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Dokumentarfilm

Der Dumm-

schwätzer



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Der neue, seit seiner ersten Ankündigung von vielen Fans herbeigesehnte Film des derzeit berühmtesten Dokumentarfilmers der Welt, Michael Moore, zeigt eindrucksvoll, warum es auch im Bereich des Dokfilms gelegentlich sinnvoll und wichtig ist, die Grenzen der vornehmen Zurückhaltung zu sprengen und polemisch zu argumentieren und offensiv zu agieren. Moore hat sich nie mit der Rolle des stillen Beobachters begnügen mögen, die seit dem Aufkommen des Dokumentarfilms in den als eigene Gattung eine Art ungeschriebenes Gesetz war, bis in den 1960er Jahren durch das Aufkommen der Handkamera ein direkterer, zupackender, persönlicher Reportagestil möglich wurde. Als Erbe einiger amerikanischer Vertreter des so genannten "direct cinema" und des Deutsch-Franzosen Marcel Ophüls (Hotel Terminus, 1989) hatte Moore die Grenzen zwischen traditioneller Neutralität und individueller Haltung noch stärker verwischt. Dies geschah auch durch den Schnitt bzw. die zugespitzte, druckvolle Art, mit der Michael Moore sein gefilmtes Material aneinanderreihte.

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Heute erscheint diese unverblümte Subjektivität, die von Traditionalisten des Dokumentarfilms oft angefeindet wurde, zeitgemäßer denn je. Denn welche Folgen es hat, den politischen Gegnern, also rechten Egozentrikern und Populisten, das Feld der Polemik und der offensiven Übertreibung zu überlassen, ist nirgends besser zu betrachten als an der Figur Donald Trumps. In Bezug auf dessen Übertreibungen und Lügen, rüden Umgangston und Sexismus – den Moore anhand einer Reihe anzüglicher, inzestuöser Äußerungen Trumps über seine Tochter Ivanka illustriert –, sagt Moore im Film: „Seine Vergehen vollzog er schon immer im hellsten Tageslicht.“

Doch egal, wie schmutzig und anzüglich Trumps Ausfälle waren, war deren sachliche Dokumentation kein Hindernis für seinen Durchmarsch. Moore erinnert an viel Gelächter und Kopfschütteln von Freund und Feind in den Medien und auf Podien, wenn es um Trumps Ambitionen und seine Wahlchancen auf das Präsidentenamt ging. Moore war einer der wenigen, der Trumps Bulldozer-Mentalität ernst genommen und seine Erfolge vorhergesehen hat. Wie es entgegen aller Erwartungen dazu kommen konnte, versucht Moore in Fahrenheit 11/9 zu erklären. Immerhin war Moore schon immer ein aufmerksamer Zeuge der sich zuspitzenden gesellschaftlichen Atmosphäre und des Verfalls der politischen Sitten in den USA. Nach dem Oscar-Erfolg des Films Fahrenheit 9/11 wurde seine Dankesrede rüde von Orchestermusik unterbrochen, als er über die Lügen des damaligen Präsidenten George W. Bush sprechen wollte.

Besser ist es seitdem nicht geworden. Und nach einem furiosen Auftakt, in welchem Michael Moore an die Anfänge von Trumps politischer Karriere erinnert – die eine Art provokative Polit-Performance von rechts war – sowie den spektakulären Bildern der Wahlnacht, die Trump-Gegner wie -Freunde völlig unvorbereitet traf, wendet sich der beleibte, joviale Regisseur in Fahrenheit 11/9 den Niederungen der amerikanischen Innenpolitik zu. Diesmal entdeckt Moore in seinem Heimatland Michigan nicht nur die Symptome, sondern auch die Vorboten jener Entwicklung, in deren Verlauf demokratische Gepflogenheiten in voller Absicht geschreddert wurden.

Verantwortlich dafür war auf regionaler Ebene u.a. Michigans Gouverneur Rick Snyder, der als republikanischer Lobbyist der ohnehin durch Armut, Abwanderung und Kriminalität gebeutelten Hauptstadt Flint buchstäblich das Wasser abgrub: Er ließ ein neues, unnötiges Wasserrohrsystem installieren, das Industriekonzernen Einnahmen in die Kassen, den Bewohnern Flints aber nicht mehr klares Wasser aus den großen Seen im Norden, sondern vergiftete Brühe aus den Flüssen rings um die ehemaligen Industriestadt in die Hähne spülte (siehe dazu Moores Homepage).

Dass Snyder – ein Vorgänger Trumps aus der rechten Ecke der republikanischen Partei – unverhohlen und einseitig die Privilegierten und Großbürger bevorzugte und eine ganze Weile einen mitverschuldeten Umweltskandal aussaß (er wurde aufgrund der letzten Wahl erst zu Beginn des Jahres abgesetzt), ist für die US-amerikanische Politik inzwischen leider kein untypischer Fall. Besonders deprimierend ist indes Moores Befund, dass der damalige Ex-Präsident Barack Obama den Bürgern Michigans Versprechungen machte, die er nicht einhielt und ebenfalls log – ja, leider auch er. Moore schlussfolgert daraus, dass sich der Frust bei den Unterprivilegierten in Nicht- oder Trump-Wählen entlud und nennt Zahlen, die den Absturz der Demokraten belegen.

Überhaupt nimmt Moore gerade auch die Repräsentanten der demokratischen Partei in die Mangel, die sich regelmäßig über das Volk und seine Wünsche erheben. Allen voran Obama, Bill und Hillary Clinton und Nancy Pelosi (jetzt Sprecherin der Mehrheit im Repräsentantenhaus) sowie andere Altvordere, die nach Moores Meinung Mitschuld am Verrat am Wähler haben. Besonders krass ist die Manipulation im Wahlkampfjahr 2017 zu bewerten, als führende Parteileute und die Organisatoren des Nominierungsparteitags der Demokraten im Hintergrund bewirkten, dass viele Stimmen – teils auch Stimmenmehrheiten eines Bundessstaates – ignoriert wurden, damit nicht der linksgerichtete Kandidat Bernie Sanders, sondern Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin ausgerufen wurde konnte. So eine Missachtung der Wählerbasis trifft den Nerv des repräsentativen demokratischen Systems und erinnert fatal an Korruption und Vertuschung bei Abstimmungen und Wahlen in Russland und in einigen osteuropäischen Staaten. Dass mit solchen Aktionen die Zustimmung zu demokratischen Institutionen und deren Vertreter zugunsten von selbsternannten Saubermännern und Populisten schrumpft, verwundert nicht.

Während des gesamten Films geht Moore auch mit den amerikanischen Massenmedien hart ins Gericht, die ihrer aufklärerischen Aufgabe nicht mehr genügend nachkommen und im Falle der parteilichen Fernsehsender sogar das Gegenteil betreiben. Auch wenn die Ausschnitte, die Moore bemüht, nichts Neues sind, gewinnt sein Film an diesen Stellen immer wieder an besonderem Gewicht, da er zeigt, welche schleichenden Folgen es für ein Staatsgebilde hat, dessen Medien freiwillig ihre Unabhängigkeit oder Kritikfähigkeit aufgeben.

Moore wäre nun wiederum kein Amerikaner, wenn er den Film pessimistische enden lassen würde. Er verweist auf die vielen engagierten Kandidaten auf lokaler Ebene, die die verkrusteten Strukturen bei den Demokraten aufbrechen wollen – und inzwischen teils auch in den Kongress oder das Repräsentantenhaus gewählt wurden. Vor allem rückt Moore die Schüler- und Studentenbewegungen in den Fokus, die sich als Folge der jüngsten Schulmassaker überparteilich gegründet haben und über die Sozialen Medien Zuspruch erhalten – ein basisdemokratischer Hoffnungsstreifen am verdunkelten Trump-Horizont.

Der bekommt in einer Szene ganz besonders sein Fett weg, die schlechterdings nicht unerwähnt bleiben darf: Über die berühmten Bilder von Adolf Hitler bei einer Ansprache an Wähler im Berliner Sportpalast 1933 hat Michael Moore eine Rede von Trump gelegt, die – gespickt mit Prahlereien – ebenfalls an dessen Wähler gerichtet war. Eine Perfidie, die indes auf verblüffende Weise die Ähnlichkeiten der Reden und des geckenhaften Auftritts entlarvt. Außerdem bettet Moore die Szene in einen historischen Exkurs über das Aufkommen und das Wesen des Faschismus ein, der von der Schwäche demokratischer Institutionen profitierte. Mir hat die Provokation jedenfalls Vergnügen bereitet – und wie schon gesagt, sollte man den rechten Propagandisten nicht das Feld der Polemik allein überlassen. Zu Zeiten Hitlers gab es leider keinen Moore-Vorgänger, der den Führer und dessen klar formulierten Absichten geschickt vorgeführt hat.



Fahrenheit 11/9 von Michael Moore | (C) Weltkino Verleih/Midwestern Films LLC

Max-Peter Heyne - 16. Januar 2019
ID 11151
Weitere Infos siehe auch: https://michaelmoore.com/


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