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Neues deutsches Kino

Die Liebe

in den

täglichen

Gesten



Bewertung:    



Wenn sie anfangs gemeinsam im Lokal sitzen, wirken die drei Geschwister ganz sorglos: der schmucke Pilot Stefan Hoffmann (Lars Eidinger), seine etwas fahrige Schwester Julia (Nele Mueller-Stöfen) und der gutmütige Tobias (Hans Löw). Alle drei sind schon mittleren Alters und stehen an einem Scheideweg in ihrem Leben. Das enthüllt sich erst nach und nach in drei Episoden in All my Loving, dem neuen Film von Edward Berger.

*

Stefan ist Pilot, und es ist verwunderlich, dass er freiwillig den riesigen Hund seiner Schwester zu sich nimmt, weil die ein Liebeswochenende in Turin mit ihrem Mann Christian (Godehard Giese) machen will. Stefan hat seinen Geschwistern verschwiegen, dass er aufgrund von Gleichgewichtsstörungen vom Dienst suspendiert ist und wahrscheinlich nie mehr fliegen darf. Er verbringt dadurch mehr Zeit mit seiner Tochter Vicky (Matilda Berger), aber als eher ungeübter Vater ist er mit dem Teenager etwas überfordert. Mit dem Hund in seinem Schickimicki-Appartment übrigens auch. Nachts zieht er seine Pilotenuniform an und reißt in Bars One-Night-Stands auf, was ihm immer noch gelingt. Als seine Tochter eines Tages verschwunden ist, gerät sein Leben noch mehr ins Wanken.

Derweil genießen seine Schwester Julia und ihr Mann ihren Trip nach Turin, wo sie sich eine Luxus-Suite gegönnt haben. Sie haben drei Jahre lang zusammengehalten, um den Tod ihres Sohnes zu überwinden und wollen nun von vorne anfangen. Als sie Zeuge werden, wie ein Straßenhund angefahren wird, kippt Julias Stimmung wieder. Sie kümmert sich obsessiv um den verschmutzten kleinen Kerl, den sie ins Hotelzimmer schmuggelt. Doch der reißt aus, um wieder im Müll nach Essen zu suchen und scheint keine Bindung zu Julia aufbauen zu wollen. Die Szene, in der der Schmerz über den toten Sohn herausbricht, ist sehr bewegend, hat aber eine kathartische Wirkung auf sie. Godehard Giese brilliert als ruhiger, verständnisvoller Ehemann, obwohl er selbst mit dem Verlustschmerz umgehen muss und sich den Neuanfang anders vorgestellt hat.

Tobias ist der jüngste der Geschwister und mag oberflächlich betrachtet ein Loser sein. Er hat sein Studium immer noch nicht beendet, lässt sich von seiner Frau finanzieren, während er sich um die drei Kinder kümmert. Und da seine beiden älteren Geschwister sehr viel mit sich selbst zu tun haben, schaut er auch noch regelmäßig nach den Eltern. Sein Vater ist krank, verweigert aber ärztliche Behandlung, wodurch sein Zustand immer kritischer wird.



Drei unterschiedliche Geschwister, Julia (Nele Mueller-Stöfen), Tobias (Hans Löw) und Stefan (Lars Eidinger) | © Jens Harant, Port au Prince Pictures


Edward Berger ist als deutscher Drehbuchautor und Regisseur bekannt, hat für Tatort, Polizeiruf 110, Bloch, die achtteilige Serie Deutschland 1983 u.a. geschrieben und Regie geführt. Im Jahr 2018 fanden die internationalen Miniserien The Terror (auf Prime Video) und Patrick Melrose mit Benedict Cumberbatch (auf Sky 1) große Beachtung. Dem Kinopublikum dürfte er durch das eindrückliche Familiendrama Jack von 2014 noch in Erinnerung geblieben sein.

All my Loving hat er mit seiner Frau Nele Mueller-Stöfen geschrieben. Das Drehbuch ist erstklassig, nur der Titel unglücklich gewählt, erstens weil er ohne Grund in englisch ist und dann auch noch an einen Song der Beatles erinnert, was irreführend ist. Um die geht es im Film nicht.

Während sich die Welt um uns herum in schlechten Nachrichten ergießt, die sich bekanntlich besser verkaufen lassen als gute, sucht Berger nach der Liebe. Und die findet er in den kleinen Gesten und Reaktionen. Wenn Stefan eine ganze Nacht lang nach seiner Tochter sucht, wenn Julia Empathiefähigkeit zeigen kann und ihr ein verletzter Straßenhund wichtig ist, und viele weitere Beispiele. Der eigentliche Held ist dabei Tobias, der erfolglose Dauerstudent, der seiner Frau ermöglicht zu arbeiten und seine drei Kinder großzieht. Er schafft für andere die Voraussetzung, dass diese sich entfalten können, bleibt selbst dabei aber auf der Strecke. Aber er sucht nicht einmal nach Anerkennung, hat sich mit diesem Platz in der Familie abgefunden, bis er eines Tages erfahren muss, dass er nicht alles bewältigen kann.

* *

Es ist eine leise Geschichte, ohne aufgesetzte Dramatik, sehr realitätsnah, die zeigt, wie tief verwurzelt die Muster sind, die Plätze, die wir von unserer Familie und unserem Umfeld zugewiesen bekommen haben. Spätestens im mittleren Alter kommt wohl für jeden dann der Moment, an dem man sich daraus befreien muss, lernen muss, man selbst zu sein. All my Loving zeigt, dass viel mehr Liebe in uns und um uns herum vorhanden ist, und schärft den Blick dafür sie auch zu erkennen.
Helga Fitzner - 22. Mai 2019
ID 11428
Weitere Infos siehe auch: http://www.allmyloving-film.de/


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