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Kurzmeldungen

Wolfgang Neuss als Maßstab

Den 30. Dezember hat 3sat von früh bis sehr spät als „Thementag“ der Comedy und dem Kabarett gewidmet. Er wurde zum Fanal. Selten hat das Fernsehen so deutlich gemacht, wohin das politische Kabarett in den vergangenen Jahren verschwunden ist, welchen intellektuellen und humoristischen Niedergang seine Ersetzung durch jene Gattung bedeutet, die sich aus den USA den schillernden Begriff der Comedy geliehen hat. Am Nachmittag montierte es in einem Dauerlauf Kurzauftritte von Comedians, die sich an thematischer Belanglosigkeit und darstellerischem Unvermögen selbst dort noch übertrafen, wo man den Tiefpunkt erreicht zu haben glaubte.

Und dann kam Urban Priol mit seinem Jahresüberblick TILT!, live aufgenommen elf Tage zuvor in Halle an der Saale. Damit hat sich 3sat selbst einen Bärendienst erwiesen und dem Publikum eine Sternstunde beschert. Der mittlerweile 61jährige beförderte den Thementag der vorausgegangenen Stunden mit jedem Satz, mit jeder Pointe ins Abseits. Er braucht keine Grimassen, keine selbstgefälligen Pausen, die einem leidensfähigen Publikum signalisieren sollen, „Seht doch her, wie komisch ich bin“, keine eitle Koketterie mit eigenen Mängeln. Sein Kabarett ist in erster Linie Sprach- und Sprechkunst, einschließlich der alten Varieté-Disziplin der Imitation bekannter Personen. Was Priol in eineinhalb Stunden vortrug, ist inhaltlich ganz nah an den Fernsehnachrichten und Reportagen, an „Spiegel“-Gesülze und Illustrierten-Schwachsinn, die man im vergangenen Jahr sehen, hören und lesen konnte. Das Meiste wusste man, und wenn man es nicht wusste, verstand man Priols Andeutungen auch nicht. Zum Kabarett wurde es durch die leicht verschobenen Formulierungen, durch die schräge Perspektive. So wurde aus den scheinbar sachlichen, „objektiven“ Meldungen aus Deutschland und der Welt politische Aufklärung, die sich nicht davor drückt, Stellung zu beziehen. Respektlosigkeit gehört zur Methode, Widerspruch gegen den medialen Konsens zu den Tugenden.

Urban Priol ist einer der letzten verbliebenen Repräsentanten eines politischen Kabaretts, wie es in Deutschland Wolfgang Neuss, Dieter Hildebrandt oder Georg Schramm geprägt haben. Dass es in Nischen gedrängt wurde, ist kein Versehen, sondern Absicht. Die Comedy hat neben vielen anderen Strategien die Aufgabe, die Rede von sozialer Ungerechtigkeit, von der Lüge der „Trickle-down-Theorie“ oder „Pferdeäpfel-Theorie“, die Priol beim Namen nennt, aus der Öffentlichkeit zu verbannen zugunsten der Problemchen, denen die Comedians ihre Lacher abringen.

Urban Priols Tilt! 2022 kann noch bis zum 1. März 2023 in der Mediathek von ZDF und 3sat abgerufen werden. Es lohnt sich.


Thomas Rothschild – 31. Dezember 2022
ID: 2758

Citizen Kretschmann

In dem Film Citizen Kane kauft der Eigentümer des Inquirer die gesamte Redaktionsmannschaft des konkurrierenden Chronicle ein. Sein Freund Jedediah Leland stellt dem Kollegen Bernstein eine rhetorische Frage: „Do we stand for the same things the ‚Chronicle‘ stands for, Bernstein?“ Bernstein antwortet: „Certainly not. Listen, Mr. Kane, he'll have them changed to his kind of newspapermen in a week!“ Darauf Leland: „There's always a chance, of course, that they'll change Mr. Kane, without his knowing it.“

In Baden-Württemberg hat man vor Jahren – es scheint wie eine Ewigkeit – die Grünen zur stärksten politischen Kraft und mit ihr Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten gewählt. Den Wahlsieg verdankten sie damals dem Widerstand gegen Stuttgart 21. Das ist längst vergessen. Der Slogan von einst – Wir bleiben oben – ist ein leeres Versprechen geblieben. Vom Stuttgarter Bahnhof steht nur noch ein Fragment, drum herum haben sich die Spekulanten breit gemacht, und eine Tunnellandschaft bahnt der Bahn einen Weg: unten. Der Popularität von Kretschmann hat es nicht geschadet. Er kann tun und lassen, was er will, das Wahlvolk zuckt nur mit der Schulter, wenn er dem bekannten Ausspruch Konrad Adenauers folgt: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!“

Wie ein Jungverliebter gab Kretschmann flugs dem Werben einer CDU nach, der man manches nachsagen kann, aber gewiss keine grünen Neigungen oder eine Abwehr von Stuttgart 21, das sie schließlich eingefädelt hat. Jetzt hat ausgerechnet Hans-Ulrich Rülke, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, die bislang nicht durch eine besondere Nähe zu den Grünen aufgefallen ist, Kretschmann für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht. Wer ist da weiser geworden? Die FDP oder Winfried Kretschmann?

„Stehen wir für die selben Dinge, für die die FDP steht, Trittin, Ströbele, Baerbock?“ „Gewiss nicht. Hören Sie zu, Herr Kretschmann, er wird sie innerhalb einer Woche zu Politikern seiner Art verändert haben.“ „Es gibt freilich immer eine Möglichkeit, dass sie Herrn Kretschmann verändern werden, ohne dass er es merkt.“

Thomas Rothschild - 1. Juni 2021
ID: 2728

Das Ende des Genres

Der Film hat von seiner Geburt Ende des 19. Jahrhunderts an, schon in seinen mehr als 30 stummen Jahren, Genres herausgebildet. Zu den frühesten gehörte der Western, aber auch der Gangsterfilm konnte sich sehr schnell als Genre etablieren. Nicht auf Innovation kam es in erster Linie an, sondern auf die Virtuosität bei der Durchführung eines vorgegebenen Schemas, wie das in den anderen Künsten bis weit ins 18. Jahrhundert gang und gäbe war.

Der Genrefilm konnte sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts behaupten. Stets aufs Neue stellte er eine Herausforderung für Regisseure dar. Als sich das Ende des Westerns bereits ankündigte, sprach man vom Spätwestern. Manche Genres kamen hinzu, manche, wie etwa der Kriegsfilm oder der Katastrophenfilm, auch das Filmmusical standen nur für kurze Zeit im Vordergrund, andere, wie der Porno, überlebten im Verborgenen.

Heute existieren die Filmgenres, kaum als solche erkennbar, allenfalls in Überresten. Die Logik der Konsumgesellschaft verlangt immerfort Neues, Originelles. So wie der früher fast obligatorische Establishing Shot durch die eröffnende Detailaufnahme ersetzt wurde, die Ort und Art der Handlung offen lässt und eine Überraschung verspricht, so ist das Genre mehr oder weniger verschwunden. Mit dem Western ist auch der Western-Fan verschütt gegangen, der den Gang von John Wayne nachahmen konnte oder den Slang des typischen Bösewichts.

Mit den Genres freilich, und das ist fast noch bedauerlicher, ist auch ihr humoristisches Gegenstück verloren gegangen: die Parodie. Sie verlangt, um verstanden zu werden, ein vertrautes, allgemein bekanntes Muster. Wo es keinen Western mehr gibt, kann es auch keine Parodien geben wie Destry Rides Again, 4 for Texas oder Cat Ballou, wo der Gangsterfilm nicht geläufig ist, können auch Parodien wie The Ladykillers, Ocean's Eleven, Charade oder Robin and the 7 Hoods nicht funktionieren – allesamt Highlights des komischen Films.

Wer derlei bedauert, wird als rückwärtsgewandt und vergreist bespöttelt. Meinetwegen. Aber man nenne mir den Ersatz für die Verluste. Die Digitalisierung? Die Tricks aus dem Computer? Wie hätte man im Western gesagt? Scheiß drauf.

Thomas Rothschild - 17. März 2021
ID: 2719

Weihnachten

Er gehört zu Weihnachten wie das Amen zum Gebet: Frank Capras Film It's a Wonderful Life (Ist das Leben nicht schön?) von 1946. Er handelt von George Bailey, der vom Selbstmord abgehalten wird durch den Engel Clarence, der ihn davon überzeugt, wie viel Gutes er für andere getan hat.

Das Negativ zu diesem Rührstück liefert ein anderer Weihnachtsklassiker, A Christmas Carol von Charles Dickens. Diese Erzählung handelt von dem verabscheuungswürdigen Geizhals Ebenezer Scrooge, dem Geister vor Augen führen, wie viel Leid er anderen zugefügt hat, und der unter dem Eindruck dieser Visionen der gute Mensch wird, der George Bailey immer schon war.

Dieses Muster ist in der Literatur vor und nach Dickens unzählige Male abgewandelt worden, meist mit dem Subtext, dass Geld nicht nur nicht glücklich, sondern hässlich und böse macht. Zu den bekanntesten Exemplaren gehören die Besserungsstücke von Ferdinand Raimund, Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär und Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Noch Ingmar Bergmans vielleicht bester Film Wilde Erdbeeren variiert dieses Schema und nähert es dem 20. Jahrhundert an, indem er die mahnenden Geister oder Allegorien durch aufklärerische Träume ersetzt.

Was Autoren so oft und so lange umtreibt, müsste doch, so sollte man meinen, Gewicht haben. Das Gegenteil ist der Fall. Die genannten Beispiele und viele mehr beweisen nur die Wirkungslosigkeit der Künste. Hat auch nur ein Mensch unter dem Eindruck von Raimund, Dickens oder Bergman darauf verzichtet, Geld anzuhäufen, und sich stattdessen dem Wohlergehen seiner Mitmenschen verschrieben? Hat die Bosheit durch den Einfluss von Literatur abgenommen? Kennt man jemanden, der sich gesagt hätte, so wie Ebenezer Scrooge, wie Fortunatus Wurzel, wie Herr von Rappelkopf, wie Professor Isak Borg vor ihrer Läuterung waren, möchte ich nicht sein, und auch danach gehandelt hätte?

Zu Weihnachten geben wir unseren sentimentalen Empfindungen nach. Vor dem Fernsehschirm oder beim Vorlesen unter dem Christbaum. Und danach: weiter wie bisher. Wer an die erziehende Wirkung der Künste glaubt, mag sympathisch sein. Auf alle Fälle ist er naiv.

Thomas Rothschild - 18. Dezember 2020
ID: 2710

Wider den US-Kolonialismus

Noch nie hat sich der Satz von Wim Wenders, dass die Amis unser Unterbewusstsein kolonialisiert haben, so sehr bewahrheitet, wie in unserer Gegenwart. Mit dem Streaming hat sich dieser beklagenswerte Zustand intensiviert. Woche für Woche empfehlen Zeitungen und Zeitschriften als willfährige Kolporteure des Status quo und der Profitinteressen die angeblich „besten Serien“, die man im Programm der Fernsehanstalten aufsuchen oder sich bei Netflix & Co. herunterladen kann. Kritiklos nehmen sie hin, dass neben den meist minderwertigen deutschen Elaboraten – Babylon Berlin ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt – fast ausschließlich Importware aus den USA zur Verfügung steht. Als gäbe es zwischen Tokio und Vancouver, zwischen Johannesburg und Oslo keine Filme und keine Fernsehserien. Das dänische Borgen war auch in dieser Hinsicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Man nenne einen einzigen triftigen Grund, weshalb, um ein Beispiel zu nennen, zwei grandiose Literaturverfilmungen des Russen Vladimir Bortko niemals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, ja nicht einmal für DVD synchronisiert oder deutsch untertitelt wurden: Dostojewskis Idiot von 2003 und Bulgakows Meister und Margarita von 2005. Beide Serien halten sich mit je zehn Episoden von insgesamt rund neun Stunden eng an die sehr unterschiedlichen literarischen Vorlagen, sind aber zugleich filmisch anspruchsvoll und schauspielerisch den deutschen Serien in einem Maße überlegen, das einen Vergleich eigentlich verbietet. Die Romane, die ihnen zugrunde liegen, gelten zu Recht als Meisterwerke der Weltliteratur. Wie sollten die Serien also „zu russisch“ oder gar unverständlich sein, um in Deutschland ein Publikum zu finden? Die Amis haben unser Unterbewusstsein kolonialisiert. Und wenn nun jemand einwendet, er wolle keine Fernsehserien aus dem Land Putins sehen, sei daran erinnert: der Präsident der USA heißt Donald Trump. Jedenfalls bis morgen.

Thomas Rothschild – 2. November 2020
ID: 2702

Deadwood

Zu den filmisch wie inhaltlich besten Fernsehserien seit The Sopranos gehört Deadwood, das in den USA von 2004 bs 2006 erstmals ausgestrahlt wurde. Darin ist jedes dritte Wort, insbesondere von dem Inhaber des Saloons und Bordells Gem Variety Theater Al Swearengen, "fuck" oder "cocksucker". Darüber hinaus werden Schwarze, Chinesen und Juden laufend mit diskriminierenden Schimpfwörtern bedacht. Es ist kaum anzunehmen, dass sich heutige Zuschauer diese rassistischen Bezeichnungen zu eigen machen oder sie auch nur goutieren. Wenn man sie aber, wie das heute zum guten Ton gehört, streicht oder durch neutrale Begriffe ersetzt, beraubt man sich der Möglichkeit, eine rassistische Gesellschaft zu zeigen. Jede Sprachkosmetik dient in diesem Fall der Geschichtsfälschung, mehr noch: der Exkulpation von Zuständen, die die Serie gerade anzuklagen bestrebt ist.

Deadwood ist jedoch auch in anderer Hinsicht interessant und aktuell. Die Serie spielt in den Jahren 1876-1878. Sie zeigt eine neu gegründete Goldgräbersiedlung in South Dakota in einer Epoche, in der sich Law and Order erst allmählich durchsetzten. Man reicht sich die Hände, in die man zuvor gespuckt hat. Das genügt, um einen Vertrag zu besiegeln, an den man sich hält oder eben nicht hält. Prostituierte werden importiert und wie Gefangene in Käfigen gehalten. Es herrscht das Recht des Stärkeren, offenkundige Morde bleiben ungesühnt, ein staatliches Gewaltmonopol steht noch in den Sternen. South Dakota wurde erst 1889, also nach der Zeit der Handlung von Deadwood, als Bundesstaat in die USA aufgenommen. Im Film Deadwood von 2019, der an die Serie anschließt, wird das zum Hintergrundsthema.

Man muss sich vor Augen halten: die „Helden“ von Deadwood, für die es größtenteils historische Vorlagen gab, Al Swearengen, Seth Bullock, George Hearst, Calamity Jane, „Wild Bill“ Hickok waren Zeitgenossen von Émile Zola, Karl May, August Strindberg, Oscar Wilde, Sigmund Freud, Carl Benz, August Bebel, Paul von Hindenburg. Die Story von Deadwood liegt gerade vier bis fünf Generationen zurück. Aber die Verhältnisse westlich von New York, Boston und Chicago unterschieden sich grundlegend von jenen in Frankreich, England oder Deutschland. Deadwood liefert davon ein anschauliches Bild. Und macht schlagartig verständlich, was uns gemeinhin so rätselhaft erscheint: wieso ein launischer Rowdy wie Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden konnte.

Der Western, der weitgehend aus der Mode gekommen ist, galt einst als amerikanischer Heimatfilm. Deadwood hat die Klischees des Genres durch eine fast dokumentarische Nähe zu den überlieferten Fakten ersetzt. Sie belehren uns, dass die heroischen Legenden allenfalls im Kopf eines Donald Trump weiterleben. In John Fords The Man Who Shot Liberty Valance sagt der Journalist Maxwell Scott: „When the legend becomes fact, print the legend.“ Donald Trump scheint an diese Legenden zu glauben und verhält sich entsprechend. Das muss man wissen, wenn man den amerikanischen Präsidenten und seine Politik beurteilt. Dieser Tage hielt er just in South Dakota, 80 Kilometer von Deadwood entfernt, eine flammende Rede gegen die Anti-Rassismus-Bewegung.

Thomas Rothschild - 16. Juli 2020
ID: 2690

James Bond

Wenn es eines Beweises bedürfte, dass Sexismus und Rassismus – ganz im Sinne der legendären F-Skala von Adorno u.a. – eng mit einander verbunden sind, könnten die James-Bond-Filme und die ihnen zugrunde liegenden Romane von Ian Fleming einen überzeugenden Dienst leisten. Nach den Maßstäben, mit denen Filme oder auch Theaterstücke heute beurteilt werden, hätten sie seinerzeit zu massiven Protesten führen müssen. Frauen fallen regelmäßig und augenblicklich in die Horizontale, wenn James Bond – egal in wessen Gestalt – sich ihnen nähert. Und die Masterminds des Bösen tragen zwar deutsch klingende Namen – Blofeld, Goldfinger, Stromberg –, aber die ausführenden Übeltäter sind zu einem guten Teil als Asiaten oder Schwarze gekennzeichnet. Ihnen stehen nur sehr wenige „gute“ Figuren gegenüber, die nicht der „weißen Herrenrasse“ angehören. Es gibt kaum ein rassistisches Klischee, das die so erfolgreiche Filmserie, die insgesamt mehr als 15.000 Millionen Dollar eingespielt hat, ausgelassen und nicht mit Nachdruck wiederholt hätte.

Die Frage ist: wie viele von den mehreren Millionen Zuschauern, die im Lauf eines halben Jahrhunderts James-Bond-Filme gesehen haben, wurden durch sie in ihrer Einstellung zu Frauen, Chinesen, Japanern, Afrikanern, auch Russen, dem politischen Hauptfeind der „westlichen Welt“ in den Jahren des Kalten Krieges und des nuklearen Wettbewerbs, und, auf der Höhe der Zeit, zu Nordkoreanern geprägt? Die Medienwirkungsforschung gibt uns nur sehr unzuverlässige und widersprüchliche Antworten. Vieles spricht dafür, dass durch solche Filme lediglich vorhandene Prädispositionen bestärkt werden – der „Reinforcement-Effekt“ –, nicht aber Meinungen produziert werden. Wer schon zuvor der Ansicht war, dass Frauen nur darauf warten, „genommen“ zu werden, dass sie entweder dumm oder hinterhältig sind, dass „Farbige“ gewalttätig seien, mag sich durch solche Klischees bestätigt fühlen. Wenn das aber zutrifft, ist es müßig, gegen Filme, Theaterstücke, Bücher vorzugehen, die diese Klischees transportieren. Verhindert werden müssen Überzeugungen, die für sie empfänglich machen. Es bedarf, um ein eklatantes Beispiel zu nennen, keiner Filme, die Roma und Sinti in diffamierender Weise darstellen. Der Antiziganismus ist, wie Hajo Funke eben erst in der Januar-Nummer von konkret nachgewiesen hat, eine bei der Mehrheit der Deutschen tief verankerte Einstellung. Sie gilt es zu bekämpfen, nicht den Zigeunerbaron oder Carmen.

Wer früh, sehr früh gegen die Anfälligkeit für Sexismus und Rassismus immunisiert wird, wird auch James-Bond-Filme unbeschadet überstehen. Er wird sie als das sehen und mögen oder auch nicht mögen, was sie sind: Märchen für Erwachsene mit einer klaren Trennung von Gut und Böse. Er wird das Kino verlassen wie Kinder die Märchenlektüre. Sie wissen in der Regel ziemlich genau, dass es im wirklichen Leben keine bösen Hexen und keine guten Feen gibt. Wer allerdings daran zweifelt, sollte die James-Bond-Filme zumindest mit der gleichen Vehemenz verdammen wie Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung oder Molnárs Liliom.

Thomas Rothschild - 24. März 2020
ID: 2667

Der tägliche Schwachsinn

Der Schutz vor sexueller Belästigung macht gewaltige Fortschritte. Das ist gut so, und wenn Gerichte dabei Hilfestellung leisten, soll uns das recht sein. Wer aber schützt uns vor der Beleidigung unseres Verstands? Wann melden sich endlich jene Massen, die sich - #Me Too – die tägliche Vergewaltigung ihrer intellektuellen Integrität nicht mehr gefallen lassen wollen?

Ich schalte nur selten den Fernseher ein. Ab und zu aber gerate ich per Zufall in eine Sendung, deren Existenz mir bislang verborgen geblieben war. So dieser Tage Brisant im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seinen Dienst einst mit einem Bildungsauftrag angetreten hat und für den ich immerhin Gebühren bezahlen muss. Da wird berichtet, dass eine Pamela Anderson zum fünften Mal geheiratet hat. Ich weiß nicht, wer Pamela Anderson ist, und nach diesem Beitrag bin ich auch nicht besonders motiviert, mehr darüber zu erfahren. Offenbar aber ist sie so bedeutend, dass es von Relevanz für die Menschheit ist, wenn sie heiratet. Dazu hat auch eine wohl nicht weniger bedeutende „Society-Expertin“ namens Sibylle Weischenberg etwas zu sagen. Unter anderem dies: Sie habe schon lange nichts Schöneres gehört, als dass Pamela Anderso jetzt eine Beziehung auf Augenhöhe gefunden habe. Ihr fünfter Ehemann John Peters, wer immer das sein mag, wird ihr sagen: „Wir machen das jetzt so.“ Originalton Society-Expertin Weischenberg: „Gibt es etwas Schöneres als einen Mann, der sagt, ich sorge für dich (…) und sie muss sich nicht mehr überlegen, ob sie dritter Klasse fliegt oder erster Klasse. Für sie öffnet sich jetzt eine gesicherte Welt.“ Müssen wir uns solch einen Schwachsinn wirklich gefallen lassen? Und was sagen die echten Me Too-Aktivistinnen dazu, dass es als das denkbar Schönste angepriesen wird, wenn man sich eine „gesicherte Welt“ in der ersten Klasse erheiratet hat? Ist der Weg zum Filmproduzenten so weit, der von einer Schauspielerin verlangt, dass sie sich auf die Couch legt, wenn sie eine Rolle bekommen möchte?

Der „gute John Peters“ ist, erklärt uns Sibylle Weischenberg, „bingo“. Er ist reich „und kann für sie sorgen". Was will man mehr. Wer sich nicht so gut verkauft wie Pamela Anderson hat Pech gehabt. Sie wird in Brisant nicht vorkommen. Und wir dürfen wieder darüber diskutieren, ob zu viel Aufhebens gemacht wird um Greta Thunberg.


Thomas Rothschild - 23. Januar 2020 (2)
ID: 2656

Stand-up Comedy

Wenn Jazz und Film amerikanische Künste sind, dann gilt das zumindest ebenso sehr für die Stand-up Comedy. Ein Mann, eine Frau steht vor dem Mikrophon und erzählt – das wär's, nichts weiter. Während die Conférence in der Tradition des deutschsprachigen Kabaretts und Varietés lediglich überleitet von der einen Nummer zur anderen, ist Stand-up die Nummer selbst. Und wenn sich Franz Hohler, zum Beispiel, als Theaterdonnerer vorstellt, so wissen wir jeden Moment, dass das eine Rolle ist, wundern uns nicht, wenn er in der nächsten Nummer plötzlich wer ganz anderer ist. Wenn der Alleinunterhalter des Stand-up „ich“ sagt, dann geht er ganz in seiner Rolle auf, hält sie von Anfang bis Ende, meist über Auf­tritte und Jahre hinweg, bei. Der Zuhörer kann nicht mehr unterscheiden, wo er tatsächlich Erlebtes berichtet und wo er sich etwas ausgedacht hat. Der Stand-up-Komiker identifiziert sich (scheinbar) so sehr mit seiner Rolle, dass er zum Typus wird, den man sich im realen Leben nicht anders denken mag als auf der Bühne.

Woody Allen war, ehe er als Filmemacher zu Weltruhm gelangte, ein begnadeter Stand-up-Comedian. Er konnte auf Anregungen von Jack Benny oder George Burns zurückgreifen. Lily Tomlin ist eine der weniger Frauen im Metier. Und es gibt Aufnahmen von einigen Stand-up-Höhepunkten aus in den Jahren 1959-71 gesendeten Folgen der Ed Sullivan Show, jener legendären Sonntagsserie, die schwächere Gastgeber in den USA und nur noch peinliche Zombies in deutschen Fernsehanstalten immer wieder hilflos kopieren. Fünf Minuten dieser Aufzeichnungen enthalten mehr gescheite Pointen, als ein Harald Schmidt in all seinen Sendungen zusammengenommen zustande gebracht hat. Neben Stand-up-Soli gibt es auch ein paar Sketche, von denen ich einen – von Stiller & Meara: Hershey Horowitz Meets Mary Elizabeth Doyle – hervorheben möchte. Ein Paar, das sich über eine Computer-Vermittlung kennengelernt hat, stellt fest, dass es in der selben New Yorker Straße wohnt, aber sich nicht verständigen kann, weil die beiden völlig unter­schiedliche Erfahrungen haben: sie ist Christin, er Jude. Der Dialog ist von fulminantem Witz und zeigt, übertreibend, doch eine drastische Tatsache, dass nämlich der viel gepriesene „mel­ ting pot“ in Wahrheit ein Konglomerat von Ghettos ist. Die Szene wurde vor Jahrzehnten aufgenommen und wirkt kein bisschen veraltet.

Bei Ed Sullivan begnügte man sich noch nicht mit hysterisch gestikulierenden Kleiderständern und blöd grinsenden, feixenden Gesichtern, aus denen kein hörenswertes Wort dringt. Zu den Stammgästen der Ed Sullivan Show gehörten die Schauspieler und Sänger des Broadway, die Stars der aktuellen Musicals, die mehr zu bieten hatten als allenfalls Auskünfte über ihre jüngsten Liebschaften oder ihre Morgengymnastik. Warum nimmt sich unser Fernsehen nicht daran ein Beispiel? Es gab und gibt ja auch in Europa einige wenige Stand-up-Komiker, die sich an den amerikanischen Stars messen können: Lukas Resetarits, und Josef Hader in Österreich, Arkadij Rajkin in Russland. Ein deutscher Komiker dieses Formats fällt mir nicht ein. Na ja, Gerhard Polt vielleicht, Georg Schramm, Bruno Jonas und Sigi Zimmerschied.


Thomas Rothschild - 19. August 2019
ID: 2635

 



 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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