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26. QueerFilmFestival Esslingen

Annäherungen, Grenzüberschreitungen, Geschlechterräume- und -träume



Ein einziger Kinosaal mit 99 Sitzplätzen lädt eine Woche lang ein, heteronormative Standards ordentlich zu „durchqueeren“. Das von einem Verein getragene Kommunale Kino in Esslingen bei Stuttgart wurde vor 33 Jahren gegründet und veranstaltete bereits 1988 erstmals schwul-lesbische Filmtage. Mittlerweile erfreuen sich die sorgfältig ausgewählten, höchst unterschiedlichen Filme, die man nur selten in Mainstream-Kinos zu sehen bekommt, einer großen Beliebtheit. Einige Filme werden als Previews gezeigt, andere haben bereits internationale Preise gewonnen. Vom 30. Oktober bis zum 5. November konnten Besucher des Kommunalen Kinos fünfzehn Langfilme und vierzehn Kurzfilme mit wild durchmischten lesbisch-schwul-transgender-queeren Inhalten rezipieren und auf einer Schulnoten-Skala von eins bis sechs bewerten.

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Größter Publikumsliebling bei den Kurzfilmabenden war den Auswertungen zufolge der neuneinhalbminütige australische Film DIK vom Regisseur Christopher Stollery. In DIK sorgt ein Satz auf der Zeichnung eines Sechsjährigen für reichlich Verwirrung bei seinen Eltern. Rachel und Robert erkennen, dass ihre vermeintlich Toleranz hinsichtlich der möglichen sexuellen Orientierung ihres Sohnemanns Andrew sie vor Herausforderungen von ungeahnter Dramatik für ihre eigene Beziehung stellt.

Beliebt bei den Zuschauern waren auch die witzigen Animationsfilme Zebra (Regie: Julia Ocker) über erstaunliche Folgen eines Zusammenpralls mit einem Baum und Mindtease (Regie: Iris Moore) über ungewohnte Aufdeckungen einer Burlesque-Tänzerin.

Auch der österreichische Beitrag Metube von Daniel Moshel vereinte auf sich viele positive Publikumsstimmen. In Metube beschwört Filmfigur August, hingebungsvoll die Arie „Habanera“ aus der Oper Carmen singend und verschiedene Szenerien durchwandelnd, dass der Vogel Liebe rebellisch zu sein vermag.

Im stimmungsvollen Neunzehnminüter Winter-Morning vom Färöer Sakaris Stórá möchte schließlich Birita das Gerücht aus der Welt räumen, ihre Freundin Maria sei lesbisch. Sie drängt Maria auf einer Party dazu, mit einer gemeinsamen Männerbekanntschaft heftig zu flirten und auf der Toilette zu verschwinden und verursacht so ein kleines Drama.

Der Kreis, eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm vom Regisseur Stefan Haupt, war eindeutiger Publikumsliebling bei den Langfilmen. Der Schweizer Oscar-Kandidat für 2015 zeigt, wie sich in der Nachkriegszeit Ende der 1940er Jahre rund um die Zeitschrift „Der Kreis“ eine schwule Emanzipation herausbildet. Beleuchtet wird das Schicksal des schüchternen Lehrers Ernst (Matthias Hungerbühler), der sich auf einem vom „Kreis“ veranstalteten Ball in den Travestie-Star Röbi Rapp (Sven Schelker) verliebt und so Mitglied des Zirkels wird. Ein weiterer deutschsprachiger Dokumentarfilm war den Auswertungen zufolge der zweitgrößte Publikumserfolg. Vulva 3.0 – zwischen Tabu und Tuning thematisiert das titelgebende weibliche Geschlechtsorgan und erklärt dabei unterhaltsam zahlreiche Aspekte der weiblichen Anatomie. Die beiden Filmemacherinnen Ulrike Zimmermann und Claudia Richarz waren bei der Vorführung anwesend und verkauften im Anschluss zahlreiche DVDs von ihrer Doku.

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Something must break beim 26. QueerFilmFestival Esslingen | (C) Droits réservés


Einen kleinen Publikumserfolg feierte auch der künstlerisch anspruchsvolle schwedische Film Something must break vom Regisseur Ester Martin Bergsmark, der als Preview gezeigt wurde und bereits mit dem Tiger Award beim International Film Festival Rotterdam prämiert wurde. Bergsmarks Spielfilmdebüt über geschlechtliche Identitätszwänge beeindruckt durch ebenso schöne wie trostlose Bilder und eine atemberaubende Performance von Saga Becker in der Rolle des androgynen und verletzlichen Sebastian. Sebastian verliebt sich in Andreas (Iggy Malmborg), der ihm aus einer brenzligen Situation hilft. Beide möchten der Langeweile entkommen und lehnen sich gegen gesellschaftliche Normenzwänge durch wahllose Gelegenheitsflirts und zahlreiche Diebstähle auf. Aufkeimende Gefühle zwischen Sebastian und dem selbsterklärten heterosexuellen Andreas werden zu einer Herausforderung für beide. Doch ihre intensive Begegnung ist nur von kurzer Dauer. Andreas beginnt mehr und mehr sich von Sebastian zu distanzieren und Sebastian sucht Halt in seinem weiblichen Alter Ego Ellie. Das 81minütige Filmdrama überrascht mit starken, ungeschönten Bildern aus einem sozial eher schwachen Milieu und darstellerischen Leistungen von beeindruckender Intensität. Der Wunsch der Geschlechtswandlung von einem Mann zu einer Frau wurde selten so beklemmend schön, authentisch und ausweglos verkörpert, wie von der Darstellerin Saga Becker.

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Der Samurei beim 26. QueerFilmFestival Esslingen | (C) Edition Salzgeber


Gespalten war die Zuschauermeinung hingegen beim deutschen Beitrag Der Samurai von Regisseur Till Kleinert. In der albtraumhafte Gewaltphantasie vereinen sich ebenso düster wie unterhaltsam Genre-Anleihen an Werwolf-, Slasher-, Thriller- und Horror-Filme. Auch Kleinert spielt in seinem Filmdebüt mit Geschlechterrollen, wenn er einen Mann mit drahtigem Körper und blonden langen Haaren grell geschminkt ein Kleid tragen und ein japanisches Schwert schwingen lässt. Auf seinem Kreuzzug in einem abgelegenen Dorf erhebt die androgyne Filmfigur ihr Schwert nicht nur gegenüber Gartenzwergen. Deshalb tritt ein junger, schüchterner Dorfpolizist auf den Plan, der nachts beim ebenso unheimlichen wie geheimnisvollen Katz und Maus-Spiel bald ein Gefühl der Faszination für das höchst asoziale Tun seines Verfolgten entwickelt. Ähnlich wie im 2013 erfolgreichen britischen Kinofilm Drecksau von John S. Baird wird hier eine multiple Persönlichkeitsstörung, bei der sich eine Figur in seine männlichen und weiblichen Anteile aufspaltet, als etwas Monströses und Krankhaftes zelebriert. Doch während in der Irvine-Welsh-Verfilmung Drecksau der Darsteller James McAvoy beide Anteile beklemmend eindringlich spielen darf, stellen in Kleinerts Film Pit Bukowski den Samurai und Michel Diercks den Dorfpolizisten Jakob eindrucksvoll als unterschiedliche Typen dar, die schlussendlich jedoch der gemeinsame Blutrausch vereint und so zunehmend als eine Figur enttarnt. Der mit provokantem Sounddesign unterlegte Film ist sicherlich nichts für schwache Nerven.

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Auf dem Festival gab es aber auch weniger aufregende Beiträge. So wartet die seichte US-amerikanische Liebeskomödie The 10 Year Plan von J.C. Calciano mit einem ebenso athletischen Cast wie einer vorhersehbaren Storyline auf. Der Polizist Brody (Michael Adam Hamilton) und der Anwalt Myles (Jack Turner) sind schwul, gut aussehend und beste Freunde. Während Brody regelmäßig neue Männeraffären hat, sucht Myles etwas unbeholfen nach seinem Traumprinzen. Um Myles die Angst vor dem Alter zunehmen, schließt Brody mit ihm einen Pakt. Wenn sie in genau 10 Jahren, also im Alter von 35, immer noch Single sein sollten, gehen sie beide miteinander eine feste Beziehung ein. Neun Jahre und zehn Monate auf Männersuche in Los Angeles vergehen schnell. Doch bevor sich zusammenfügt, was zusammen gehört, müssen andere wohlmeinende Freunde den Beiden gut zureden und die erotische Sehnsucht nach dem besten Freund anstacheln, allen voran Myles neugierige Anwaltskollegin Diane (Teri Reeves in einer sympathisch-aufdringlichen und amüsanten Nebenrolle).

Leider konnten nicht alle Filme gesehen werden. Es bleibt die Vorfreude auf das sicherlich wieder vielversprechende und abwechslungsreiche Programm vom 27. QueerFilmFestival im Herbst kommenden Jahres.
Ansgar Skoda - 14. November 2014
ID 8246
Weitere Infos siehe auch: http://www.queerfilmfestival.de


Post an Ansgar Skoda

ansgarskoda.wordpress.com



 

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= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


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