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Feuilleton


Das Kronos-Projekt des Berliner Künstlers Roland Boden


U10 - von hier aus ins imaginäre und wieder zurück, Teil 4

Auf seinen Kopf hatten die Nazis 50000 Reichsmark ausgesetzt. Seine Theorie veränderte das Bild der Wirklichkeit und mit ihm auch sie selbst. In den USA wurde er wie ein Popstar gefeiert. Herkömmliche Prominente bedürfen der Worte, um aus ihren öffentlich geäußerten Sätzen Sprüche werden zu lassen. 'Alles ist relativ' hingegen wurde zum Spruch allein durch die Kraftfülle seiner Gedanken. Nicht weil deren Gebäude verstanden wurde. Es wurde nicht verstanden. Und weil es nicht verstanden wurde, wurde alles relativ. Nur ungefähr fünf Zeitgenossen soll es gegeben haben, die ihn verstanden haben, ihn, der die Zeit revolutionierte, und seine Theorie der Relativität, die seinen Namen zur Metapher für Denken am Rande des Undenkbaren gemacht hat: Albert Einstein, der damals Unverstandene.

René Magritte hatte ihn zwar nie getroffen, um seine Pfeife als keine solche berühmt zu machen, aber der Künstler machte mit einer solchen das Wort zum Bild. Jener damals weitestgehend Unverstandene hingegen brachte ein neues Bild ins Wort. Damit wurde es überprüfbar und immer wieder für gut befunden und für nicht so leicht gewogen, dass viele Geister die Erkenntnisräder zurückdrehen wollten und noch möchten.

Einer, der diese gestrigen Räder ins Heute rollt, um sie sich weiterdrehen zu lassen, ist Roland Boden. Mit seinem Kronos-Projekt surft er auf Wellen zwischen Wirklichkeiten, ohne die Wirklichkeit zu verlassen. Und das ist auch gut so. Begleiten wir ihn auf einer magrittesken Zeitreise durch die Geschichte, durch die sein Projekt zu und zur Geschichte wird.


Roland Boden, (c) Roland Boden

Das Projekt war ein Experiment. Begonnen wurde es im Jahr der Pfeife, 1926. Und es begann mit einem Zug. Der Rauch unseliger Geschichte war kaum verzogen, als die Geschichte wieder langsam zu qualmen begann. Das Feuer der Zeit brachte das Experiment zum Stillstand. Was war geschehen?

Es waren die Roaring Twenties, die Goldenen Zwanziger. Und zwar nicht nur relativ. Raum und Zeit hatten ihren Neuanstrich durch jenen liebenswürdigen, gütigen, pfeifenrauchenden damals Unverstandenen erfahren. Die, die verstehen wollten, versuchten dem Unverständlichen auf den Grund zu kommen. Im Untergrund. Auf dem Prüfstand: Die Zeit, das bis dahin ebenfalls unverstandene Wesen.

René zündet seine Pfeife an, als der Zug des damals Unverstandenen sich in Bewegung setzt. Die Zeit innen ist die Zeit außen. Fast.

Vielfach wird René den damals Unverstandenen noch literarisch treffen.

Der Zug wird entschleunigt, er wird langsamer. Man muss nicht Physik studiert haben, wie mancher Geist meint, um jetzt, noch trivial, von v auf v minus 1 schließen zu können. Nach Heraklit fließt auch die Zeit. Natürlich auch im Zug. Und zwar langsamer. Unzählige Pfeifen mochte der damals Unverstandene in Berlin geraucht haben, um das kaum Denkbare zu Wort zu machen, das sich nur zaghaft in feinen Rauchschlieren daranmachte, Newtons Apfelwelt zu erobern. Wie langsam, das besage die Theorie, sagt René. Und die, die das Sagen hatten, schickten den Zug auf die Reise.

Zwei Jahre zuvor hatte das damalige Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin-Dahlem mit Planung und Vorbereitung eines Forschungsvorhabens begonnen, das das Unverstandene zumindest in der Verständnisrealität ankommen lassen sollte, die es selbst geschaffen hatte. Ein Experiment mit der Zeit sollte selbige verlangsamen, entschleunigen.

Nach Recherchen von Roland Boden wurde 1926 nahe der heutigen Berliner U Bahnstation Rathaus Steglitz unterirdisch ein modifizierter U-Bahnwagen des damaligen Typs A I mit 8 Probanden nordwärts in Bewegung gesetzt. Versuchsinterner Name für den Zeitzug war Entschleunigungsbahn Steglitz.

Im heraufziehenden Unheilsqualm der Geschichte zerfiel der Hauptteil der Unterlagen. Roland Boden schreibt dazu: " ... jedoch führen einige Indizien zu der Annahme, das sich das Objekt nach wie vor kontinuierlich und sehr langsam als Zeitmaschine durch den Berliner Untergrund bewegt. Darüberhinaus existieren eine gewisse Zahl von historischen Verweisen und Zeitzeugenberichten, die auf die Fortdauer des Experiments hindeuten."

Boden berechnet die heutige resultierende Geschwindigkeit auf 10,4 mm pro Tag. Der Versuchswagen hat damit bis heute eine Strecke von 317 Metern zurückgelegt. Seit 1926 bis heute ist für die Probanden jedoch lediglich ein wageninnerer Zeitraum von 6 Stunden und 30 Minuten vergangen.

Veränderungen im Raum-Zeit-Gefüge haben immer auch entsprechende Deformationen dieses physikalischen Kontinuums zur Folge und umgekehrt. Tatsächlich haben zwei Berliner Physiker im Stadtbezirk Steglitz gravitative Anomalien nachweisen können. In ihrem Buch Fehler in der Matrix berichten sie darüber.

Kehren wir zurück in das Jahr 1926. Wer waren die Wissenschaftler, die die Zeit verbiegen sollten?

Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik beauftragte den Physiker Dr. Erwin Freundlich, experimentelle Untersuchungen zur Prüfung der allgemeinen Relativitätstheorie durchzuführen. Es entstand die Arbeitsgruppe "Entschleunigungsbahn Steglitz". Ihr gehörten an Dr. Ernst Koepplbleek (1882 - 1958), Dr. Julius Bohnkramer (1894) - 1943), Dipl-Ing Hein Senzmann, Dr. Emanuel Todt-Schlieffen (1887 - 1944) und Oberstleutnant i.G. Anton Friedrich Nachzehrer (1885 - 1940). Boden schätzt die Gesamtzahl qualifizierter Mitarbeiter auf ungefähr 30.


Kronos-Gerät vor Beginn des Großversuchs mit beteiligten Wissenschaftlern, Berlin-Steglitz, wohl Mitte April 1926. Privatarchiv Dr. Ernst Koepplbleek, (c) Roland Boden

Wer aber waren die Freiwilligen, die sich für 200 Reichsmark dem Experiment zur Verfügung stellten und deren Signale geortet werden konnten und um deren Leben noch heute gebangt werden muss?

Tiron Schluttrup wurde 1899 in Emden geboren. Den wenigen zugänglichen Akten ist zu entnehmen, dass sein Leben nicht gerade sonnenseitig verlief. Der 1887 in Olmütz geborene Rudolf Lukasch ging als Oberleutnant a.D. 1920 nach Berlin, wo er an das Kronos-Experiment verwiesen wurde. Der Chemnitzer Gerhard van Gellen, Jahrgang 1902, studierte Jura, als er sich zur Teilnahme an dem Zeitversuch entschloss. Zur Probandengruppe stießen der 1892 in Hamburg geborene Handelsvertreter Gustav A. Horner, der 1901 geborene Grazer Ignaz Stumm Bordwehr, der 28jährige Berliner Buchhandlungsgehilfe Peter Kien und der Augsburger Künstler Johann Dröger, 21 Jahre alt.

Am 11. März 2010 erklärte Roland Boden in einem Interview, dass mit neuartiger Technik Tonsignale der Probanden empfangen worden seien. Boden sieht die gegenwärtige Situation der unter Tage Eingeschlossenen nicht so dramatisch. Die erwähnten Tonaufzeichnungen erlauben den Schluss, dass die Junggebliebenen bei bester Laune seien.

Dennoch, die Vorstellung, acht einsame Seelen achtlos unter Berliner Erde den für sie tödlichen Folgen eines physikalischen Experimentes zu überlassen, kann selbst in einer sich nekrophil entkultivierenden Zeit eines Gunther von Hagens nicht hingenommen werden.

In dem Interview erklärte Roland Boden weiter: "Wie es aussieht, wird das Projekt gegenwärtig nicht wissenschaftlich begleitet. Allerdings hat sich neulich die Max Planck Gesellschaft interessiert gezeigt, die auf dieses Projekt aufmerksam wurde. Vielleicht kann auf Regierungsebene veranlasst werden, dass diese Institution sich als die Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Institute damit befasst. Immerhin ist jetzt an höchster Regierungsstelle eine Physikerin tätig!"

Grund genug, dass sich dieses Artikels Autor am 21. April 2010 an die Bundeskanzlerin in ihrer angesprochenen Eigenschaft als promovierte Physikerin wandte. Beantwortet werden sollten drei Fragen:

1. lst mit einer Übertragung der Zuständigkeit für das Kronos-Experiment an die Max Planck Gesellschaft zu rechnen oder gibt es (schon) eine verantwortliche Instanz, die das Kronos-Experiment administrativ und wissenschaftlich beaufsichtigt?
2. Wenn ja, welche ist es?
3. Die acht lebenden beteiligten Versuchspersonen müssen geborgen werden. Wann und wie wird das geschehen?

Das Bundeskanzleramt übertrug die Klärung dieses Fragenkomplexes dem zuständigen Bonner Haus des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Dr. Thomas Roth von der Abteilung 42, verantwortlich für Forschungsorganisation und die Max Planck Gesellschaft (MPG), teilte in seinem Antwortschreiben vom 19. Mai 2010 an dieses Artikels Autor mit, dass die MPG nicht die Übernahme des Projektes beabsichtige.

Umgehend informierte dieses Artikels Autor Roland Boden. Der Künstler nahm's gelassen: "Jetzt bleibt wohl nur noch der Heilige Vater übrig!"

Indes wird der genaue Wortlaut der Antwort aus dem Bundesministerium im Interesse der irgendwo unter Steglitzer Erde Zeitverlorenen redaktionell überprüft. Denn es war nicht die Übernahme des Kunst-Projektes von Roland Boden durch eine verantwortliche Stelle sondern die der Verantwortlichkeit für das Wissenschafts-Experiment angefragt worden.

Aus den allseits bekannten "gut unterrichteten Kreisen" erfuhr KULTURA-EXTRA, dass Überlegungen kursieren, die Bergung der Krononauten vom Bundesnachrichtendienst in der Zeit nach dessen Berlinumzug vollziehen zu lassen.

Dem Künstler ist es zu verdanken, dass mit seinem Kunstprojekt, das er Kronos nennt, das in Vergessenheit geratene gleichnamige Experiment von Weltbedeutung in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit gebracht wird.

Heute ist nicht mehr auszuschließen, dass den USA Anfang 1940 Teile der Unterlagen in die Hände fielen. Denn sie führten 1943 ihr eigenes Kronos Experiment durch. Mit einem Zerstörer. Sein Name USS Eldridge. Der Name des Zeitexperimentes mit dem Ziel gesteuerter Unsichtbarkeit: Rainbow. Auch besser bekannt als das Philadelphia Experiment. Die US-Militärphysiker arbeiteten lediglich mit Magnetfeldern. Die Forscher um Freundlich und Koepplbleek jedoch wagten erstmals in der Menschheitsgeschichte den direkten physikalischen Eingriff in das von Einstein beschriebene vierdimensionale Raum Zeit Kontinuum. Die noch offenen Folgen dieses Experimentes bleiben so spannend wie eine Öffnung des Sternentores im Stargate Universum.

Am 12. Juni 2010 übergab Roland Boden dem Berliner U-Bahn-Museum ein von ihm rekonstruiertes Modell jenes Kronos Vehikels, das seine noch ahnungslosen Probanden von damals in der Unsichtbarkeit deformierter Raum-Zeitlichkeit durch die Unterwelt des lokalen U-Bahnnetzes trägt.



Das rekonstruierte Versuchsmodell als Ausstellungsobjekt, (c) Roland Boden

Das Museum übernahm das Modell als Teil seiner Dauerausstellung, wo es überirdisch zu bestaunen ist.

Gelassen, aber achtsam, wollen wir Renés Pfeife entflammen und genießen, um in Ruhe der Dinge zu harren, die die Zeit uns beschert. Und sei sie noch so verbogen. "Ceci n'est pas une pipe".


Das Kronos-Projekt
www.kronos-projekt.de
Das Kronos-Gerät auf YouTube
kronos-projekt[at]gmx.de

Roland Boden
www.rolandboden.de
Roland.Boden[at]gmx.de


Autor der Serie:
Arnd Moritz, red, 8. Oktober 2010
www.arndmoritz.de
arnd.moritz[at]web.de

Die bisherigen U10-Folgen:
01: 25.06.2010, U10 - von hier aus ins imaginäre und wieder zurück
02: 13.08.2010, Katharina Heilein, Construction Time Again
03: 01.09.2010, Bericht über einen Mitarbeiter des Projektes Katharina Heileins Construction Time Again - Phase 2



ID 00000004877

U10 ist ein Gemeinschaftswerk der Kunstschaffenden mit Mitarbeitern der BVG und zahlreichen Agenten des Berliner Untergrunds.

Initiiert wird U10 – von hier aus ins imaginäre und wieder zurück von Sofia Bempeza, Ania Corcilius, Jacopo Gallico, Eva Hertzsch und Adam Page.

U10 wird als Projekt der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) von der Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten / Kunst im Stadtraum finanziert. Unterstützt wird U10 von der BVG, der WALL AG und dem Berliner Fenster.




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