr einzutauchen.

Mittlerweile lebt der Künstler erneut in Berlin - bis auf die harten Wintermonate, die verbringt er lieber in seiner Heimatstadt Buenos Aires. Das urban shield -Projekt geht weiter, und Nestor hat noch viele Reisen vor sich, obwohl er zwischendurch immer wieder mit der Realisierung von neuen Einfällen und Projekten beschäftigt ist. So arbeitet er zur Zeit mit Holz und fabriziert ironische Holzskulpturen-Landschaften.

Die Welt ist rund und groß – wie ein Mandala.



Nestor Boscoscuro mit einer seiner südamerikanischen Natur-Rasseln | Foto (C) Christa Blenk


Ansonsten ist der Künstler ein begeisterter Musiker/Trommler und hat sich Instrumente aus vielen Teilen der Welt mitgebracht. Aber am liebsten trommelt er auf einer Säule, die in seinem Atelier steht; dazu muss er aber vorher eine Büste herunternehmen. Und wenn er nicht mit Kunst oder Musik beschäftigt ist, dann kocht er, und auch hier hat er Rezepte aus der ganzen Welt gesammelt.


Christa Blenk - 8. August 2017
ID 10181


Post an Christa Blenk

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Künstler, Galerien und Museen im Portrait



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