Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Britisch-französisches Kino

Der tote

Monarch



Bewertung:    



Schon einmal gab es eine bittere britische Satire über den Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin (1878-1953), nämlich 1983 inszeniert vom sträflich unterbewerteten Regisseur Jack Gold (Charlie Muffin, Der kleine Lord): Der rote Monarch (Red Monarch) entstand nach der gleichnamigen literarischen Vorlage des KGB-Überläufers und späteren Schriftstellers Juri Krotkow, der die Mechanismen der Unterdrückung in der UdSSR am Ende von Stalins Herrschaft sicherlich gut aus eigenem Erleben und Betreiben kannte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur meinem damaligen jugendlichen Alter zuzuschreiben ist, dass Golds Tragikomödie einen stärkeren Eindruck bei mir hinterlassen hat als The Death of Stalin des schottischen Regisseurs Armando Iannucci, der soeben in Deutschland gestartet ist und ab 12. April auch in Schweizer Kinos anlaufen wird. Qualitäten haben sie beide.

Iannuccis Film unterscheidet sich vom Roten Monarch überwiegend dadurch, dass über die Tage nach Stalins Tod erzählt wird und nicht über die Zeit davor. Ansonsten aber weisen sie erstaunliche Ähnlichkeiten auf: Beide balancieren über weite Strecken geschickt auf dem Grad zwischen historischer Aufarbeitung und tiefschwarzem Humor, der zwar oft ins karikaturenhafte, aber selten ins Alberne oder Oberflächliche abrutscht. Denn in beiden Filmen sorgen die – meist nur angedeuteten – willkürlichen Grausamkeiten, die Stalin insbesondere gegen Ende seines Lebens wie am Fließband in Auftrag gab, immer wieder für Erschrecken und Ernüchterung.

Im Falle Stalins, der aus seiner „blutigen Verfolgung einen Karneval“ veranstaltete (so Autor Volker Elis Pilgrim), sind karikaturenhafte Verzerrungen und Übertreibungen nicht abwegig, sondern vermutlich eher nahe an der Realität. Anders verhält es sich mit Darstellungen Hitlers, der nicht wie Stalin „Angst und Schrecken verbreiten, sondern auslöschen wollte“ (Rudolf Augstein): Abgesehen von Hitler als "Gaststar" (wie z.B. in Indiana Jones und der letzte Kreuzzug) wirken alle Versuche, Angriffskrieg und Holocaust als groteske Tragikomödie zu erzählen, dem Gegenstand hoffnungslos unangemessen (Charlie Chaplins geniale Farce Der große Diktator entstand vor dem Wissen um diese Verbrechen und Dani Levys Mein Führer von 2007 schiebt sie gekonnt in den Hintergrund).

In den beiden Stalin-Satiren werden die Folgen der Verbrechen hingegen als Quelle sarkastischer Komik genutzt. In The Death of Stalin landen nicht nur alle möglichen unliebsamen Bürger, sondern auch Soldaten in den Folterkellern, die Stalin oder Geheimdienstchef Beria nur falsch angeschaut haben. Letztlich stirbt der Diktator in seinem Gemach, weil sich keine Wache traut, ihn zu stören (auch dies vermutlich ein realer Fakt). Freilich stellt sich auch bei einem so herausragenden Unmenschen wie Josef Stalin die Frage, ob eine noch so gallige Satire seinem Treiben "gerecht wird", und die Ironie der Geschichte ist, dass die gegenwärtige russische Regierung diese Frage durch das kurzentschlossene Aufführungsverbot von The Death of Stalin innerhalb Russlands (also dem Nachfolgestaat der UdSSR) beantwortet hat, nämlich mit Ja.

Für westliche Empfindungen mag die Art, wie in The Death of Stalin der Diktator das Denken und Handeln seiner Mitstreiter und Claqueure noch im Sterben beherrscht (bis sein Tod eine kurzzeitig befreiende Anarchie im Politbüro auslöst), ein Grund für Schadenfreude oder Genugtuung sein. In Russland hingegen scheint auch nach über 1960 Jahren das Erbe der Stalinschen Schreckensherrschaft zu übermächtig und unbewältigt, als dass die Nachfolger mit gelassener Souveränität eine Satire Satire sein lassen können. Offenkundig berührt Iannuccis Film eine schwärende Wunde, sei es, weil die Schrecken der Vergangenheit unzureichend aufbereitet wurden, sei es, um zwischen der Diktatur von früher und der „gelenkten Demokratie“ von heute keine Parallelen erkennen zu lassen.

Ob nun eher das eine oder das andere – dass der Film über einen der erwiesenermaßen größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte in Russland wie eine Art Majestätsbeleidigung aufgefasst wird, zeigt, welche existentiellen Unterschiede nicht nur bei der Einschätzung von aktuellen politischen Konflikten, sondern eben auch zwischen der (offiziellen) "westlichen" und der russischen Geschichtsschreibung existieren. Und man fragt sich bang, wie denn die russischen Kulturbehörden reagiert hätten, wenn es sich um eine reine Tragödie handeln würde, in der Stalin als der brutale Schreibtischtäter und Massenmörder porträtiert würde der er war.

In The Death of Stalin wird Stalin als ebenso stupider wie blutrünstiger Zampano geschildert, der – dies ist durch seine eigenen Aussagen historisch verbürgt – am besten schlafen kann, wenn er weiß, dass vermeintliche Gegner auf sein Geheiß hin ermordet werden. Das ihn umgebende Politbüro besteht aus angsterfüllten Kleinmütigen (Malenkow aka Jeffrey Tambor, Molotow aka Ex-Monty Python-Mitglied Michael Palin) und skrupellosen Karrieristen (Mikojan aka Paul Whitehouse, Beria aka Simon Russell Beale) sowie dem noch zum unabhängigen Denken fähigen Chruschtschow – bei Iannucci mit grimmigem Trotz gespielt von Steve Buscemi.

Nach einer ungewissen Zeit, ob Stalin überleben wird, brechen die Konfliktlinien im Politbüro auf: Zunächst scheint der fleißig Intrigen schmiedende und Strippen ziehende Beria Oberwasser halten zu können, aber dann zieht der bei den Genossen, der Bevölkerung wie der Sowjetarmee weniger belastete Chruschtschow die Initiative an sich. An den unsicher hin- und her schwankenden Politbüromitgliedern, die allesamt versuchen, ihren eigenen (Wende-)Hals zu retten, machen die Drehbuchautoren Armando Iannucci, Ian Martin und David Schneider deutlich, wie abgehoben und degeneriert die Herrschenden gewesen waren – und wie nicht etwa nur harte Ideologie, sondern noch härtere Demagogie ihr Denken deformiert hatte.

Dass der Film insgesamt dramaturgisch unausgewogen wirkt und nicht zu einem stimmigen Ganzen findet, ist schade. Sein lobenswerter, satirisch-aufklärerischer Ansatz ist davon unbenommen.



The Death of Stalin | (C) Concorde Film Verleih

Max-Peter Heyne - 2. April 2018
ID 10614
Weitere Infos siehe auch: http://www.deathofstalin-film.de


Post an Max-Peter Heyne

Dokumentarfilme

Neues Deutsches Kino



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)