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Feuilleton


Freitag, 14.00 Uhr, Bern Niederwangen, Schweiz: Der junge Punk an meiner Seite freut sich auf die Ausstellung WILD AT HEART besonders wegen der Schweineherzen in Formaldehyd. Nicht irgendwelche Schweineherzen, sondern tätowierte Schweineherzen. Ob man ein solches Kunstwerk auch erwerben könne, möchte er wissen. Ja, erfahren wir. Nur: Wo stellt man Gläser mit eingelegten Organen auf?



Schweineherz von Andreas Egli - Foto (C) Heike Henzmann


Stay Wild, Stay Foolish oder Wir sehen auch, was wir nicht sehen



Freiburgerstrasse 580. Hier muss die neue Ausstellungshalle zone contemporaine von Oliver Fahrni sein. Doch auf den ersten Blick sehe ich nur eine Autogarage. Aber: Eine sehr schöne Autogarage. Innen empfängt uns Licht in einer transparenten Architektur. Durch die Gitterstruktur des Treppenhauses entdecke ich in der ersten Etage die vertrauten Bilder des hotsquat-Kalenders und weiß, hier bin ich richtig. Die Wimmelbilder besonderer Art von Antal Thoma und seinen Bieler Hausbesetzern begleiteten mich durchs Jahr 2011, jedes ist mir vertraut. Doch erst in dieser Größe entfalten sie ihren vollen Reiz, und ich entdecke Details, die mir bisher verborgen geblieben waren. Bedauerlicherweise folgt für 2013 kein weiterer Kalender. Doch die Aussage, dass das hotsquat-Team an neuen Projekten mit anderen Formaten arbeitet, macht mich hoffnungsvoll neugierig.




Aschenputtel aus dem hotsquat 2011 © Antal Thoma



Noch eine Etage höher befindet sich der helle und riesige Ausstellungsraum, das Herzstück des zeitgenössischen Kunstraumes, der auch leer eine Augenweide ist. Die junge Frau am Tisch mit den Ausstellungskatalogen und Büchern begrüßt uns und erklärt die Dinge, die wir nicht sehen.

Wir sehen nicht das eisige Selbstportrait von Franticek Klossner schmelzen, und hören auch nicht des schmelzenden Körpers Klänge durch die eingebauten Mikrophone von Fabian Gutscher. Nur eine viereckige Pfütze zeugt noch von dem Ereignis, dass sich an jedem Ausstellungstag wiederholt. Eigentlich.

Wir sehen nicht Tim Steiner und seine tätowierte Rückenhaut, die er an Rik Reinking verkaufte, der seinerseits nicht an seinem Platz im überdimensionalen Käfig von Baldur Burwitz sitzt. Ich werte dies als positives Zeichen dafür, dass Rik dem Gefängnis seiner Arbeit und den Grenzen seiner Vorstellung entkam und nun frei ist.



Baldur Burwitz, Käfig - Foto © Heike Henzmann



Wir sehen nicht Wim Delvoye, den Tätowierer von Tim Steiners Rücken, aber der ist auch nicht Teil der Ausstellung, denn er weilt – höchstwahrscheinlich – gerade auf einer Schweinefarm in China, umgeben von 50 unterschiedlich tätowierten Schweinen. Ob die Tattoo-Farbe das Gerben überstehe, will der Punk wissen, doch darauf weiß unsere Führerin keine Antwort.

Am Ende der Halle hängt ein riesiger transparenter Ballon in Form eines überdimensionalen Tintenfischs oder vielleicht auch einer Seeanemone, in den oder die eine Frau hinein schwimmt.

„Das ist jetzt schade, dass es so hell ist“, sagt unsere Führerin. „Sonst könnte man die farbige Projektion der Skulptur an der Wand sehen.“

Dank etwas Phantasie erahnen wir, dass die Reflexion im Dunkeln sehr eindrücklich wirken muss.

Die beiden nächsten Werke sind permanent vorhanden, brauchen kein besonderes Licht, Wir betrachten eingehend und leicht ratlos die kleinen und filigranen, zugleich lauten und emotionsgeladenen Zeichnungen von Ferhat Özgün. Direkt daneben zeigt ein Videofilm zwei alte dicke Frauen, die ihre Kleidung tauschen. Westliche gegen muslimische Kleidung und umgekehrt.




Zeichnung von Ferhat Özgür mit Punk - Foto © Heike Henzmann



„Aha, jetzt macht das Sinn“, sagt der Punk an meiner Seite und zeigt mir, dass der Film mit den lachenden Frauen ebenfalls von Özgür ist. „Die Bleistiftzeichnungen mit den Glaubenskriegen und daneben die Versöhnung durch das Kichern der Frauen im Film.“ Er hat recht. So unterschiedlich die Arbeiten von Özgür sind, bilden sie doch eine Einheit, gehören untrennbar zusammen. Wir sehen keine zwei Werke sondern eines.


Vor den Manon-Bildern Sie war einmal Miss Rimini verweilen wir. „Verstehe ich nicht“, sagt der Punk. Mich beruhigt das, denn ich verstehe sie auch nicht. Ich sehe eine alternde Frau, die sich verkleidet. Aber das Bild von Krankheit mitten unter den Kostümen verstört mich. Dann kappt eben dieses Bild meine lange Leitung: Die Bilder sind Möglichkeitsformen eines Frauenlebens. Keine Kostüme. Ich sehe sie mit anderen Augen und verstehe.

Schlussendlich kommen wir bei den Gläsern mit den tätowierten Herzen an. Fein, glatt, hell, eingelegt in Formaldehyd. Sie sehen unerwartet ästhetisch aus. Beim Tätowieren waren sie ganz frisch und blutig, erfahren wir. Mir sind sie so entschieden lieber.

Wim Delvoye tätowierte Schweinehaut und wagte das Kunstwerk auf Tim Steiners Rücken. Wollen wir hoffen, dass Andreas Egli, der Tätowierer der Schweineherzen nicht ähnliche Pläne mit Tim hat.

Fazit: In der performanten Ausstellung ohne live- Performance sahen wir auch das, was wir nicht sahen. Und wir nehmen eine Botschaft mit: Stay wild, stay foolish.

[Die Ausstellung WILD AT HEART findet noch bis zum 29. 12. 2012 statt.]


* * *



Nach diesem außerordentlichen Ausstellungsbesuch hatte ich die Gelegenheit, einen der ausstellenden Künstler, den hotsquat-Fotografen Antal Thoma zu interviewen...


Heike Henzmann: Antal, deine hotsquat-Kalender mit ihren wilden Bildern begleiteten mich durch die vergangenen Jahre. Das wird zukünftig fehlen. Aber du hast angedeutet, dass das hotsquat-Team weiter gemeinsam aktiv ist und wir auch zukünftig nicht auf dessen Foto-Kunst-Werke verzichten müssen. Wann dürfen wir mit Konkreterem rechnen?

Antal Thoma: Wenn wir dem letzten hotsquat-Kalender Glauben schenken, so sind diese neuen Projekte sowieso für die Katz beziehungsweise für die Außerirdischen, die nach uns diesen Planeten bevölkern werden. Sollte sich der Kalender irren und am 21. Dezember diesen Jahres nicht endgültig Schluss sein, so werden wir im kommenden Frühling an einem der Projekte weiterarbeiten. Eine ganz düstere Sache, mit kleinen Kinder, mit einer kleinen Prise Humor. Wann und in welcher Form das publiziert wird, weiss noch niemand.

H. H.: Es gibt vier hotsquat-Kalender, deren Höhepunkt für mich persönlich das Jahr 2011 ist mit den Märchen, die „bachab“ gehen und die hier in der WILD OF HEART-Ausstellung grossformatig zu bewundern sind. Ist das auch aus deiner Sicht der Höhepunkt der Reihe?

A. T.: Es spannt sich ein Entwicklungsbogen über die vier Kalenderprojekte, wobei die Vorgehensweise von Projekt zu Projekt spontaner und dabei unsicherer wurde. Energetisch war der letzte Kalender der Höhepunkt. Für hotsquat 2012 besuchten wir für jedes Bild ein anderes alternatives Projekt. So kannten wir im Voraus meist weder den Ort, noch die Leute, die mitmachen, noch das Thema. Umso prekärer die Arbeitsweise wurde, umso wichtiger war es, die Angebote der Gastorte so zu akzeptieren wie sie dargeboten wurden. Insofern ist der letzte Kalender ästhetisch weniger kohärent als die vorangehenden, die jeweils mit der gleichen Gruppe fotografiert wurden. Der Grund, warum bislang einzig Bilder aus hotsquat 2011 großformatig in Ausstellungen gezeigt wurden ist, dass meist keine Mittel für das Anfertigen von neuen Prints zur Verfügung stehen. Ich freue mich aber, die Bilder von hotsquat 2010 und hotsquat 2012 bei Gelegenheit großformatig zu zeigen.

H. H.: Die Ausstellung zeigt das Ergebnis deiner Performance, die fertigen Bilder. Der performante Teil, die Entstehung der Fotos, ist implizit zu sehen, weckt Lust auf explizites Dabeisein, auf Miterleben. Wann darf man mit einer Live-Performance von dir oder von dir mit dem hotsquat-Team rechnen?

A. T.: Bei den Shootings von hotsquat braucht es sehr viel Mut und Intimität für die Beteiligten. Ich weiß nicht, ob das auch klappt, wenn da "ZuschauerInnen" dabei sind. Am 29. November 2012 wage ich im Lokal-Int in Biel den ersten Versuch eines öffentlichen Shootings. Es wird aber nicht nach dem partizipativen Verfahren gestaltet sein wie bei hotsquat. Die Bildidee steht. Die Leute, die da spontan mitmachen, werden sozusagen Forschungsmaterial sein..

H. H.: Die Ausstellung WILD AT HEART lebt durch die Performance, wirkt aber auch ohne. Welches der ausgestellten Werke beeindruckt dich am meisten?

A. T.: Am meisten berührt hat mich die Projektion Sie war einmal Miss Rimini von Manon. Die Prints im oberen Stock sind Auszüge aus dieser Arbeit. Die Projektion ist für mich viel schlüssiger als die Abzüge, da der Rahmen der gleiche bleibt und nur die Rollen, die Manon verkörpert, wechseln.


[Das Interview wurde per E-Mail geführt.]



Heike Henzmann - 15. November 2012
ID 6348

Weitere Infos siehe auch: http://www.hivah.ch/Interviews/hotsquat2011HH.pdf


http://www.antalthoma.ch



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