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Kunsthaus Dresden, noch bis 19. Februar 2006

Schweizer Krankheit + die Sehnsucht nach der Ferne

Öffnungszeiten: Di–Fr: 14–19 Uhr, Sa/So: 12–20 Uhr
Eintritt: 3 / 2 Euro, freitags freier Eintritt

Fernblick ohne Berge

Als „Heimweh“ diagnostizierte der Baseler Arzt Johannes Hofer im 17. Jahrhundert ein Leiden, das er besonders bei Schweizer Söldnern auf den zahlreichen Kriegsschauplätzen der absolutistischen Ära beobachtete. Als solches fand das Heimweh allmählich den Weg von der medizinischen Fachsprache in die Umgangssprache und steht als Begriff im Vergleich der Sprachen ziemlich singulär da – allenfalls entfernt verwandt mit der griechischen „Nostalgie“. Die Tatsache selber, das, was lange auch als „Schweizer Krankheit“ bekannt war, und ihr Zwilling, das Fernweh, sind jedoch universal. Beiden Gefühlszuständen hat das Kunsthaus Dresden, die städtische Galerie für Gegenwartskunst im Barockviertel der Dresdner Neustadt, nun eine Ausstellung gewidmet, die sehenswert ist.
Zunächst soviel: das Kunsthaus, das in seiner jetzigen Form bereits seit 1981 besteht, hat sich durch kleine, unaufwendige Schauen, die nichtsdestoweniger einen hohen Grad an gesellschaftlicher Relevanz aufweisen, einen Namen gemacht. So gab es in den vergangenen Jahren eine – problematische, aber anregende – Ausstellung zum Thema Atomkrieg, die von Branislav Dimitrijevic und Dejan Sretenovic kuratierte, ironische „International Exhibition of Modern Art“, zuvor im jugoslawischen Pavillon auf der Biennale in Venedig zu sehen, wurde in Dresden gezeigt, und mit dem „Arbeitshaus Dresden“ klinkte man sich ganz direkt ein in aktuelle politische Diskussionen. Nicht zu reden von den Sammelausstellungen, mit denen das Kunsthaus auch den zahlreichen, aber etwas versprengten Gegenwartskünstlern in der Stadt immer wieder ein Forum zu geben versucht.
In diese Reihe fügt sich auch die derzeitige Ausstellung ein, die künstlerische Positionen seit den 70er Jahren versammelt: angefangen mit Joseph Beuys’ Performance „Coyote: I Like America and America Likes Me“ anläßlich der Eröffnung der New Yorker Galerie René Block im Jahr 1974, als sich Beuys mehrere Tage mit einem Koyoten zusammen sperren ließ, bis hin zu aktuellen Projekten von Dresdner Künstlern wie Bernd Kilian, der in „Einwohner von Dresden“ Menschen aus vier unterschiedlichen Ländern Lieder aus ihrer Heimat vortragen läßt. Diese beiden Arbeiten stecken in etwa den zeitlichen Rahmen ab, man bemerkt an ihnen aber auch die nicht unproblematische Vielfalt einer Themenausstellung. Im Vergleich zu Beuys’ Projekt, das aus den künstlerischen Debatten der 60er und 70er Jahre, vor allem der Amerikakritik der westeuropäischen Linken nach dem eben beendeten Vietnamkrieg her zu denken ist, wirken Kilians Doku-Kurzfilme fast naiv. Doch schaut man ein wenig genauer hin, dann ist die Aussage, die darin steckt, so schlicht wie zutreffend. Dresden als enttrümmerte Kulturstadt im Tal der Ahnungslosen gibt es nicht mehr, aber seine auf Touristenströme und ein paar Dönerbuden gebaute Internationalität kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es einen wirklichen Vielklang der Nationen in der Stadt – noch – nicht gibt. Und so mancher Ausstellungsbesucher wird sich verwundert die Augen reiben, wenn er Shahnaz Malakis sprödem persischem Gesang lauscht oder wenn er dem melancholischen jiddischen Lied zuhört, das Irina Lubenska und Leonid Sihalowytsch zwischen den Plattenbauten von Dresden-Gorbitz vortragen.


Lisl Ponger, Dakar, aus der Reihe \"If I Was Michel Leiris Today\"
Auf Weltreise durch Wien

Ein Projekt wie das der österreichischen Künstlerin Lisl Ponger wäre daher in Dresden wohl unmöglich. Ein bißchen angelehnt an die Reise, die der Duc des Esseintes in Huysmans’ Roman „Gegen den Strich“ durch sein Zimmer und die englischen Kneipen von Paris unternimmt, begab sich die Wienerin in den Jahren 1991 und 1992 auf eine Weltreise durch ihre Heimatstadt. Für „Fremdes Wien“ zeichnete sie über ein Jahr lang Feste, Tänze und Begegnungen aller möglichen, in der österreichischen Hauptstadt ansässigen Kulturgemeinschaften mit einer Super-8-Kamera auf. In der Dresdner Schau sind nun die damaligen Aufnahmen angereichert um gesprochene Kommentare aus ihrem parallel geführten Tagebuch. „Phantom Fremdes Wien“, wie der neue Titel lautet, unterzieht das 15 Jahre alte Projekt einer Revision, die auch im Jahr 2003 Gegenstand eines Gesprächs zwischen der Künstlerin, Ljubomir Bratic, Anna Kowalska und dem – ebenfalls an der Ausstellung teilehmenden – schottischen Künstler Tim Sharp war, in dem Stärken und Schwächen diskutiert wurden (abgdruckt in: Lisl Ponger: Phantom Fremdes Wien, Wieser Verlag Klagenfurt, 2004). Ähnlich geartet ist Pongers Auseinandersetzung mit dem Tagebuch des französischen Ethnologen Michel Leiris, das dieser in den 30er Jahren während einer Forschungsreise durch Äthiopien und den Senegal führte. Leiris prangerte in dem unter dem Titel L’Afrique fantôme publizierten Tagebuch weitreichende Kunstdiebstähle seiner Kollegen an. Ponger nutzte die Expeditionsroute in „If I Was Michel Leiris Today“ hingegen dazu, mit Foto- und Filmkamera ihren eigenen, zurückhaltenden Blick über die Landschaften des nördlichen Afrika schweifen zu lassen, auf Dörfer und Familien und eine unendliche Straße aus roter Erde.
Der ethnographische Zugang kommt auch in zwei anderen Projekten sehr deutlich zum Ausdruck. Zum einen in Nadine Reschke Kindlimanns Dokumentation einer 16monatigen Reise unter dem Titel „So far so good“, auf der sie mit einem Zelt im Gepäck von Polen nach Vietnam unterwegs war. In ihren Videoaufzeichnungen hat das Zelt jeden Romantizismus verloren, es wird vielmehr wieder zur vielleicht einfachsten Behausung, die es auf der Welt gibt, der der Nomaden. Die vielfältigen Begegnungen, die die Künstlerin in den bereisten Ländern hervorgerufen hat, haben auch auf dem ausgestellten Zelt ihre Spuren hinterlassen. Eine andere Ethno-Arbeit ist „Da wo ich war“ von Antje Schiffers, in der die Künstlerin ihren einjährigen Aufenthalt in dem kleinen mexikanischen Dorf Chicahuaxtla und ihre Bemühungen, sich in die Dorfgemeinschaft einzuleben, dokumentiert. Projekte mit den Dorfbewohnern, etwa eine Fotowerkstatt für die Kinder oder eine gemalte Aufstellung der Flora vor Ort, wirken befremdlich, sind jedoch als Anspielung an die Weltaneignung zu Zeiten Alexander von Humboldts gedacht. Den wirklichen Konflikt, der dem allen zugrunde liegt, die Armut und Ungleichheit der unterschiedlichen Weltregionen, können und wollen diese Werke allerdings nicht lösen.

Antje Schiffers, \"da wo ich war\", 1998/2005
Ein Stück Wahrheit

Mit der so ernüchternden wie höchst vergnüglichen Arbeit „Transit 1–8“ des Kameruner Künstlers Barthélémy Tuguo läuft die Ausstellung endgültig ihrem Thema davon. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie ohne Tuguos eher konzeptuell geprägte Arbeiten auskommt – ganz im Gegenteil. Tuguo arbeitet mit Verfremdungseffekten, die ganz fundamentale Stereotypen abrufen, auf denen (europäische) Gesellschaften und ihre Sicherheitssysteme fußen, die sie aber weniger anprangern als der Lächerlichkeit preisgeben und damit ein wenig ins Wanken bringen. So überlegte sich Tuguo, nachdem er mehrmals diskriminierende Durchsuchungen auf Flughäfen erlebt hatte, dem Sicherheitspersonal etwas zu knabbern zu geben. Einmal schnitzte er drei Koffer aus massivem Holz, die er bei der Gepäckabfertigung eincheckte, und wie nicht anders zu erwarten, setzten die Sicherheitskräfte ein erhebliches Maß an Aufwand daran, diese Koffer zu durchleuchten oder gar zu öffnen. Bei einer anderen Gelegenheit reiste Tuguo in einer nagelneuen Straßenkehreruniform der Pariser Stadtwerke im Schnellzug von Paris nach Köln und wäre beinahe, angeblich wegen üblen Geruchs, aus dem Zug geworfen worden. In der Ausstellung sind diese Storys auf Tafeln aufgezogen abgedruckt, neben Fotos von den inkriminierten Objekten. Mag diese Präsentationsform auch etwas schnöde wirken, so funkelt einen aus Tuguos Arbeit ein Stück Wahrheit an, dem man sich kaum entziehen kann.
Näher am ohnehin etwas nebulös erscheinenden, doch in den Diskussionen um Fremdheit und Alterität sehr aktuellen Thema liegen die Arbeiten von Raffael Rheinsberg und Uschi Huber. Rheinsberg präsentiert in „Transsibirische Eisenbahn“ die Fundstücke, die er im Winter 1983/84 bei einer Fahrt durch die Sowjetunion gesammelt hat, kurz bevor sich mit der Perestroika der Systemwandel in dem Land ankündigte. Betrachtet man schließlich die Fotografien von Uschi Huber mit dem Titel „Anlagen“, auf denen Ferienanlagen in Spanien, Israel und Ägypten in der Nichtsaison zu sehen sind, so kann man getrost alle Hoffnung darauf fahren lassen, in dieser Welt einmal irgendwohin entkommen zu können, so trostlos wirken die leeren Planschbecken und kulissenhaften Hotelkomplexe in der kraftlosen Wintersonne.
Auffällig sind die vielen konzeptuellen Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind. Sie zeugen andererseits von der Aktualität der Fragestellungen, die in den Arbeiten der Künstler angesprochen werden. Auch wenn mancher, der Berge erwartet hatte, nach dem Besuch der Ausstellung ein wenig enttäuscht ist und das Motto „Schweizer Krankheit“ als etwas gewollt empfindet, so haben die drei Kuratorinnen Christina Beifuss, Maja Linke und Christiane Mennicke doch eine gehaltvolle Schau zusammengestellt. Daß gelegentlich die ausgestellten Werke ihre Klammer, das zugrunde liegende Konzept, in den Schatten stellen, ist ja nicht erst seit der „Zehn-Gebote“-Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum bekannt. Aber auch ohne Berge kann man die „Schweizer Krankheit“ als Einstieg in ein Themenfeld kennenlernen, das tief und weit blicken läßt.


p.w. – red. / 20. Januar 2006
ID 00000002207

Weitere Infos siehe auch: http://www.kunst-haus-dresden.de






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