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Dokumentarfilm

Auf den Spuren der Dichterin Marina Zwetajewa



Bewertung:    



Patriotinnen heißt der bewegende Dokumentarfilm der deutschen Regisseurin Irina Roerig, der drei russische Frauen porträtiert, die eine tiefe Liebe zu ihrem Vaterland Russland eint, unter der jede von ihnen allerdings etwas anderes versteht. Am nächsten sind sich da noch die 1969 in Riga geborene Sängerin und Poetin Elena Frolowa und ihr großes Vorbild, die 1892 in Moskau geborene Dichterin Marina Zwetajewa. Das Wesen ihrer Liebe könnte man in etwa mit dem vergleichen, was für deutsche Dichter von Goethe über Hölderlin bis Rilke einst so treffend „das Land der Griechen mit der Seele suchend“ bedeutete. Ihr „Patriotismus“ ist ganz ideeller und - was Elena Frolowa betrifft - auch spiritueller Natur. Sie fühlte sich nach der Lektüre der dem Silbernen Zeitalter in der Russischen Literatur zugeordneten Dichterin Marina Zwetajewa („die wichtigste Begegnung meines Lebens") auch darin bestärkt.



Marina Zwetajewa (1892-1942) | Bildquelle: Wikipedia


Die Zwetajewa wuchs als Tochter des Kunstprofessors und Begründers des heutigen Puschkin-Museums Iwan Zwetajew sowie der Konzertpianistin Maria Meyn in einem begüterten Haus der sogenannten russischen Intelligenzija auf. Nach einem Literaturstudium an der Pariser Sorbonne und ersten Schreibversuchen war sie bereits mit 18 so etwas wie der Shootingstar der Moskauer Literatenszene. In ihren stark vom Symbolismus beeinflussten Gedichten beschäftigte sich die junge Dichterin immer wieder mit der Liebe, dem Schicksal, Gott, der Seele und dem Tod. Durch die Mutter beeinflusst, galten ihre besonderen Vorlieben der deutschen Literatur und griechischen Mythologie. Später in Paris begann die Zwetajewa auch eine kurze leidenschaftliche Korrespondenz mit Rainer Maria Rilke. Der deutsche Dichter widmete ihr eine Elegie, sie schrieb ihm nach dessen Tod das Gedicht Neujahrsbrief.

Seit 1912 war Marina Zwetajewa mit dem Dichter Sergei Efron verheiratet, der als Offizier der Weißen Armee nach der Oktoberrevolution gegen die Bolschewiki kämpfte. Zwetajewa verbrachte diese Zeit mit den Töchtern Ariadna und Irina mittellos in Moskau. Die jüngere Tochter Irina starb 1919 in einem Kinderheim an Unterernährung. 1922 emigrierten Zwetajewa und Efron über die Stationen Berlin und Prag schließlich nach Paris. Hier blühte die Dichterin kurzzeitig in der russischen Exilgemeinde und Pariser Künstler-Bohème auf. Sie konnte aber nie ganz Fuß fassen und lebte in ihrer eigenen Welt - mehr und mehr isoliert von den russischen Exilanten, die ihr nicht trauten, da sich die Zwetajewa nie eindeutig von der Sowjetunion distanzierte und Briefe an die Schriftsteller Boris Pasternak und Wladimir Majakowski schrieb. „In Russland bin ich ein Dichter ohne Bücher und hier ein Dichter ohne Leser.“

Erschwerend kam hinzu, dass sich ihr Mann Sergei Efron in undurchsichtige NKWD-Geschichten verstrickte. Auch die Tochter Ariadna wand sich schließlich von der Mutter ab und ging 1937 zusammen mit dem Vater zurück in die Sowjetunion. Dort inhaftierte man beide wegen Spionage. Efron wurde 1941 erschossen, Ariadna saß acht Jahre im Gefängnis. Marina Zwetajewa, die zwei Jahre später allein und völlig mittellos mit dem Sohn Georgi (genannt Mur) in die Sowjetunion zurückgekehrt war, erhängte sich am 31. August 1941 in Jelabuga. Die Sehnsucht nach einer Heimat hatte sich für sie nicht erfüllt und lebte nur in ihren melancholisch-verklärten Gedichten über russische Geschichte und Mythen...


"Pulsadern offen: unaufhaltsam,
Unwiederbringlich sprudelt das Leben,
Teller stellt unter, Schüsseln, Tassen!
Jeglicher Teller: nur ein Gefäßchen,
Selbst Schüsseln: zu eben.

Über den Rand – in die Ebene –
In schwarze Erde, Schilf zu nähren.
Unumkehrbar, unaufhaltsam,
Unwiederbringlich sprudelt der Vers."


Marina Zwetajewa (1934)

(Deutsche Übersetzung © Eric Boerner, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)



Patriotinnen - Foto (C) Axel Brandt Filmproduktion


Der Film erschließt die tragische Biografie der Zwetajewa über die Erzählung der Sängerin Elena Frolowa und kleine inszenierte Spielszenen, die die Dichterin im Pariser Exil zeigen und nur mit Texten von ihr und der elegischen Musik Frolowas zur Gitarre und Gusli unterlegt sind. Die Musikerin Elena Frolowa fühlt sich wesensverwandt mit der ganz in der Vergangenheit verhangenen Dichterin. „Um in unserem Land Dichter zu werden, muss man überhaupt erst sterben. Ein Lebender hat gar nicht das Recht dazu.“ Sie empfindet ihre Kindheit in Lettland mittlerweile auch als eine Art Exil, aus dem sie nun zurückgekehrt ist. Mit der schnelllebigen Moderne Russlands hat Frolowa nicht viel am Hut. Für die heutige Popmusik fehlt ihr das Verständnis. Da spricht nichts aus der Seele, wie in ihren Liedern.

Die Kamera von Axel Brandt folgt der Sängerin in ihre Plattenbauwohnung in Moskau, auf einer Paris-Tournee, aber auch beim Besuch der traditionellen Guslibauerin Tanja Kuprianowa und beim Besuch eines Klosters in der russischen Provinzstadt Susdal, einem berühmten religiösen Zentrum Russlands. Hier auf dem Land hat Elena Frolowa auch eine neue Spiritualität gefunden, die in ihre Texte und die Musik einfließen. Wie es der Zufall will, hat auch Elenas Mutter Maja Frolowa nach dem Weggang aus Lettland hier ein neues Zuhause gefunden. Als ehemalige Lehrerin und Physikerin, die die Welt eher rational und materialistisch sieht, ist sie so etwas wie der Gegenpart zu den Ansichten der beiden anderen Frauen.

Aber auch Maja Frolowa lebt in der Vergangenheit und verklärt in ihren Erinnerungen die ehemalige Sowjetunion. Die neue Spiritualität und Hinwendung zur Religion sieht sie mit sehr viel Skepsis. In der Kirche würde heute jeder nur für sein eigens Seelenheil beten. Der sozialistische Kollektivgedanke der Mutter steht dabei natürlich völlig konträr zum individuellen Dasein der Tochter und Marina Zwetajewas als Künstlerinnen. Trotzdem bezeichnet die Regisseurin im Untertitel ihres Films alle drei Frauen als Heldinnen auf der Suche nach ihrer ganz persönlichen Heimat.

Das kann man als Stärke wie auch als Schwäche des Films gleichermaßen auslegen, hier nicht genauer Position zu beziehen und mit den sehr poetischen Bildern an der Verklärung von Mystik und Vergangenheit teilzuhaben. Die Spiritualität der beiden Künstlerinnen wirkt aber sehr authentisch und entspringt vor allem auch einer tief empfundenen Humanität. Letztendlich hat Irina Roerig, die über 10 Jahre das Leben der Frauen mit der Kamera verfolgte, ein ziemlich eindrucksvolles Russlandbild eingefangen, jenseits des im Westen bekannten mit Wladimir Putin und Pussy Riot.



Patriotinnen - Foto (C) Axel Brandt Filmproduktion


Stefan Bock - 27. August 2014
ID 8041
Die russische Fassung von Patriotinnen hatte bereits am 12. April 2014 auf dem Festival in Kaliningrad Premiere. Im Rahmen der Film-Reihe "Die Russen kommen" folgte nun im Berliner Kino Babylon Mitte die deutsche Erstaufführung des Films. Die deutschen Stimmen lieferten bekannte Schauspielerinnen wie Iris Berben (als Marina Zwetajewa), Katharina Spiering, Ursula Karusseit und Carmen Maja Antoni.

Weitere Infos siehe auch: http://patriotinnen-film.de/index.htm


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de




 

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