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Rezension


Filmstart: 14. März 2013

Song for Marion (Großbritannien 2012)

Drehbuch und Regie: Paul Andrew Williams




„Der Film ist inspiriert von meinen Großeltern und ihrer Liebe zueinander“, erklärt der Drehbuchautor und Regisseur Paul Andrew Williams. „Sie stehen stellvertretend für eine ganze Generation der Arbeiterklasse, deren Leben von Fleiß und Pflichten bestimmt war. Wie geht diese Generation im Alter mit Gefühlen, Einsamkeit und Verlust um?“

Das Skript von Song for Marion ist von halb-biografischen Erlebnissen des Autors und seiner Familie durchdrungen und spielt im unsentimentalen englischen Arbeitermilieu. So ist es trotz melodramatischer Thematik kein Rührstück, vermag aber aufgrund der Authentizität des Drehbuchs und der Darsteller tief zu berühren. Die Hauptpersonen sind die beiden Rentner Marion (Vanessa Redgrave) und ihr Mann Arthur (Terence Stamp). Sie haben in der letzten Zeit viel durchgestanden, denn Marion wurde gegen Krebs behandelt und hat das ganze Programm der Schulmedizin hinter sich. Arthur würde sie am liebsten in Watte packen, aber die lebenslustige Marion lässt sich das Leben und die Lust daran nicht nehmen. Sie singt in einem Chor mit anderen Pensionären, den Arthur ablehnt, aber er fährt sie wacker mit dem Auto zu den Proben.



Not amused. Während Marion (Vanessa Redgrave) begeistert singt, hält Arthur (Terence Stamp) nichts von dem Chor und seinem Repertoire - Foto © Ascot Elite Filmverleih



Eines Tages erfahren sie, dass der Krebs sich nicht aufhalten lässt und auch keine schulmedizinische Behandlung mehr erfolgen soll, weil diese Marions Lebensqualität noch mehr einschränken würde. Arthur wird immer verzweifelter, während Marion das letzte bisschen Leben in ihr noch auslebt. Als die alleinstehende Chorleiterin Elizabeth (Gemma Arteron [Hänsel und Gretel, 2013]) den Chor für einen Wettbewerb anmeldet, soll Marion beim Vorentscheid ein Solo singen. Alle im Chor sind einverstanden und unterstützen sie, weil sie wissen, dass Marion zum Zeitpunkt des Wettbewerbs nicht mehr leben wird. Nur Arthur kämpft in seiner hilflosen Fürsorglichkeit gegen Marions Kraftakt an. Die letzten Wochen von Marions Leben werden von den Proben für ihr Solo bestimmt. Als sie beim Vorentscheid den Song True Colors singt, bewegt er alle, auch den Juror, denn er ist Marions gefühlvolle Liebeserklärung an ihren Mann. Der Chor schafft die Qualifizierung für den Wettbewerb und erwartungsgemäß stirbt Marion, bevor dieser stattfindet.





Marion (Vanessa Redgrave) und der Rentnerchor rocken den Vorentscheid - Foto © Ascot Elite Filmverleih



Nach Marions Tod besucht die Chorleiterin Elizabeth Arthur häufiger und schafft es tatsächlich, ihn dazu zu bewegen, in den Chor zu kommen. Es kostet Arthur viel Selbstüberwindung, aber da ist noch eine Rechnung mit Marion offen: Ein Lied für Marion. So soll er beim Wettbewerb ein Solo singen, aber da gibt es noch ein paar andere Hindernisse zu überwinden.

„Oft habe ich mich gefragt: Was ist stark genug, um die harte Schale eines mürrischen alten Mannes zu knacken?“, erklärt Williams. „Was kann einen Vater und Großvater, der sich kaum eine Gefühlsregung entlocken lässt, aus seiner selbstgeschaffenen Finsternis herausholen und auf die Sonnenseite des Lebens zurückbringen? Zu sehen, wie er sie pflegte und wie er später den größten vorstellbaren Verlust ertragen musste, war eine wichtige Inspiration. Wie auch die Beobachtung, wie sehr die Angst, seine Schwächen und Bedürfnisse einzugestehen, einen Menschen auffressen und sein Umfeld zerstören kann.“

Im Film wird Arthurs Leiden dem seines Sohnes James (Christopher Ecclestone) gegenübergestellt. James hatte ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter, während das zum Vater durch dessen Zurückhaltung von Gefühlen geprägt ist und dadurch immer sehr angespannt war. Nach Marions Tod bricht Arthur sogar den Kontakt zu seinem Sohn ab. Die Männer von James' Generation haben schon besser gelernt, mit ihren Gefühlen umzugehen, und James ist seiner Tochter ein Vater, der Nähe sehr gut zulassen und auch den Tod seiner Mutter verarbeiten kann.




Arthur verpasst zunächst seinen Einsatz beim Solo - Foto © Ascot Elite Filmverleih



Der große Tag des Wettbewerbs droht zum Fiasko zu werden, aber einmal auf dem Weg lässt sich Arthur es nicht mehr nehmen, seinen Song für Marion zu singen.

Auch in Großbritannien scheint es ein Phänomen zu geben, das wir in Deutschland die „vergessene Generation“ nennen. Es sind die Kinder, die während oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, aber keine oder kaum noch Erinnerung an die Ereignisse haben. Viele von ihnen sind traumatisiert und weisen Eigenschaften auf, wie Arthur, der z. B. keine Gefühle zeigen kann, obwohl er tief im Herzen große Liebe für seine Familie hegt. Arthurs Traumatisierung wirkt sich auch auf die Beziehung zu seinem Sohn und seiner Enkeltochter aus. Es kommt im Film aber nicht zu dem, was die Psychologen die transgenerationale Weitergabe von Kriegstraumata bezeichnen, weil Marions offene Art diese Sekundärtraumatisierung nicht aufkommen lässt. Die Trennungs-, Verlust- und Todesängste der „Kriegskinder“, die oft jahrzehntelang gedeckelt waren, treten nun altersbedingt wieder ins Bewusstsein. Insofern ist Song for Marion fast ein Psychologie-Märchen, weil hier mit Hilfe des Ausdrucks der Gefühle durch Musik ein Heilungsprozess stattfindet. Wenn Arthur, der wochenlang auf der Wohnzimmercoach geschlafen hat, am Ende nun im verwaisten Ehebett schlafen kann, ist das ein wunderbares Bild für seine Rückkehr ins Leben.

Für seinen vierten Kinofilm hat der Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler Paul Andrew Williams ein paar der renommiertesten Mimen des Königreichs gewinnen können, die in diesem Low-Budget-Film engagiert schauspielerische Bestleistungen liefern. Hier geht der Spruch auf, dass die besten Geschichten immer noch das Leben schreibt.


Helga Fitzner - 17. März 2013
ID 6621
Weitere Infos siehe auch: http://www.songformarion.de


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