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Kunst-Werke Berlin noch bis 20. August 2006

Das Selbe und das Gleiche

Zur Ausstellung Identität in den Kunst-Werken Berlin in der Auguststrasse, noch zu erleben bis zum 20 August 2006

Werke von Jason Dodge, Takehito Koganezawa, Michaela Meise und Robin Rhode.

Text: Gerald Pirner

Dass Identität per se nicht existiert, ist vielleicht der Grund für ihre verheerende Wirkung, bedarf sie doch immer des Maßes eines Außen, das etwas zusammenhält, was sonst keinem Selben entspräche. In diesem Äußeren des Maßes liegt auch die Nähe zu seiner Maßlosigkeit: denn ohne das Gleiche und den Vergleich der Identität keine Ausweisung, ohne Identität keine Ausbeutung, ohne Identität keine Folter, keine Hinrichtung, kein Massenmord.

Wer da aber bei der Ausschreibung eines Kunstförderpreises unter dem Thema Identität durch den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI, der derzeit in den Berliner Kunst-Werken die vier von seinen Juroren gekürten PreisträgerInnen präsentiert, Selbstkritik oder wenigstens Selbstironie erwartete, dürfte, zumal wenn er den für die Ausstellung erstellten Katalog zur Hand nimmt sehr schnell sehr ernüchtert werden. Frei nach immer noch für en vogue gehaltenem postmodernen Beliebigkeitsgeschwafel, wird da, bezogen auf die Arbeiten der PreisträgerInnen um einen „Raum strukturaler Leere“, einen „Resonanzraum“, einen „Möglichkeitsraum eher als einem Raum…des Faktischen“ schwadroniert. Mit dergestalt bestimmter „Verpflichtung auf Identität“ wird weder prämierten Werken noch Künstlern des Förderpreises ein Gefallen getan, zumal die meisten der nicht mit solch fragwürdiger Laudatio bedachten Arbeiten, wie den Seiten des Kataloges zu entnehmen, sich kritisch mit konkreten ökonomischen und politischen Folgen der Globalisierung auseinandersetzten, die nicht zuletzt auch von Aktivitäten weltweit agierender Unternehmen der deutschen Wirtschaft in nicht unerheblichem Maße hervorgerufen wurden und werden.

Dass es sich bei Identität aber dennoch um eine kleine aber sehr feine Ausstellung handelt, ist einerseits Räumlichkeiten und Präsentation durch die Kunst-Werke in der ersten Etage und der wie eine Galerie in sie von oben ragenden zweiten Etage zu danken, andererseits selbstverständlich den Werken der vier KünstlerInnen selbst, die sich subversiv der Vereinnahmung durch den Wirtschaftsverband zu entziehen verstehen.
Da ist etwa der in Berlin lebende japanische Künstler Takehito Koganezawa, der mit seiner Arbeit Dancing in Your Head den zweistöckigen Ausstellungsraum mit einem sich unentwegt verschiebenden Zusammenspiel aus Küchengeräuschen füllt, die durch ihre Nahaufnahme derart verfremdet, dass sie akustisch aus sich nicht mehr erkennbar, wodurch ein merkwürdiger Identifizierungszwang ausgelöst wird: bei Sehenden indem sie die Geräusche auf den drei vertikal übereinander gesetzten Videobildern zu erkennen suchen, bei Blinden indem sie möglichst nahe an die Lautsprecher herantreten, um die Geräusche voneinander zu lösen, was allerdings nur bedingt möglich, da auch sie vertikal und zu beiden Seiten der Projektionen angebracht, bis in die zweite Etage hinaufreichen. Die drei Filme - zu sehen unter anderem das Stechen mit Stäbchen in Melonen, das Aufgischten von Sekt, das Tropfen von Wasser, das Schneiden von Rettich, das Hin- und Herfüllen von Salz, das Ziehen einer Metallfeder über eine Kristallschale usw. – dauern unterschiedlich lang und müssen nach ihrem Ende neu gestartet werden; daher sind die im Raum als Gesamt hörbaren Geräuschkonglomerate niemals identisch, ein jeder Moment ist unwiederbringlich im nächsten verloren, wiederholt sich niemals: im Akustischen existiert keine Identität und was da mittels Bild identifiziert wird hat nichts mit diesem Moment zu tun, wird zu einem Augenblick festgestellt, der sogleich das Identifizierte verloren hat. Identität existiert nicht, Identifiziertes ist zerstört, die körperliche Anwesenheit dazwischen durchdauert Leben ohne erfasst werden zu können.



Ansicht der Installationen von Michaela Meise und Takehito Koganezawa Foto: Adel


Schritte durch einen mit Küchengeräuschen gefüllten Raum, weiche akustische Verschattungen dazwischen, dann die Stimme einer Frau, dass er bitte nicht näher kommen solle, dass es zu fragil sei, dass er es auch nicht berühren könne, es sei nicht fixiert… Wenige Worte zu Michaela Meises Skulpturen, ein blindes Bild an ihrer Statt: Stützen in nach oben gekippter U-Form und die meterhoch gezogen, bis sie ganz ausgedünnt und je zwei in Kreuzform übereinander geschoben, um einander Halt zu gebe. Vier solcher Zerbrechlichkeiten zu hören, alles zu ihnen Gesagte muss der Blinde glauben und nimmt darin das vorweg, was der Sehenden im zweiten Stock selbst widerfahren wird.
Jason Dodge: Umherflatternde Tauben in einem Bauer zu hören, zu sehen, Erzählung ihrer Geschichte, ein Text - zentraler Bestandteil der Arbeit – bedeutsam allerdings nicht in seinem Inhalt (Brieftauben, Eigner verstorben, auch ohne Eigner unauslöschbar auf seinen/ihren Heimatort programmiert) sondern der Text selbst, der den Kunst-Bezug zu Titel und Thema erstellt, darin mit seiner Hilfe Identifiziertes zu (Kunst-)Identität deklarierend… Über Ready Mades und Konzept-Art hinausgehend hält die Spannung der Werkelemente zueinander den Rezipienten in einer Art Schwebezustand bei sich, lässt ihn zu keinem Aussageende kommen, indem eine be-schließende Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen Rezipient, Text und Werkmaterial nicht mehr feststellbar rotiert, sich Identifiziertes und Identität aufeinander beziehen und zugleich in Frage stellen. Noch weiter geht Jason Dodge in seiner, an Sophie Calles verfolgende Beobachtungen erinnernde Arbeit, bei der die BesucherIn mit der Information konfrontiert, jederzeit könne eine hier bereits gesehene Frau, die Süd und Nordpol bereist habe, wiederauftauchen, ohne dass die Bedeutung des Hinweises über das hinauszugehen vermag, was die einzelne BesucherIn ihm zuzumessen bereit ist. Nur der Text ist existent, reflektiert an dem was er auslöst Wortwirklichkeiten in unterschiedlicher Weise durchschritten, körperlich in demjenigen werdend oder in der, die angesprochen, oder die sich ansprechen lassen…



Robin Rhode Foto: Adel


Die Frau mit der zusammen der blinde Autor dieses Textes die Ausstellung besucht, von einer anderen Besucherin angesprochen: „Wie beschreiben sie das“, gemeint die Videoarbeit von Robin Rhode – ein hier ganz anderer Weg des Werkes zum Text, denn ohne auf eine Antwort zu warten legt sie los… Hier einige Auszüge aus ihrer Beschreibung: „ Ne Person mit ner Mütze auf´m Kopf, Trainingsanzug, Turnschuhe, zielt auf einen Fernseher, aber alles gezeichnet, das einzig Reale ist die Person… Auf der Wand der Fernseher beschossen und nach dem imaginären Schuss explodiert die Waffe. Ne neue Waffe gemalt, die Schüsse aber gehen alle nach hinten los… Das Ganze hinterher geschnitten, man sieht ihn nie mit einem Pinsel, man sieht ihn nur mit seinen imaginären Objekten… Jetzt tritt er auf den Fernseher und in den Moment wo er darauf tritt, ist die Wumme wieder da…“
Bei aller herausragender Qualität von Ausstellung und Werken bleibt doch die Frage, warum das Thema Identität sich in gewissen Kreisen im Moment so hoher Beliebtheit erfreut. Dass KünstlerInnen aus finanziellen Gründen sich an Wettbewerben um Förderpreise auch unter dieser Themenstellung und unter dem Dach solcher Verbände beteiligen ist ihnen nicht zu verübeln. Setzt man Identität mit Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ in Beziehung – einer geradezu blasphemischen Variante des neutestamentarischen „Tu es Petrus“ (Du bist Petrus) allein dass als Christos die Elite der Bestverdiener dieses Landes sich aufschwingt um das niedere Volk inklusive Hartz-IV-EmpfängerInnen zu weihen – wird eigentlich sehr schnell deutlich, wer hier zu Lande hauptsächlich Interesse an Identitäten hegt. Allein in Zeit messbarer Identität des Arbeitsalltags ist Verwertung möglich, allein als Leistungsträger Identifizierte funktionieren im Sinne dieser Verwertung und allein solchem Funktionieren in fest identischem und identifizierbarem Rahmen wird, geht es nach dem Willen von Polit- und Wirtschaftsverbänden, ein Zugang zu Lebensressourcen zugebilligt. Diese von den Juroren der deutschen Wirtschaft ausgemachte „strukturale Leere“ landet dabei, wenn sie sich nicht der Identität der Künstlerschaft erfreut, in Anstalten…


Gerald Pirner - red / 9. August 2006
ID 00000002591

Weitere Infos siehe auch: http://www.kw-berlin.de/






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