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Besprechung

„Kleinruppin forever“ (Deutschland 2003)

Regie: Carsten Fiebeler

Starttermin: 9. September 2004

Die Menge ist aufgebracht und skandiert feindselige Parolen. Das Geschrei der Hass-Tiraden wird immer lauter, je näher der Politiker kommt. Dann entlädt sich der Volkszorn. Es fliegen Eier und auch ein Stein in seine Richtung. Scheinbar ungerührt geht der Politiker weiter, weiht den für viele Millionen Euro umgebauten Bahnhof des Städtchens ein und besucht ein elektrotechnisches Werk, das 500 Ausbildungsplätze zu bieten hat. So geschah es wirklich im August 2004 im brandenburgischen Ort Wittenberge, als Bundeskanzler Schröder dort zu Besuch war.

Genau dieses Wittenberge ist auch der ostdeutsche Drehort von Carsten Fiebelers Kinofilm „Kleinruppin forever“. Die Filmcrew hat lange nach einem geeigneten Ort gesucht, der als Kulisse für ihre DDR-Romanze dienen könnte, die zeitlich im Jahr 1985 angesiedelt ist. Nachdem über sechzig mögliche Drehorte ausgekundschaftet wurden, fiel die Wahl auf Wittenberge, das rund zwei Autostunden nordwestlich von Berlin liegt. „Der Ort sieht noch sehr stark aus wie 1985“, begründet der Produzent Dirk Beinhold diese Entscheidung. „ Was für uns sehr schön ist, ist für die Wittenberger aber schlecht, weil hier kaum was saniert wurde und die Arbeitslosigkeit extrem hoch ist.“

Szenenbild \"Kleinruppin Forever\"
Die Grundidee des Films hätte auch Potential zur Komödie gehabt, das aber nicht ausgereizt wird. Was wird aus einem jungen Schnösel aus Westdeutschland, der plötzlich mitten in der DDR ausgesetzt wird? So ergeht es dem jungen Bremer Tim (Tobias Schenke) im Jahr 1985. Er wacht mit brummendem Schädel im brandenburgischen Kleinruppin (gedreht in Wittenberge) auf und trägt auf einmal Ost-Klamotten. Nur der Popper-Haarschnitt erinnert noch an seine westliche Herkunft. Der aus Bremen stammende Tim war auf Klassenfahrt in die DDR. Er wurde nämlich in Kleinruppin geboren, deshalb wurde er vom Grenzer auch schon als Republikflüchtling beschimpft. Dabei war er noch ein Säugling, als er von einem wohlhabenden Bremer Ehepaar adoptiert wurde. In den Straßen von Kleinruppin begegnete er seinem Ebenbild, dem jungen Ostdeutschen Ronnie (ebenfalls gespielt von Tobias Schenke.) Die beiden stellten fest, dass sie Zwillinge sein müssen. Ronnie bat seinen West-Bruder, ihn an seiner Statt in den Westen fahren zu lassen, nur für kurze Zeit. Als Tim das wiederholt ablehnte, verlor er auf einmal das Bewusstsein. Und nun befindet sich Tim mitten in der DDR und wird von allen für Ronnie gehalten. Der richtige Ronnie befindet sich mit Tims Schulklasse im Bus zurück in den Westen.

Szenenbild: Tobias Schenke in \"Kleinruppin Forever\"
In der Folge zeigt der Film – ohne Übertreibung und Ironie -, wie Tim versucht, ein Telefongespräch mit seinen Eltern in Bremen anzumelden. Das ist in der DDR gar nicht so einfach. Als ihm dies nach Mühen gelingt, scheinen die mit ihrem „neuen“ Tim ganz zufrieden zu sein und halten seinen Anruf für einen schlechten Scherz. Aus dem Westen ist also nicht mit Hilfe zu rechnen. Wie kommt Tim aber wieder aus der DDR raus? Auf der Polizeiwache glaubt ihm niemand die Geschichte mit dem Zwillingsbruder. Und die Ärzte im Krankenhaus diagnostizieren eine posttraumatische Amnesie aufgrund des Schlages, den „Ronnie“ auf den Kopf bekam. Trotz dieser Entschuldigung bekommt Tim den Überwachungsstaat in voller Härte zu spüren. Er hat aber Glück, dass sich Ronnies Adoptivvater für ihn einsetzt und ihn aus den Klauen der Parteibonzen befreit. Also nimmt er wohl oder übel erst einmal die Identität seines Zwillingsbruders an.
Tims neues Leben wird durch drei Umstände charakterisiert. Erstens, muss er sich an das Leben in der DDR gewöhnen, zweitens sucht er nach einem Weg, zurück in den Westen zu kommen, drittens hat er sich unsterblich in die bezaubernde Krankenschwester Jana (Anna Brüggemann) verliebt. Jana und sein Adoptivvater Erwin helfen ihm auch bei der geplanten Flucht in den Westen. Tim ist ein guter Schwimmer und Jana trainiert hart mit ihm, damit er sich für Wettkämpfe im Westen qualifizieren kann. Erwin hilft ihm, indem er ein paar Bonzen an vergangene Missetaten erinnert, die Tim dann widerwillig doch die Teilnahme am Wettkampf gestatten. Als Tim dann endlich mit der Mannschaft abreist, ist es aber schon irgendwie um ihn geschehen, denn er merkt, dass er in Jana die Liebe seines Lebens gefunden hat. Er steht vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Will er Jana aufgeben oder den Westen? Beides zusammen kann er nicht bekommen!

Anna Brüggemann in \"Kleinruppin Forever\"
„Kleinruppin forever“ ist Carsten Fiebelers zweiter abendfüllender Kinofilm. Der gebürtige Zwickauer hat detailliert und liebevoll die DDR wieder auferstehen lassen, und man kann ihn getrost der Ostalgie bezichtigen. Das Fabrikgebäude, in dem Tim arbeitet, war zu Zeiten der DDR das Gelände der ehemaligen Singer-Fabrik, in der Nähmaschinen hergestellt wurden. (In der DDR waren sie unter dem Namen Veritas bekannt.) Das farblose und marode Gebäude steht sinnbildlich für den Verfall der Bausubstanz in der DDR, den die DDR-Bürger selbst ironisch mit „Ruinen schaffen, ohne Waffen“ charakterisierten. Auch die Plattenbausiedlung, in der Jana wohnt, versinnbildlicht dieselbe Trostlosigkeit. In Wirklichkeit stand die Siedlung aber kurz vor dem Abriss, der wegen der Dreharbeiten nur verschoben wurde. Einige Drehorte mussten allerdings doch nachgebaut werden, weil sie schon modernisiert oder abgerissen waren. Dazu gehören der Busbahnhof, an dem Tim und Jana sich kennen lernen, eine 1.-Mai-Tribüne und die Werkskantine. Trotz seines leicht sentimentalen Wohlwollens ist Fiebelers Blick kritisch, er prangert sowohl die Missstände im rückständigen „Kleinruppin“ an, als auch den überkandidelten Westen. Aber er lässt den Zuschauer auch daran teilnehmen, wie sich die trostloseste Umgebung verändert, wenn man sie durch die Augen der Liebe betrachtet.

Erklärt der Film nun aber, warum Menschen in Wittenberge Eier und einen Stein auf einen Kanzler werfen, der unsere Nation mit einem sturen „Nein“ vor einem aberwitzigen Krieg im Irak und dem Nachkriegsterror bewahrte? Natürlich nicht. Aber es werden die Verhältnisse in der damaligen DDR wahrheitsgemäß gezeigt und mit denen im Westen verglichen. Durch die detailgenaue Inszenierung des damaligen Ost-West-Gefälles kann man heute recht deutlich erkennen, dass Ost und West in den letzten 15 Jahren doch schon zusammengewachsen sind. Nein, die „blühenden Landschaften“ gibt es noch nicht überall in den neuen Bundesländern, aber die Ansätze sind vorhanden. Die Eierwerfer seien an dieser Stelle gefragt: „Hand aufs Herz. Hat sich Ihre Lebensqualität seit dem Ende der DDR wirklich verschlechtert?“


h.f. - red / 12. September 2004
ID 00000001224

Weitere Infos siehe auch: http://www.akkordfilm.de/kleinruppin_forever.htm






 

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