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Ist das gemein – noch so ein wunderbarer Dokumentarfilm, der zusammen mit An den Rändern der Welt jetzt in unsere Kinos kam - von den Spielfilmen ganz abgesehen! Also unbedingt Zeit einplanen, denn auch der Schweizer Dokumentarfilm Der Klang der Stimme bietet wunderbar fotografierte, ungewöhnliche Einblicke und Erkenntnisse – allerdings über ein Phänomen, das sich nicht an Rändern, sondern im Zentrum unseres Körpers abspielt: der menschlichen Stimme.

Jede(r) von uns hat ein ganz individuelles Sprachorgan, gleichsam einen verbalen Fingerabdruck, mit dem er oder sie mit der Umwelt kommuniziert, seine oder ihre Inhalte und v.a. seine oder ihre Emotionen vermittelt. Gemessen an der Bedeutsamkeit dieses Vorgangs wissen die meisten von uns – wenn sie nicht gerade auf der Bühne stehen oder regelmäßig Vorträge halten müssen – viel zu wenig über die Ausprägung der Stimme. Bernard Webers neuer Dokumentarfilm gibt nun exzellenten Anschauungsunterricht über die physische und physikalische Bandbreite eines überlebenswichtigen Organs. Ein buntes, faszinierendes Kaleidoskop, das die Älteren unter uns mit der traumatischen Erfahrung von TV-Auftritten der unvermeidlichen Fischerchöre versöhnt.

Da ist die junge, schweizerische Sopranistin Regula Mühlemann, die eine klassische Gesangsausbildung absolviert und auf den anstrengenden Beruf der professionellen Opernsängerin vorbereitet wird. Regisseur Weber verfolgt Mühlemann beim Stimmtraining, bei Gesangsübungen und bei den ersten Auftritten auf großen Theaterbühnen. Ganz andere Musik und andere stimmliche Kaskaden absolviert Andreas Schaerer, dessen künstlerische Existenz mit dem Begriff Jazzsänger unzureichend beschrieben ist. Schaerer gluckst, schnurrt, summt, stöhnt, kreischt, pfeift und presst Kaskaden knackender Kehlkopflaute ins Mikrofon wie ein Beatboxer beim Battle und begleitet damit Jazzbands und Klassikorchester, deren Soundteppichen er Klänge hinzufügt, die nur mit dem menschlichen Stimmorgan herzustellen sind.

Schaerer tritt aber auch mit anderen Sängern wie etwa einer japanischen Folklorekünstlerin zusammen auf, um die traditionellen Klänge mit seinen jazzigen Stimm-Improvisationen zu kontrastieren. Oder er synchronisiert in Filmszenen wie früher Geräuschemacher beim Stummfilm (oder Michael Winslow als Sergeant Jones in der Police Academy-Reihe) sämtliche akustischen Quellen. Schon als Kleinkind sang er mit seiner Stimme die Muster auf dem Kachelboden des heimischen Badezimmers "nach".

Außerdem gibt Regisseur Weber Einblicke in die Arbeit der Stimmtherapeutin Miriam Helle, die mit ganzheitlichen Methoden Menschen hilft, ihre Stimmqualität zu verbessern – was oft bedeutet, dass diese mal alles schreiend rauslassen, was sie bedrückt. Neben einer Fernsehmoderatorin gehört aber auch ein Elternpaar zu ihrer Klientel, die das zweite Kind erwarten, und sich von einem pronunzierten, gemeinsamen Stöhn-Training eine Hilfestellung für die bevorstehende Geburt versprechen.

Vierter im Bunde ist der deutsche Stimmforscher Matthias Echternach von der Universität Freiburg im Breisgau, der die Erzeugung von Stimmlauten streng wissenschaftlich abbildet und untersucht. Er lässt Sängerinnen und Jodlerinnen in die Computertomografie-Röhre schieben, um genaue Innenansichten der Bewegung von Stimmlippen und Kehlköpfen beim Singen zu erhalten. Allerdings versagt sein Instrumentarium bei einer Frau wie der brasilianischen Ausnahmesängerin Georgia Brown, die eine weltweit anerkannte „Hochtoninstanz“ ist und beim Kreischgesang Frequenzen von einmaligen 4.000 bis 5.000 Hertz erreicht, die digital als losgelöste Ausreißer bzw. Übersprünge sichtbar werden. Damit befindet sich Brown in Düsentrieb-Dimensionen, denn die menschliche Singstimme liegt üblicherweise bei Frequenzen von 1.500 bis 2.000 Hertz.

Nebenbei zeigt Bernard Weber noch weitere Aspekte aus den Bereichen des Profisingens und Stimmtherapierens z.B. anhand von Aufführungsproben im Kindergarten und in der Oper. So unterschiedlich diese Welten voneinander existieren, gilt doch für alle Beteiligten: Ohne eine ausgeglichene Psyche lässt sich die Stimme nicht mit Schmackes hervorholen und das jeweilige Publikum überzeugen. Insbesondere Profisänger und Schauspieler wissen um die Zusammenhänge zwischen psychischen Problemen und stimmlicher Ermattung oder gar Versagens; gesprochen wird in diesen Berufsgruppen darüber aber nur hinter vorgehaltener Hand.

Regisseur Weber fügt all diese Facetten zum Thema Stimme zwar mit viel Sinn für Kontraste und Übergänge sinnvoll zusammen, aber letztlich bleibt es ein – wenn auch extrem unterhaltsames – Patchwork. Zwar begleitet Weber vor allem die oben genannten vier Personen, aber die dramaturgischen Sprünge sind nicht immer ganz nachvollziehbar. Bei der Berliner Premiere sagte Weber, dass sich im Schnittprozess andere Lösungen als nicht funktionsfähig erwiesen hätten. So ist der Rote Faden relativ dünn, das Material aber macht Lust, das Potential der eigenen Stimme bewusster zu nutzen.
Max-Peter Heyne - 4. November 2018
ID 11017
Der Filmverleih mindjazz pictures hat richtig erkannt, dass dieser Film prädestiniert dafür ist, die Vorführungen mit Expertengesprächen durchzuführen. Bis 10. Dezember (Urania Berlin) wird dies fast immer der Opernsänger Florian Hartfiel sein, teils auch der Obertonsänger Miroslav Grosser und Silke Volkmann, die ebenfalls individuelles Stimm-Coaching praktiziert; Termine unter u.g. URL.

Weitere Infos siehe auch: https://mindjazz-pictures.de/filme/der-klang-der-stimme/


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