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Feuilleton


Vom 08.10.2009 bis 14.02.2010

Europalia - China

Internationales Kunstfestival in Brüssel


Auf den ersten Blick würde man das kleine Land Belgien und das riesige China eher nicht als Zweiergespann sehen. Aber die Kunst macht es möglich. Als 2005 der belgische König Albert II. China besuchte, beschlossen die beiden Länder, die übernächste Europalia der chinesischen Kultur zu widmen. Bei näherer Betrachtung passt das dann doch zusammen. Die Europalia ist eines der größten Kunstfestivals Europas und zeigt innerhalb von vier Monaten rund 50 Ausstellungen und 400 Vorführungen. 1969 gegründet, findet sie alle zwei Jahre statt. Brüssel als Sitz der Europäischen Kommission will damit insbesondere den Ländern der EU ein kulturelles Denkmal setzen. Manchmal geht man aber über die Grenzen der EU hinaus. Der Volksrepublik China wurde in den letzten Jahren wegen der Olympischen Spiele in Beijing viel Aufmerksamkeit zuteil. Da die nächste Weltausstellung EXPO 2010 in Shanghai stattfindet, wird der Fokus auf China gerichtet bleiben. Grund genug, sich mit der 5000 alten chinesischen Kultur zu beschäftigen. So sind etliche Ausstellungsstücke erstmals außerhalb von China zu sehen. Die Ausstellung ist in vier Themenbereiche gegliedert: Unsterbliches China, zeitgenössisches China, farbiges China und China und die Welt.

Der belgische Künstler und Kurator Luc Tuymans stellt in der Ausstellung „The State of Things“ – „Der Stand der Dinge“ Exponate zeitgenössischer belgischer und chinesischer Künstler vor. Zusammen mit seinem chinesischen Kollegen Ai Weiwei und Fan Di’an , dem Direktor des Nationalen Kunstmuseums Chinas, NAMOC, gelang ihm eine beeindruckende Auswahl.


Liu Wei, We Love Nature


Bei einigen Exponaten werden westliche Einflüsse mit der Jahrtausende alten chinesischen Kunst der Kalligraphie verbunden. So hat Liu Wei mit „We Love Nature“ ein Werk geschaffen, bei dem sowohl Anklänge an die chinesische Landschaftsmalerei, aber auch an westliche Grafitti-Schmierereien zu finden sind. Genauso schemenhaft wie die Landschaft sind auch die Gesichter der Menschen im Gegensatz zu den strahlenden, klar erkennbaren Gesichtern der offiziellen Propaganda-„Kunst“.


Zheng Guogu, Deep Fried Tanks


Viele der chinesischen Kunstwerke scheinen aber überhaupt keine Tradition zu haben und sind deshalb kaum einzuordnen. Das lässt sich bedingt auf die Kulturrevolution in China zurückführen, bei der Mao Tse-tung in den 60-er und 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur die traditionelle Kunst verbot. Sein Angriff zielte auf die „Vier Alten“ ab: alte Bräuche, alte Gewohnheiten, alte Denkmuster und alte Kultur. Bei der Kulturrevolution verloren Hunderttausende von Chinesen ihr Leben, Schätzungen zu Folge vermutlich sogar Millionen. Ein weiterer Einschnitt war die gewaltsame Unterbindung von Protesten am Platz des Himmlischen Friedens 1989 in Beijing. Bei dem Massaker ging die Regierung mit Panzern gegen die Demonstranten vor und tötete dabei 3000 Anhänger der Demokratiebewegung. Verhaftungen und Hinrichtungen von Regimekritikern setzen sich bis heute fort. Die unabhängigen Künstler Chinas haben seitdem doch so etwas wie eine Tradition. Sie brechen aus dem Korsett der staatlichen Vorgaben aus. Luc Tuymans weiß: „In China besteht ein sehr großer Gegensatz zwischen den offiziellen Vertretern der Kunstszene und den unabhängigen.“ Während die anderen Ausstellungen des Festivals dem offiziellen China weitgehend Rechnung tragen dürften, hat Luc Tuymans bei „The State of Things“ den unabhängigen Künstlern Chinas bewusst viel Raum gegeben. Zheng Guogu hat Panzer in Spielzeuggröße geformt, die er in eine Speisehülle gesteckt hat, sodass sie Ähnlichkeit mit Peking-Enten haben: „Deep-fried Tanks“ von 1999. Das ist eine Anspielung auf das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens. Ausschreitungen werden in den chinesischen Medien verharmlost und mundgerecht propagiert. Da Regimekritik vehement unterdrückt wird, muss die Gewalt „geschluckt“ werden. „Deep-fried Tanks“ ist aber auch eine Kritik am unvernünftigen Konsumverhalten der Chinesen, die nach Jahrzehnten des Mangels ein großes Nachholbedürfnis haben.


Wim Delvoye, Tattoed Pigs


Der belgische Künstler Wim Delvoye sieht in Hausschweinen nicht nur eine potentielle Mahlzeit, er macht sie zu lebenden Kunstwerken, indem er sie tätowiert. „Tattooed Pigs“ ist eine Fotoserie von 2008. Delvoye hat sich einen Namen gemacht, weil er Dinge zusammen bringt, die sich auszuschließen scheinen. Die Bronzestatue „Twisted Jesus“ von 2009 bringt Wissenschaft und Kunst zusammen. Das Kreuz ähnelt ein wenig der Doppelhelix der entschlüsselten DNS. Es erinnert aber auch an die Möbiusschleife, bei der zwei Seiten eines Bandes so miteinander verschmelzen, dass sie nicht mehr voneinander zu trennen sind.


Wim Delvoye, Twisted Jesus


Auch Chi Peng scheut keine Tabuthemen. Er ist zur Zeit wohl der einzige chinesische Künstler, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. „Sprinting Forward“ von 2004 zeigt u. a. den benötigten Mut aber auch die Gefahren, die sexuelle Befreiung in China mit sich bringt.


Chi Peng, Sprinting Forward 2004


Der extremste Künstler der Ausstellung ist He Yunchang. Der schreckt bei seiner Arbeit weder vor Blutverlust noch vor Verstümmelung zurück. Für „One Rib“ von 2009 ließ er sich eine Rippe entfernen, die er als Halskette gestaltete und verschenkte. Er sieht seine Aktionen als transformatisch an, allerdings in sehr spektakulärer Form. Luc Tuymans erklärt: „Das ist auch eine Abkehr, von dem traditionellen Glauben, dass der Mensch bei seiner Beerdigung vollständig sein muss. Abgetrennte Gliedmaßen wurden sogar aufgehoben, um später mit bestattet zu werden. Diese Tradition ist in China sehr stark ausgeprägt. Man darf nicht vergessen, dass der größte Anteil der Artefakte des gesamten Ausstellungszyklus’ Grabbeigaben sind. Den Toten wurde auch noch ihr weltlicher Besitz mit auf die Reise gegeben.“


He Yunchang, One Rib 2009


Dies sind nur einige wenige Schlaglichter auf die umfangreiche und couragierte Ausstellung „The State of Things“. Mit ihrer zunehmenden Öffnung wird die Volksrepublik China immer mehr Einfluss gewinnen und nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Impulse setzen. Die Dominanz der westlichen Kunst und des westlichen Kunstmarktes ist im Wandel begriffen. China gilt längst nicht mehr als Nachahmer westlicher Kunst. „The State of Things“ deutet auf einen Emanzipierungsprozess chinesischer Künstler hin, die sehr eigene und sehr innovative Ausdrucksformen haben.

Die letzten Jahrzehnte der allmählichen Öffnung Chinas sind aber nur ein Bruchteil der 5000 Jahre alten Kultur und die wird in vielen Veranstaltungen und weiteren Ausstellungen in einem ihrer Vielfalt angemessenen Rahmen dargestellt.

Die frühesten Belege der Ausstellung „Sohn des Himmels“ zeigen, dass in der Vorzeit der Schamane der Mittler zwischen Erde und Himmel war. Nach und nach verdrängten Stammesführer, Könige und später die Kaiser die Schamanen aus dieser Rolle. Die hergestellten Artefakte haben daher meist einen religiösen bzw. rituellen Hintergrund. Die Hauptaufgabe der chinesischen Könige lag in der Herstellung der Verbindung von der Erde zum Himmel. Deshalb werden sie auch Söhne des Himmels genannt. Das Material einer Vielzahl von Kunstgegenständen ist Jade. Diese hatte im China der Vor-Bronzezeit eine so große Bedeutung, dass man beim archäologischen Modell des Dreiperiodensystems zwischen die Steinzeit und Bronzezeit gut und gerne noch eine Jadezeit schieben könnte, der Zeit vor 2200 v. Chr.


Jadeskulptur Staatliches Museum Beijing


Eines der ältesten Exponate ist eine solche Jadeskulptur und stammt aus der Liagnzhukultur, 3300 bis 2600 v. Chr. Sie hat die Form eines quadratischen Turms und eine kreisförmige Spitze und entspricht der schematischen Vorstellung des Universums. Die vier Seiten des Quadrats stehen für die Erde und ihre vier Himmelsrichtungen und der Kreis für den Himmel. Hier sind sowohl die Kostbarkeit des Materials als auch die Schwierigkeit der Verarbeitung als Symbol für den Führungsanspruch zu werten. Später dienten die elaborierten Bronzearbeiten und noch später die stetige Verfeinerung der Porzellankunst demselben Zweck.

Der wohl bekannteste Kaiser von China war Qín Shǐhuángdì, 259 bis 210 v. Chr. Er war der „erste erhabene Gottkaiser“ Chinas und unterwarf alle verfeindeten Staaten, von denen allein sieben mit ihm um die Vorherrschaft rangen. Seine Grabstelle erlangte internationale Berühmtheit durch die Terracotta-Armee, von der in der Ausstellung zwei Soldaten zu sehen sind.


Terracottataenzer, Xushou Museum


Neben den Führungsqualitäten in religiöser und militärischer Hinsicht waren der Handel und die Künste von Bedeutung. Dem alten Handelsweg der Seidenstraße und der Kunst der Kalligrafie sind eigene Ausstellungen gewidmet. Ein schöner Beleg für die Kunst sind die Statuen von Tänzern aus Terracotta. Sie stammen aus der Zeit der Westlichen Han-Dynastie, 206 v. Chr. bis 9 n. Chr. Die Pflege der Musik und der darstellenden Künste oblag ebenfalls dem Kaiser.


Messgeraete Van Verbiest, Palace Museum, Beijing


Die Wissenschaft wurde für den Kaiser von zunehmender Bedeutung. So war es nötig, Himmelserscheinungen vorausberechnen zu können, um seinen Status als Sohn des Himmels zu festigen. Wenn eine Sonnenfinsternis zu erwarten war, musste er das mindestens zwei Jahre vorher wissen, damit er und seine Boten Zeit genug hatten, die riesigen Weiten des Herrschaftsgebietes zu bereisen und die Untertanen davon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen. Kaiser Kangxi ließ sich sogar von Jesuitenmönchen beraten, deren Messgeräte ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Der belgische Jesuit Ferdinand Verbiest war 1660 an den Hof des Mandschu-Kaisers gekommen und erlangte dort Ruhm.


Rotes Ritualgewand


Nach dem Stand der Sterne richtete sich der Beginn der Saat- oder Erntezeit. Diese durften nur an einem günstigen Tag begonnen werden. Der jeweilige Kaiser führte deshalb zu jeder Jahreszeit ein entsprechendes Ritual durch. Für jedes davon hat er ein verschiedenfarbiges Gewand. Die Farbe des Gewandes richtet sich nach der Jahreszeit. So steht rot für die Farbe des Südens und für die Jahreszeit des Sommers. Aus diesen Jahrtausende währenden Berechnungen, Beobachtungen und Zuordnungen entstand das, was heute als Feng Shui auch in der westlichen Hemisphäre bekannt ist.


Bildrolle China


Mit sehr akribischen Malereien in Form von Bildrollen wurden die Reisen der Kaiser dokumentiert. Sie illustrieren das Leben bei Hofe, die faszinierenden Landschaften, das Landleben. Die Bildrolle „Die Reise“ zeigt links einen Altar, der für ein Ritual vorbereitet ist. Wir sehen die chinesische Mauer und Reiter auf dem Weg zur Jagd.

Im Jahr 1911 endet die Kaiserzeit. Die neuzeitliche Geschichte Chinas ist noch keine hundert Jahre alt, aber an die Stelle der Kaiser sind andere „Herrscher“ getreten. Es ist schwer zu sagen, was man China und auch uns für die Zukunft wünschen soll. Vielleicht die Rückbesinnung auf die alte und reiche Kultur der Vergangenheit, auf die China zurecht stolz sein kann? Oder doch die „Traditionslosigkeit“ der zeitgenössischen Künstler, die frei und unabhängig von den Kunstformen vergangener Jahrtausende ihre Ideen entwickeln und damit dem Begriff „Gegenwartskunst“ eine tiefergehende Gegenwärtigkeit verleihen, weil sie sich im Hier und Jetzt befinden.


Helga Fitzner - red /28. November 2009
ID 4471

Weitere Infos siehe auch: http://www.europalia.be/





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