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Filmkritik

Berührt

mich nicht



Bewertung:    



Schon vor neun Jahren sagte der Geschäftsführer eines renommierten, kleineren deutschen Filmverleihs für anspruchsvolle Filme, dass die Auszeichnung "BERLINALE-Gewinnerfilm" aus geschäftlicher Sicht eher ein Malus als ein Bonus sei, weshalb er diese Filme mit diesem Hinweis nicht bewerbe oder gar nicht erst zeige. Heißt: selbst im intellektuellen Segment des alltäglichen Filmgeschäfts ist ein Goldener Bär Kassengift.

Der diesjährige Hauptpreisträger Touch Me Not wird dieses ernüchternde Faktum gewiss nicht umkehren können. Denn er widmet sich einem randständigen Thema – dem Liebesleben von körperlich bzw. psychisch beeinträchtigten Menschen – auf eine sehr kopflastige, spröde Weise. Und was das Fazit betrifft: Wer hätte es gedacht, dass es stark gehandicapte, zu Depressionen neigende und vor Intimität zurückschreckende Mitmenschen nicht leicht haben, eine erfüllte Sexualität zu leben? Tja, wer?

Aber bevor ich ungerecht werde: Der Versuch, sich einem teils noch immer tabuisierten Thema anzunähern und Verständnis für die Besonderheiten von Transsexuellen, körperlich eingeschränkt handlungsfähigen oder auch nur stark gehemmten Menschen zu wecken, ist natürlich aller Ehren wert! Auch die Mischung aus Dokumentarfilm und inszenierten Passagen, das Zusammenspiel von Schauspielerinnen mit Laien, die gleichsam ihr eigenes Schicksal verkörpern, ist ein stimmiger Ansatz, um dem komplexen Thema Sexualität und Behinderung halbwegs gerecht zu werden. Gleichwohl illustriert die rumänische Autorenfilmerin Adina Pintilie die Untiefen des Themas selten auf eine emotionale, suggestive Weise, sondern verlässt sich auf das "Erregungspotential" von Nahaufnahmen von Haut und Haaren sowie Körperteilen und lässt ansonsten vielsprachig im On und Off über sexuelle Probleme und Wünsche reden.

Im Mittelpunkt steht Laura (Laura Benson), eine 50-jährige Frau mit panischer Angst vor Körperkontakt. Doch Voyeurismus als Ersatz für Berührungen genügen ihr nicht mehr, deshalb lässt sie sich beraten. Die österreichische Therapeutin und Transgender-Frau Hanna (Hanna Hofmann) ermutigt Laura, den eigenen Körper schätzen zu lernen und als Instrument einzusetzen. Parallel dazu berichten der seit Kindheitstagen komplett haarlose und deswegen gehemmte Tómas (Tómas Lemarquis) und der auf den Rollstuhl angewiesene Christian (Christian Bayerlein) von ihren Problemen und Sehnsüchten. Nun wissen wir Gesunden spätestens seit Ziemlich beste Freunde, dass selbst komplett Gelähmte und also auch an spinaler Muskelatrophie leidende, zwergwüchsige Menschen, Wege haben körperliche Lust zu empfinden – und dafür Fingerspitzengefühl nötig ist, das bei "normalem" Rein-Raus-Sex bisweilen zu kurz kommt.

Tatsächlich fiel mir beim Betrachten von Touch Me Not diese Szene aus dem französischen Erfolgsfilm von 2011 ein und stellte dabei fest, dass Regisseurin Pintilie ihrem Anliegen, Verständnis für besondere Arten von Intimität zu wecken, mit einer durchgehenden Spielhandlung und Identifikationssituationen, stärker hätte dienen können. Aber aus der Distanz betrachtet, appellieren ihre Protagonisten fast ausschließlich an den Intellekt der Zuschauer. Selbst kurze Einblicke in die Swinger- und Bondage-Szene bleiben respektvoll langweilig. Ein langes Wochenende im Berghain würde wahrscheinlich mehr Aufschluss über die Spielarten menschlicher Lustbefriedigung bieten. Nach einer Weile helfen auch die durchaus imposanten, allerdings durchweg in nüchternem Weiß gehaltenen Bilder von Kameramann George Chiper-Lillemark nicht mehr über das Gefühl hinweg, dass man einer mit 125 Minuten überlangen Gruppentherapiesitzung beiwohnt.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine BERLINALE-Jury (der im Frühjahr ausgerechnet der versierte Regisseur Tom Tykwer vorstand) eher das Wollen und Versuchen als das Können und Gelingen eines Films prämiert haben. Für einen Arte-Themenabend über die (flexiblen!) Grenzen des Begehrens und der Sexualität wäre dieser Film-Essay ein zureichender Beitrag. Als experimenteller Kinofilm bietet er hingegen zu wenig Mut zum Experiment und zu wenig Kino.




Touch Me Not! | (C) Alamode Film

Max-Peter Heyne - 1. November 2018 (3)
ID 11005
Weitere Infos siehe auch: http://www.alamodefilm.de/kino/detail/touch-me-not.html


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