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Deutsches Kino

Ausbruch

mit Wolf



Bewertung:    



Die Schauspielerin und Regisseurin Nicolette Krebitz hat ihren dritten Spielfilm Wild nicht auf der Berlinale sondern beim renommierten Sundance Film Festival für internationale unabhängige Produktionen gezeigt. Der Film hat dort für einiges Aufsehen gesorgt und war nun parallel zum deutschen Kinostart als Gast im Wettbewerb des diesjährigen achtung berlin-Festivals zu sehen.

Wild handelt von der jungen Frau Ania, die sich nach der Begegnung mit einem Wolf aus ihren bisherigen Lebenszwängen befreit und zu einer selbstbestimmten Sexualität findet. In der Hauptrolle ist die bemerkenswert vielseitige Volksbühnenschauspielerin Lilith Stangenberg zu bewundern.

Ania ist die graue IT-Maus in einem äußerlich sterilen PR-Büro in Halle. Ihr Chef Boris (Georg Friedrich) wirft mit Bällen gegen die Bürotrennwand, wenn sie ihm einen Kaffee bringen soll. Die Kamera verfolgt Ania zunächst auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit vorbei an stillgelegten Bahngleisen entlang eines verwilderten Parks in der Betonwüste Halle-Neustadts. Dort lebt sie allein, die Schwester ist zu ihrem Freund gezogen. Über den Flur befindet sich die Wohnung der Großeltern, um die sie sich kümmert, während der Großvater (Hermann Beyer) nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus liegt und schließlich stirbt. Auf einem geselligen Abend mit den Kollegen fühlt sich die stille Frau deplatziert. Einzige Freizeitunternehmung scheint der regelmäßige Gang zum Schießstand.

Das monotone Einerlei ihres Alltags ändert sich, als Ania am Rand des Wäldchens einen Wolf sieht. Man kann es schon im Leuchten ihrer Augen erkennen. Sie beginnt den Wolf zunächst mit einem riesigen Kottelet zu locken. Da er das Stück Fleisch verschmäht, kauft sie zwei lebendige Kaninchen und setzt diese aus. Als auch das fehlschlägt, erwacht in Ania der Jagdinstinkt. Dabei helfen ihr die Affinität zum Schießen und ein altes Buch des Großvaters über die sogenannte Lappjagd, bei der das Wildtier mit an Bäumen aufgefädelten Stofflappen in ein bestimmtes Gebiet getrieben wird.

Ania vernachlässigt ihren Job und konzentriert sich voll auf die Jagd nach dem Wolf, bei der ihr drei Vietnamesinnen aus einer Lumpenfabrik helfen, in die sie wegen eines Kunden mit ihrem Chef gefahren war. Mit Fackeln und Blasrohr wird der Wolf schließlich gestellt und betäubt. Ania beginnt nun in ihrer Plattenbauwohnung mit dem die absolute Freiheit gewohnten Tier ein gefährliches Annäherungsspiel, das den Wolf in ihrer Fantasie sogar über ein Menstruationsrinnsal zwischen ihre Beine führt und dann beim gemeinsamen Eierfrühstück endet. Erst durch ein Loch in der Wand beobachtet, schlägt sich der Wolf schließlich zu ihr durch und beschnuppert seine Bezwingerin.

Je mehr sie den Wolf domestiziert, umso mehr beginnt auch die junge Frau selbst zu verwildern. Das zeigt sich u.a. im plötzlich aufmüpfigen Verhalten gegenüber ihrem Chef, der davon sichtlich irritiert ist und sich nun ebenfalls zu ihr hingezogen fühlt. Nach wildem Sex auf dem Bürotisch versagt Boris allerdings, da er nicht aus seiner angestammten Rolle findet. Ania hinterlässt ihre Marke auf dem Tisch und zündet das nach künstlichem Bodenbelag riechende Büro einfach an.

Der Ausbruch mit Wolf erst auf die Dächer über Halle-Neustadt und schließlich in die Wildnis eines verlassenen Tagebaus ist konsequenter Abschied aus der einengenden Zivilisation als Sinnbild des alten unfreien Lebens. Die Sehnsüchte und Wünsche dieser Frau lassen sich dabei nur schwerlich durch die Symbolik der Bilder oder gar durch Anleihen an Freud'sche Psychologiemodelle erklären. Das ist auch gut so. In dem sorgfältig fotografierten Film wirkt nichts aufgesetzt oder voyeuristisch. Es ist sogar Platz für eine leicht subtile Komik, die nie die Hauptfigur denunziert und jede Menge Platz für eigene Fantasien und Interpretationsmöglichkeiten lässt.



Lilith Stangenberg im Film Wild von Nicolette Krebitz | (C) Heimatfilm

Stefan Bock - 16. April 2016 (2)
ID 9257
WILD (D 2016)
Regie und Drehbuch: Nicolette Krebitz
Kamera: Reinhold Vorschneider
Schnitt: Bettina Böhler
Szenenbild: Sylvester Koziolek
Kostümbild: Tabassom Charaf
Darsteller: Lilith Stangenberg, Georg Friedrich, Silke Bodenbender, Saskia Rosendahl, Kotti Yun, Laurie Young, Pit Bukowski, Nelson und Cossa, Hermann Beyer
Eine Produktion von Heimatfilm in Koproduktion mit WDR, ARTE
Produzentin: Bettina Brokemper

Weitere Infos siehe auch: http://www.heimatfilm.biz


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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