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Rezension


Filmstart: 10. Januar 2013

Hanna Arendt (F, CDN, IL, L, D 2012)

Regie: Margarethe von Trotta



Hannah und die Geister

Skeptiker dürfen aufatmen: Margarethe von Trottas Filmbiografie Hannah Arendt wird der Bedeutung der einflussreichsten politischen Theoretikerin des zwanzigsten Jahrhunderts im Großen und Ganzen gerecht – und ist auch noch ein emotionaler, unterhaltsamer Film geworden. Das ist nicht selbstverständlich, denn von Trottas Filme (z. B. Rosa Luxemburg [1983], Hildegard von Bingen [2009]) neigten vielfach zum pädagogischen Erteilen von Geschichtslektionen, wobei eine übereindeutige, illustrative Erzählweise mit dem oft deklamatorischen Stil von Hauptdarstellerin Barbara Sukowa eine unfilmische Allianz einging. Bei dem bis heute unerreichten Schwesterndrama Die bleierne Zeit (1981) passte diese Theatralik wie maßgeschneidert, weil damit der in Phrasen erstarrte Sprachduktus der RAF-Terroristen vorgeführt wurde.



Barbara Sukowa ist Hannah Arendt - Foto © Heimatfilm



Nun könnte man sagen, auch bei der Bebilderung von politischer Philosophie und Theorie des Totalitarismus passt ein trockener Stil à la Trotta per se gut, doch das wäre zu einfach argumentiert. Denn erstens waren und sind die Theorien von Hannah Arendt zu den Mechanismen totalitärer Herrschaft aus den 1960er Jahren viel zu spektakulär, was einer emotionsarmen Aufbereitung entgegensteht. Zum anderen hat Margarethe von Trotta diesmal die richtigen Schwerpunkte gesetzt, die es ihr erlauben, die Besonderheit der Persönlichkeit und des Wirkens von Hannah Arendt (1906-1975) als untrennbar zu beschreiben: In Arendts Berichten über den Gerichtsprozess gegen den Nazi-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann, den der israelische Geheimdienst 1960 von Argentinien nach Jerusalem entführt hatte, wird das bahnbrechende, skandalöse Potential ihrer Philosophie besonders deutlich.

Ähnlich wie bei den in diesem Frühjahr noch folgenden Filmporträts Lincoln und Hitchcock fokussieren von Trotta und ihre amerikanische Koautorin Pamela Katz die Biografie damit auf eine kurze, aber entscheidende Episode, während der Arendt mit jenen Geistern konfrontiert ist, die ihr Leben verändert haben. Arendt, die wegen ihrer jüdischen Abstammung 1933 aus Deutschland fliehen musste, erkannte vor Ort im Gerichtssaal als einzige, dass die geistlose Mittelmäßigkeit Eichmanns nicht zur Monstrosität seiner Taten passte: der bürokratischen Organisation des Holocausts. Statt ihn zu dämonisieren, beschrieb Arendt am Beispiel Eichmanns die „Banalität des Bösen“, die jeder verkörpern kann, der das selbstständige Denken zugunsten eines bedingungslosen Gehorsams gegenüber Hierarchien und Ideologien aufgibt.




Ulrich Noethen (Mitte) als Professor Hans Jonas in dem Film Hannah Arendt von Margarethe von Trotta - Foto (C) Heimatfilm



Ihre 1963 unter dem Titel Eichmann in Jerusalem in den USA veröffentlichten Artikel verursachten eine heftige Kontroverse, die in der Faschismusforschung bis heute nachwirkt. Dass Arendt die Rolle der so genannten Judenräte an den von den Nazis organisierten Deportationen aufgriff und Eichmanns fanatischen Antisemitismus marginalisierte, erzürnte seinerzeit vor allem Holocaust-Überlebende und Intellektuelle, darunter auch einige von Arendts Freunden wie Professoren-Kollege Hans Jonas (Ulrich Noethen).

„Das amerikanische Exil wird ihr zweites Erwachen. Vorher, als sie noch bei Martin Heidegger in Marburg Philosophie studierte, war sie nur am reinen Denken interessiert, plötzlich musste sie sich der Welt stellen“, sagt dazu Margarethe von Trotta. Arendt verkörperte ein Leben lang das für ihre Umwelt manchmal schwer zu akzeptierende Ideal eines komplett unabhängigen Geistes. Mehrfach zeigt von Trotta in ihrem Film, wie Hannah Arendt sich bei politischen Diskussionen mit deutschen Exilanten, zionistischen Freunden und amerikanischen Professorenkollegen nie von deren Argumenten beeinflussen ließ, wenn sie spürte, dass diese aus Leidenschaften gespeist waren – emotionale Szenen, die den Film bereichern. Emotionslose Arroganz, die Arendt oft vorgeworfen wurde, lässt das dynamisch und diesmal auch warmherzig grundierte Spiel Barbara Sukowas gar nicht erst aufkommen.

Gefühlskälte verströmen stattdessen die geschickt in die Filmhandlung eingebauten Originalbilder Eichmanns vor dem Jerusalemer Gericht. „Die Banalität des Bösen kann man nur an der wirklichen Person Eichmann aufzeigen. Jeder Schauspieler würde den Blick eher verfälschen, anstatt zu schärfen“, sagt dazu die Regisseurin. „Die Gegenüberstellung der politischen Theoretikerin und eigenständigen Denkerin einerseits und des Bürokraten, der nicht denkt, sondern sich unterordnet andererseits, hat uns erlaubt, zwei Haltungen aufzeigen zu können, die für die Geschichte nicht nur der beiden Protagonisten erhellend waren, sondern für einen großen Teil unserer europäischen Geschichte des letzten Jahrhunderts.“



Barbara Sukowa als Hannah Arendt und Axel Milberg als Heinrich Blücher in Margarethe von Trottas Film - Foto (C) Heimatfilm


Max-Peter Heyne - 10. Januar 2013
ID 6473

Weitere Infos siehe auch: http://www.hannaharendt-derfilm.de


Post an Max-Peter Heyne



 

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