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23. Filmfest Oldenburg | 14. - 18. 9. 2016

Love & Bullets from Oldenburg



(C) facebook.com/filmfestoldenburg


Wohl noch nie in seinem über 20-jährigen Bestehen hatte das Filmfest Oldenburg eine derartige mediale Aufmerksamkeit wie 2016 – einem der Stargäste, Nicolas Cage, zum Dank. Zwar konnte Direktor Torsten Neumann auf seinem unkonventionellen Festival schon die eine oder andere veritable Hollywood-Größe präsentieren, darunter Matthew Modine oder Mira Sorvino (ebenso wie Cage auch „Oscar“-Preisträgerin). Aber noch nie einen Megastar, der auch in Deutschland über eine große Fangemeinde verfügt. Mit Cage landete Neumann (zusammen mit seiner Lebens- und Festivalorganisationspartnerin Deborah Kara Unger, die beste Kontakte in die US-Filmszene hat) einen Coup, um den ihn die deutsche Festivalwelt sicher beneidete.

Cage machte sich stargemäß rar und gab keine Interviews, präsentierte sich dem Publikum aber bei einigen Filmvorführungen rotweinschwenkend als lockerer Kerl mit dekorativem Strohhut und Designerbrille und -schuhen. Auch enthüllte er wie die anderen US-Stars vor ihm auf Oldenburgs Variante des Hollywood-„Walk of Fame“ eine Gehwegplatte mit seinem Namen und Stern. Die vielen Hunderten Schaulustigen und zahlreichen Medienvertreter vermieden diesmal, dass die sehr nüchterne Umgebung rund um den Haupteingang des Hautsponsors, der Oldenburgischen Landesbank, ins Auge stach. Cage gab zwar einige Autogramme, entfleuchte aber rasch wieder. Fast noch länger war sein Auftritt vor der Aufführung des David-Lynch-Klassikers Wild At Heart von 1990, bei der er die berüchtigte Schlangenlederjacke präsentierte, die er in der Rolle des Sailor Ripley trug.

Über Cages Anwesenheit gerieten die beiden anderen Ehrengäste, die betont uneitle Schauspielerin Amanda Plummer (Tochter des berühmten Christopher Plummer [Ein russischer Sommer, Beginners] und bekannt als „Honey Bunny“ aus Pulp Fiction) und der französische Regisseur Christophe Honoré in den Schatten. Dem Dreigestirn war jeweils eine kleine Reihe gewidmet, wobei diejenige über den in Deutschland noch immer weitgehend unbekannten Honoré sicher die meisten Entdeckungen bot. Nüchtern betrachtet muss man aber festhalten, dass der auf erotisch durchsetzte Beziehungsdramen spezialisierte Honoré die dramaturgische Raffinesse in den Filmen seiner Landsmänner Claude Sautet oder Bertrand Blier vermissen lässt.

Wie immer war das restliche Festivalprogramm dem amerikanischen, französischen und deutschen Low-Budget-Kino mit Anspruch gewidmet. Und wie immer wimmelte es bei Torsten Neumanns Auswahl an Filmen mit Sex and Crime. Pure Lust an der Provokation gab es diesmal (zumindest in der von mir getroffenen Auswahl) nicht zu sehen. Grelle Effekte oder absurde Wendungen waren von den Autoren und Filmemachern also sinnvoll in ihre Geschichten eingebettet. Was nicht heißt, dass so mancher Schuss auch mal in die Hose ging: Die offensichtlich als Hommage an die fiesen Spaghetti-Western der siebziger Jahre gedachte US-Independent-Produktion In a Valley Of Violence wartete zwar mit Starbesetzung auf (Ethan Hawke, John Travolta). Aber die Story eines Outlaws, der von einer fiesen Bande von Hilfssheriffs gedemütigt und dessen Hund ermordet wird und der sich dafür blutig rächt, entbehrte aber jeglichen Gespürs für Timing. Was Spannung und Showdown zugrunde richtete (bald auf DVD erhältlich).

Eine ebenso spannende wie kritische Reflexion über die Fetischisierung von Schusswaffen in den USA, die von vielen Bürgern wie normales Handwerkszeug betrachtet werden, bot die Low-Budget-Produktion Stray Bullets – eine Weltpremiere des noch sehr jungen Regisseurs Larry Fessenden. Der tritt mit diesem beachtlichen Debüt erfolgreich in die Fußstapfen seines Vaters, des Independent-Regisseurs und Schauspielers Jack Fessenden. Ich habe wohl noch nie einen Film gesehen, der so durchdacht und stilvoll geraten ist und von einem 16-jährigen Regisseur stammt. Aber Jugend schützt eben nicht vor Talent, wie zuletzt das Beispiel Xavier Dolan zeigte!

Larrys Vater Jack spielt in Stray Bullets einen von drei Gangstern, die auf der Flucht nach einem schief gelaufenen Coup in der Provinz des Bundesstaates New York zufällig auf zwei Teenager treffen (Fessenden jr. und Asa Spurlock). Die beiden Jungs haben sich kurz zuvor noch durch Paintball-Schießen und dem Klau einer echten Waffe die Zeit vertrieben und stehen nun vor der Herausforderung, von den Banditen nicht erschossen zu werden, die aufgrund der Umstände (einer ist schwer verletzt, ihr Wagen nicht mehr funktionsfähig) unberechenbar sind.

Zu den Highlights des diesjährigen Festivals zählte außerdem das französische Pubertätsdrama Twisting Fate von Regisseur Christophe Lioud, der von einem Teenager erzählt, der ebenfalls gezwungen ist, in einer Ausnahmesituation über sich hinauszuwachsen. Noémie Merlant erhielt sehr zu Recht den Preis als beste Darstellerin für ihre jederzeit überzeugende Interpretation einer jungen Frau, die durch den plötzlichen Verlust sowohl der Eltern als auch des jüngeren Bruders auf einer Reise durch Südafrika Trauer, Wut und Verzweiflung verarbeiten muss, um ihre Haltlosigkeit zu überwinden und sich eine neue Lebensperspektive zu entwerfen – und das alles "on the road". Nicolas Roegs Walkabout von 1971 lässt grüßen.

Die deutschen Filme des Programms bewegten sich in Sachen Originalität eher im Durchschnittlichen. Dass dies nicht von kleinen Budgets erzwungenen wird, bewies der Thriller Das letzte Abteil, der aus seinen Beschränkungen eine Tugend bzw. klaustrophobische Spannung herausholte. Nach einem Lawinenunglück irgendwo in den Alpen stecken einige Überlebende in einem Zugabteil fest, wo sie nicht nur mit der zunehmend lebensbedrohlichen Situation, sondern auch den Spannungen zwischen den Männern der Gruppe und mysteriösen Vorfällen zurechtkommen müssen. Zwar wird aufgrund von Flashbacks bald klar, dass es sich bei dem Erlebnis wohl um eine alptraumhafte Vision handelt, die auf einer Metaebene spielt. Aber Regisseur und Drehbuchautor Andreas Schaap findet immer wieder neue Wendungen, die von einer einfachen Antwort ablenken. Zum Ende des Films ist es vielleicht der eine oder andere Twist zu viel, dafür aber gewinnt die Handlung überraschend an Tiefe. Auch verzeiht man deswegen manche dramaturgische Unglaubwürdigkeit, z.B., dass die Figuren über manchen Vorfall allzu schnell hinweggehen.

Den Hauptpreis des Festivals gewann verdientermaßen die türkische Produktion The Apprentice von Debütregisseur Emre Konuk – eine Lynch-eske, visuell exakt choreografierte Parabel über einen Schneiderlehrling in Istanbul, der in Paranoia und Todesangst abgleitet. Mit seinen untergründigen sozialkritischen Tönen ein Film zur rechten Zeit! Oldenburg hat sich also wieder mal gelohnt, auch wenn ich, wie so viele, Cage nicht livehaftig gesehen habe.



Nicolas Cage beim Filmfest Oldenburg 2016 | Foto (C) Sven Franzek

Max-Peter Heyne - 25. September 2016
ID 9579
Weitere Infos siehe auch: http://www.filmfest-oldenburg.de


Post an Max-Peter Heyne



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