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Feuilleton

Boden-Labyrinth, „Gärten der Welt“, Berlin Marzahn.

Der Atem des Labyrinths
oder wie Horizont sich verdoppelt

Die singuhr-hörgalerie in den Wasserspeichern/Prenzlauer Berg. Teil 1: Der Ort

Text: Gerald Pirner
Foto: Adel

Man wechselt das Labyrinth. Das Labyrinth ist nicht mehr Kreis oder eine Spirale, und aus deren Verwicklungen herrührend, sondern ein Faden, eine gerade Linie, ebenso geheimnisvoll wie einfach, unerbittlich… (Gilles Deleuze)

Hörlandschaft aus Plauderei und Kinderstimmen. In feinem Knirschen durch Sand oder Splitt zieht ruhig ein Rad vorbei und tut das so gemächlich, dass die ferne Ahnung von Motoren für einen langen Moment dahinter verschwindet. Schritt um Schritt etwas genähert, das solch Draußen nicht weiter lässt. Flüchtig alle Geräusche vor ihm in einem Vorraum versammelt, um ihnen weich aber bestimmt seine eigene akustische Welt überzuziehen. Nicht zuletzt wohl seiner wechselvollen Geschichte wegen wirkt er wie eine verwunschene Zone, der auch das vertraute Berliner Backsteingemäuer das Fremdkörperhafte nicht zu nehmen vermag. Zu Klangkunsträumen saniert beherbergen die beiden Wasserspeicher im Prenzlauer Berg – der kleinere nur wenige Meter vom größeren entfernt – die vormals in der Parochialkirche/Klosterstrasse untergebrachte singuhr-hörgalerie, deren wechselnde Ausstellungen zeitgenössischen Künstlern die Auseinandersetzung mit Raum und Räumen in Klanginstallationen und –skulpturen ermöglicht. In der weltweit einzigartigen Einrichtung dieser Art entstanden so künstlerische Antworten auf architektonische Verhältnisse Kommunikationen Interaktionen mit geradezu verstörender Akustik. Desgleichen aber fanden auch andernorts bereits aufgeführte Werke einen neuen Raum, der sie, und noch mal ganz anders, entfaltet und sie wiederum ihn.

An einer schweren Plastikplane die Hand und dass man noch warten solle so eine Stimme. Nur eine bestimmte Anzahl dürfe hinein. Kühl und hart ist sie diese Plane wie eine längst erkaltete Tierhaut, die auch die Sonne dieses warmen Tages nicht dazu bringt Leben vorzugaukeln. Träge nur gibt sie der Hand des Blinden nach an einen Fabrikeingang ihn erinnernd und wo kein Bild ihm Wirklichkeiten eingrenzt zuckt sie kurz zurück wie der Kollege der gerade noch zur Seite springt als der Gabelstapler unter ihr hervorbricht. Geräusche Reste von Tönen Klangspuren wie Ankündigungen in Wellen herausdringend und als die Plane und mit Wucht zur Seite geschoben stürzt Welt in einen anderen Aggregatszustand reißt den Eintretenden da hinein mit. Kaltfeuchte Luft, in erdig kalkigem Geruch Zeit stillgestellt. Ein Geruch der eher an natürlich gewachsene Höhlungen oder Grotten denken lässt denn an von Menschenhand erbaute Architektur. Unwillkürlich die Hand nach hörbarer Verschattung getastet findet eine aus handbreiten Steinen gemauerte Wand - vielleicht auch nur eine Säule. Leicht schmierig sie, er wischt die Hand an die Hose und horcht. Klang in Streifen und Gesprenkel der in gemauerte Gänge führt, verlockend wie Ariadnes Faden, nur dass der hier ins Labyrinth hineinzieht und nicht wie der ihrige wieder heraus. Mit Richtungen und Pfaden aus Klang- und Geräuschgewebe gleich am Eingang verführt verspielt sie in ihre eigenen Echos - oder ob das die Schritte der anderen oder ob das ihre Stimmen von Nische zu Nische geworfen und fragmentiert…


VICE VERSA, Schwimmerturm Großer Wasserspeicher.


Blindes Raumhören, in der Klangkomposition freilich verstört, lässt den Schritt laut und unter den Schlägen des Stockes durch das eigene Echo hindurchschlurfen. Nach rechts zunächst und fest die Sohlen über Grobsandiges gestreift, den Stock gegen die Wand pendelnd entlang Mauervorsprüngen gerollt bis er gegen etwas Plastikartiges knallt, das der Handgriff als Neonröhre erfasst. Zerstäubt sofort die romantisch schaurige Stimmung eines Edgar Ellen Poe, der seine Leser so gerne in Gewölbe dieser Art führt um sie dort die Zähne der Berenice finden zu lassen oder die lebendig begrabene Schwester. Das Bild antiker Labyrinthbauten aber bleibt - nur dass der Wasserspeicher dem Besucher die Entscheidung überlässt sich von der unausweichlichen Spirale zum Ende führen zu lassen oder durch die vier konzentrischen Mauerringe zu flanieren. In einem Labyrinth verläuft man sich nicht. Unausweichlich wartet an seinem Ende etwas Ungeheuerliches, das für die Moderne eher das eigene Selbst denn der Minotaurus… Heraus und als Faden führt hier nur das Begehren, den Abgrund mit einem Bild belegend, an dem Wunsch sich hält um nicht ins Bodenlose zu stürzen.

Regelmäßig das Mauerwerk so aufgebrochen, dass von einem jeden der konzentrischen Ringe zugleich zum Kern wie zu den anderen Backsteinkreisen zu gelangen, ermöglicht der Große Speicher eine Unzahl von Wegen durch sein Rund und in ihn hinein – Wege freilich die auch Klang Geräusch und Ton durchstreifen sich dabei gegenseitig durchdringend vermischend und vom Gemäuer überall anders gebrochen verschattet verdichtet und verschoben. Die Geräusche in diesem Raum sind nicht berechenbar. Sie entziehen sich aller Feststellung von woher etwa sich Schritte nähern, ob, was da in rhythmischem Rauschen verflüssigt, überhaupt menschlicher Bewegung entspringt oder an welcher Stelle gerade welches Geräusch oder welche Stimme… Verstärkt diese akustischen Effekte durch eine Luft, die unentwegt in Bewegung scheint obschon hier freilich kein Durchzug und der modrig muffige Geruch belegt dies, lässt eine Ahnung von Verlorenheit aufkommen, und erst recht wenn sich etwas nähert, was Schritte sein könnten und der Hörende und sei es nur für einen Moment aller Orientierung verlustig. Unaufhörlich ein Hauch an der Haut, ein Wehen so als atme dieses Gebäude, so als wäre es nicht nur gerochen sondern rieche an dem, der in ihm sich bewegt.

Mit einem Konzertwochenende im September beendete die singuhr-hörgalerie die diesjährige Klangkunstsaison in den Wasserspeichern. Entlang der Arbeiten die 2007 in den Speichern zu hören, sollen in zwei Texten künstlerische und ästhetische Positionen zum Hören von Raum in Zeit, von Dauer in Raum, und zur Trennung der Sinne vom Bild herausgearbeitet werden. Ein Faden, dem dabei nachgetastet - von anderen freilich gekreuzt verknotet verstrickt - ist der taktiler Gestalt von Ort und Geschichte geöffnet im Hören von Draußen. Es ist der Versuch Hören mit der Haut zu denken, aus einem Werk gehörtes wie alles was hier spricht. Von einem Raum aus einem Ort nachhören der 1933 bereits der Vernichtung gedient. Einem Ort nachhören der vor kurzem von Wildnis in „Zivilisation“ hinübersaniert.


VICE VERSA, Großer Wasserspeicher


Das Naheste und seine Ferne
Tief schwingend ein Geräusch in Dauer bei gleicher Tonhöhe die Wellen spürbar verschoben. Dringt überall hindurch und hinein lässt nichts aber zu sich. Klickende Schläge davor als ob nur so Ort wäre. Fest ihre Konsistenz und so hoch wie hart sie. In weiten Sprüngen die Tiefe des Raums ausgegriffen. Kurze Einschläge an denen er sich zu-gehört… Scharf umrissen und dicht dieses Klicken. Kalte Materialien aufeinander, nein nicht Stein auf Stein, bliebe das Geräusch dann doch eher tonlos bei sich. Auch nicht Metall auf Metall, das schwänge mehr nach. Eher Metall in kleiner Form auf Fels, zur Erkundung von Beschaffenheit etwa, wie das Geräusch selbst es mit dem Raum tut. Die Präzision des Klickens an verschiedenen Raumstellen, die Exaktheit seiner Wiederholung, verschwendet keine Mühe Material zu simulieren, stößt solches nur assoziativ an um von hier aus und ganz anders über Raum Geräusch und Material, über Natur und Kultur reflektieren zu lassen.
Ruhig und mit langsam in sich verschobenen Wellentakten, von denen nicht gesagt werden könnte ob sie und wie auch immer in Elektronik programmiert, oder den Bewegungen des Hörenden oder den, alle akustische Stabilität untergrabenden Gangwindungen entspringen, schwingt der horizontale Klangbordun in vertikal gelagerte Streifen von Obertönen vor ihm, die vorsichtig und mal einzeln und mal zusammen auftauchen und wieder verschwinden, wie die Sprossen einer schwadenverhangenen Leiter. Einschränkung und zugleich Tragfähigkeit in diesem Nachoben erwirkt, bildet der horizontale Geräuschklang mit ihm die abendländische Denkmatrix schlechthin, das Kreuz: Cartesisches Koordinatenkreuz, Markierung des Standorts, Symbol des Schmerzes als Voraussetzung eines jeden Überganges akustisch hier in Robin Minards Arbeit Vice Versa ohne alle Aufdringlichkeit skizziert. Dennoch aber füllt dieser Horizont alles aus, lässt nichts hinter sich kommen, macht Raum, und erst recht vor seiner gekreuzten Höhe, zu unhintergehbarer Endlichkeit, in deren Verzeitigung Dauer immer ins Unfassbare entwischt. Alles lässt dieser Horizont zu, nichts aber geht über ihn hinaus. Alles findet vor ihm Statt, und selbst der 18 Sekunden lange Nachhall des Speichers – vom tiefen Horizontbordun abgetrocknet wenn auch nicht verdeckt – scheint aus ihm erst herauszuschwingen. Alles durchdringend – und noch im Blindenstock seine Wellenrhythmen zu spüren – scheint er das Naheste und ist, so sich ihm zu nähern versucht immer das Fernste das Unerreichbare das Unfassbare, ohne dass sich aber etwas entfernte. Selbst in seiner Dynamik zurückgenommen, zieht dieser Horizont sich nicht aus dem Räumlichen, bleibt so anwesend wie trocken wie durchdringend. Kein Dazwischen ist hier und Zeit gleichsam räumlich vor ihm. Was sich an Dauer aber zeigt, ist da und fort zugleich.


VICE VERSA, Schwimmerturm Großer Wasserspeicher.


Minard ist nicht an Mysterien interessiert. Nüchtern greift er Assoziativität auf, stellt sie in elektronisch bearbeiteten Geräuschen deutlich erkennbar aus ohne ihre Produziertheit dabei zu verbergen. Im Kern des Speichers eine Holztür mit einem kleinen rechteckigen Loch. Dahinter im Ohr scheinbar abgeschirmte Stille. Das vertikal gespannte Stahlseil ist nur zu sehen und zu hören auch nicht wie es von Körperschallerregern in Schwingungen versetzt, die von ihm abgenommen und vom Schwimmerturm aus auf die Lautsprecher im Speicher verteilt. Verhältnisse und Beziehungen von Mensch zu Natur – Minard stellt sie in Vice Versa als schon immer von Kultur überformt dar. In Sprache sie gleichzeitig hervorgebracht und verdoppelt ohne dass solch Double sich fassen ließe, erscheint Verdinglichung des Dings als Illusion: Wo Mensch aber an sie glaubt, und das zeigt gerade der Ort an welchem hier Kunst geschieht, hinterlässt sie nichts als Zerstörung und Vernichtung.

Deutlich das Bild von der Naturüberformung im Dualismus zwischen Feuchte und Trockenem, Werden und Handeln, Materie und Mensch: Getropfe auf Festes und Wasser in Wasser auf verschiedene Tonhöhen verspritzt, fein ziselierte Gespinste aus Rinnsalen; ihre Unterschiedenheit aber vom Festkörpergehämmer bei näherem Hinhören verloren. Konnotationen menschlicher Arbeit und natürlicher Höhlung von Stetigkeit in Feuchte und von zu Bestand erbauten Mauern - Bedeutungen und Sinnfälligkeiten aus Geräuschäußerungen herauszuhören und herausgehört dabei zugleich wie das Gehörte referenzlos das Hören mitsamt seiner Wirklichkeit hinterfragt.

Die Austauschbarkeit von Wahrnehmung Wirklichkeit und Welt, zwischen Poststrukturalismus und Postmoderne längst zur Plattitüde geworden, wird bei Vice Versa allerdings vom Raum selbst konterkariert. Minards Arbeit geht dabei über die mittlerweile nicht selten zu Pädagogik verkommene Wahrnehmungsverunsicherung hinaus, nicht zuletzt auch konstruktivistische Ansätze hinterfragend, denen nach, einer Grenze entlang alles im Denksystem ausgezeichnet. Denn was da so in sprachlicher Bedeutbarkeit spielerisch verschwimmt und vom Hirn gedacht und denkbar präsentiert, gerät plötzlich nochmals und ganz anders in Taumel, wenn etwa zuerst das Ferne weil leisere Echo des Blindenstocks erscheint und danach das viel nähere und kraftvollere. Oder wenn zwischen den Mauerringen Schritte zu allumfassendem Rauschen ausgebreitet, so dass Sie, die sich dem Blinden nähert ganz unvermittelt vor ihm steht, weil näher kommen nicht aus den Verschwappungen seiner Echos mehr herauskommt. Die elektronische Entzauberung der Täuschung wird selbst hier entzaubert und erscheint erneut als nichts anderes denn als Täuschung.


VICE VERSA, Großer Wasserspeicher


Text: Gerald Pirner
Foto: Adel - red / 17. Oktober 2007

ID 3486




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