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Rezension


Filmstart: 28. März 2013

Die Jagd (Dänemark, Schweden 2012)

Drehbuch: Thomas Vinterberg und Tobias Lindholm / Regie: Thomas Vinterberg



Der Gedanke ein Virus - vom Jäger, der kein Gejagter bleiben wollte




Lucas (Mads Mikkelsen) ist ein Prachtexemplar der Gattung Mann. Er lebt in einer dänischen Kleinstadt, hat einen Freundeskreis von Männern, die gerne jagen und danach im eiskalten See schwimmen gehen. Trinkfest ist Lucas bei Bedarf auch, und so hat er seinen anerkannten Platz in der kleinstädtischen Gemeinschaft. Er kommt aber nicht nur in dieser speziellen Männerwelt zurecht, sondern ist in der Lage, meisterhaft Krisen zu bewältigen. Das Gymnasium, in dem er als Lehrer gearbeitet hatte, musste schließen, und so ist er einsatzfreudig als Kindergärtner tätig. Die Arbeitsgelegenheiten in der Gegend sind nicht reichhaltig gesät, doch Lucas macht das Beste aus den bestehenden Umständen. Bei den Kindern ist er sehr beliebt, und die attraktive Aushilfe Nadja (Alexandra Rapaport) macht ihm Avancen. Er lässt sich aber nur vorsichtig darauf ein, denn er ist geschieden und hat immer noch Probleme mit seiner geschiedenen Frau. Die will ihm seinen heranwachsenden Sohn Marcus (Lasse Fogelstrom) vorenthalten, den er nur alle 14 Tage sehen darf. Der Sohn weint viel. Lucas kann das zulassen und will ihn als Vater behutsam beim Erwachsenwerden begleiten, ihn auch auf das bevorstehende Initiationsritual als Mann vorbereiten, zu dem ein sachgerechter Umgang mit dem Gewehr und die erste Jagd gehören. Also kämpft Lucas um eine Erweiterung des Sorgerechts.



Lucas (Mads Mikkelsen) will seinem Sohn Marcus (Lasse Fogelstrom) ein guter Vater sein - Foto © Wild Bunch Germany GmbH


Bei seinem Freund Theo (Thomas Bo Larson) und dessen Frau Agnes (Anne Louise Hassing) geht Lucas ein und aus. Er lebt in einem stabilen Sozialgefüge, ist verantwortungsvoll, lebensfroh, gesellig und macht im Prinzip alles richtig. - Kein Wunder, dass ihn Theos und Agnes' kleine Tochter Klara lieb gewinnt. Sie geht in den Kindergarten, in dem Lucas arbeitet, und eines Tages schenkt sie ihm ein selbstgebasteltes Herz und gibt ihm einen Kuss auf den Mund. Politisch korrekt, lehnt Lucas das Herz ab und erklärt Klara, dass sie nur ihre Eltern auf den Mund küssen dürfe. Klara versteht das nicht und fühlt sich gekränkt. Sie wollte Lucas doch nur zeigen, wie lieb sie ihn hat. Aus dieser Verletzung heraus erzählt sie der Kindergartenleiterin Grethe (Susse Wold), dass Lucas ihr ein Herz schenken wollte und dass er ihr sein Geschlechtsteil gezeigt habe.





Klara (Annika Wedderkopp) ist verunsichert und versteht die Reaktionen der Erwachsenen nicht - Foto © Wild Bunch Germany GmbH



Grethe glaubt das dem fantasiebegabten Kind nicht, stellt den überraschten Lucas aber zur Rede. Pflichtgemäß glaubt sie, einen Psychologen einschalten zu müssen, der Klara allerdings nur ein paar Suggestivfragen stellt, womit der Verdacht als erhärtet eingestuft wird. Keiner hakt nach und findet heraus, dass Klara zu Hause bei ihrem pubertierenden Bruder pornografische Bilder gesehen hat. Die Geschichte entwickelt sich zur Hexenjagd auf den vermeintlichen Kinderschänder, der ausgestoßen, bedroht und zusammengeschlagen wird. Durch sein Selbstverständnis als Jäger kämpft Lucas einen fast aussichtslosen Kampf darum, nicht dauerhaft zum Gejagten zu werden. Er weicht nicht, denn er weiß, dass die Hatz ihn auch an anderen Orten verfolgen würde. Es ist einfach fantastisch, wie Mads Mikkelsen das Kämpferische und Empfindsame in sich zu vereinen versteht.






Lucas (Mads Mikkelsen) kämpft verzweifelt um seine Rehabilitierung - Foto © Wild Bunch Germany GmbH



Thomas Vinterberg gehört zu den bedeutendsten Regisseuren Dänemarks und zählt zu den Mitbegründern von Dogma 95, einer Gruppe von Filmemachern, die möglichst wirklichkeitsnah, unverfälscht und ohne künstliche Hilfsmittel drehen. Der erste Film dieser Art war Das Fest von 1999 unter der Regie von Vinterberg, bei dem während eines Familienfestes tatsächlich erfolgter Missbrauch aufgedeckt wird.

Im gleichen Jahr, 1999, bekam Vinterberg unerwarteten Besuch "Dort im Schnee stand ein renommierter dänischer Kinderpsychologe mit jeder Menge Unterlagen unterm Arm. Er sprach … über seine Theorie, dass 'der Gedanke ein Virus' sei..." , erzählt er. Die Unterlagen legte er ungelesen weg. Mit der sehr begrüßenswerten wachsenden Wachsamkeit in Bezug auf Kindesbrauch waren auch deren Auswüchse gewachsen. Es kam in Skandinavien zur Verfolgung Unschuldiger, denen im Rahmen von Massenhysterien sogar ihre Kinder entzogen wurden, weil man sich allein auf die Aussagen der Kinder verlassen hatte. Irgendwann las Vinterberg dann doch die Unterlagen des Kinderpsychologen. „Ich war schockiert und fasziniert und hatte das Gefühl, dass darin eine Geschichte steckte, die erzählt werden musste. Die Geschichte einer modernen Hexenjagd.“

Da Kindern im Falle von Missbrauch nicht nur körperliche Gewalt angetan wird, sondern auch die Psyche nachhaltig geschädigt wird, stellte die Gegenposition gewisse Herausforderungen an das Drehbuch (prämiert mit dem Europäischen Filmpreis 2012) und vor allem an die Darstellungsfähigkeiten des Beschuldigten Lucas. Der spätestens seit dem Bond-Film Casino Royal (2006) zum Weltstar avancierte Mads Mikkelsen erhielt für seine Rolle in Die Jagd 2012 den Darstellerpreis in Cannes. Auf der einen Seite musste die martialische Männerwelt der Jäger nachvollziehbar gezeigt werden, auf der anderen Seite die sensible Seite des Lucas glaubhaft wirken. Bei einem „ganzen Kerl“ wie Lucas würde man anfangs eine weniger konstruktive Reaktion auf die Scheidung und den Jobverlust erwarten. Viele Männer in der Situation würden ihren Schmerz in Selbstmitleid und Alkohol ertränken und sich in kurzlebige Abenteuer mit Frauen stürzen. Doch Lucas geht arbeiten und widersteht zunächst den Annäherungsversuchen der Aushilfe Nadja. Er kann also seinen Sexualtrieb sehr gut steuern und, als er sich mit Nadja verbindet, teilen sie auch das Alltagsleben miteinander. Das macht dem Zuschauer klar, dass Lucas auf keinen Fall ein Täter ist. Im Grunde genommen gibt es gar keine Schuldigen. Klara (wunderbar gespielt von der siebenjährigen Annika Wedderkopp) konnte mit ihren fünf Jahren nicht wissen, was für eine Lawine sie da lostreten würde und auch die vermeintlichen Tugendwächter setzen sich ja für den Schutz der Kinder ein. Das unterstützt die These des dänischen Kinderpsychologen, für den Gedanken wie Viren wirken können. Am Schluss siegt im Film dann doch der gesunde Menschenverstand, aber dieses „Therapiemittel“ wirkt vielleicht nur oberflächlich, keiner weiß, ob der Virus nicht doch...


Helga Fitzner - 29. März 2013
ID 6651

Weitere Infos siehe auch:


Post an Helga Fitzner



 

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