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Festival

Fazit und

Preisträger


Festivalbericht
aus Cottbus (Teil 2)



Echte Komödien sind in den Wettbewerbs-Sektionen internationaler Filmfestspiele rar gesät. Meist verbinden die FilmemacherInnen in ihren Werken den Humor mit einer Geschichte über eher tragische Figuren oder auch mit Elementen des Genres. Und so ist es dann auch etwas verwunderlich, wie es relativ mainstreamhaft produzierte Blockbuster wie Planet Single (vom polnischen Regisseur Mitja Okorn) in den Cottbuser Spielfilm-Wettbewerb schaffen. Wohl auch eine Konzession ans Publikum, das hier ausgiebig über das Format von Reality-TV-Shows privater Sender und deren Ausnutzung von Online-Dating-Opfern lachen kann. Mit gutgemachter Satire hat das leider wenig zu tun und zerrt mit 135 Minuten auch etwas an feiner ausgebildeten Geschmacksnerven. Trotzdem war der Publikumspreis wohl unausweichlich. Sei’s drum. Humor geht auch anders.

Das beweisen Beiträge wie die Fake-Documentary Houston, wir haben ein Problem! über das angebliche jugoslawische Raumfahrtprogramm von Regisseur Žiga Virc oder der ungarische Spielfilm Kills on Wheels von Regisseur Attila Till, der auf mehreren Ebenen punkten kann. Mit der Geschichte über zwei Teenager mit körperlichem Handicap, die sich mit einem ebenfalls im Rollstuhl sitzenden Ex-Knacki zusammentun, setzt der Regisseur auf sogenannte gesellschaftliche Außenseiter, denen er mit einem Gangsterplot auch noch eine unerwartete Genre-Identität verpasst.

Der junge Zoli (Zoltán Fenyvesi) hat eine progressive spinale Muskelatrophie und benötigt dringend eine kostspielige Wirbelsäulenoperation, die er sich nicht von seinem Vater, der die Mutter verlassen hat, bezahlen lassen will. Im Krankenhaus lernt er den querschnittsgelähmten ehemaligen Feuerwehrmann Janos Rupaszov (Szabolcs Thuróczy) kennen, der nach einem Knastaufenthalt Mordaufträge des serbischen Mafiaboss‘ Radoš (Dusan Vitanovics) ausführt. Gemeinsam mit seinem Freund Barba (Ádám Fekete), der an einer Zerebralparese mit Tremor leidet, beginnt Zoli Janos bei seinen gefährlichen Aufträgen zu helfen. Die Erlebnisse hält der Junge in einer Comic Novell fest, die bildlich in die Story integriert ist. So verbindet der Film auf interessante Weise Genre-Kino mit Animation und Humor, der nie zu Lasten der Protagonisten geht. Dafür gab es den FIPRESCI-Preis.

Bewertung:    



Kills on Wheels beim 26. FilmFestival Cottbus | (C) HNFF World

*

Auch ein rumänischer Tarantino (vermutlich wegen eines geheimnisvoll abgetrennten Fußes) war für den Spielfilmwettbewerb angekündigt. In Cannes vermochte Câini (Hunde) von Regisseur Bogdan Mirica zumindest noch die Kritikerjury zu begeistern. In Cottbus ging der Streifen über mafiöse Grundstücksgeschäfte in der rumänischen Einöde, die von einem alten, krebskranken Gesetzeshüter verfolgt werden, bis nach etwa 100 Minuten endlich mehrere Leichen im Steppengras liegen, leer aus. Ähnlich wie die unerfüllten Preishoffnungen der beiden georgischen Beiträge, die entweder in Das Haus der Anderen, einem Film über den Krieg in Abchasien von Rusudan Glurjidze, im pathetischen Dauerregen ertranken, oder in Annas Leben von Nino Basilia über ein überambitionierten Drehbuch stolperten, in dem eine alleinerziehende Mutter mit autistischem Sohn für ein Visum in die USA alles nur Erdenklich tut - bis hin zur verzweifelten Kindesentführung. Zumindest vermittelte das neben einer gewissen Spannung auch noch einen durchaus sozialkritischen Hintergrund, während All the Cities of the North vom serbischen Regisseur Dane Komljen mit Architektur-Ruinen nur sehr elegisch postsozialistische Agonie bebilderte.



Aber nicht nur Komödie, Krimi oder Sozial-Drama - in die Reihe der Beiträge des 26. FilmFestival Cottbus, die sich durch ein geschicktes Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion auszeichneten, fügten sich auch nahtlos sogenannte Biopics ein. Ob nun im Kino oder TV, das Genre ist mehr denn je in Mode. So gab es auch neben dem Spielfilm-Wettbewerb in der Sektion Spektrum einen filmischen Beitrag über die Anarchistin, Sozialrevolutionärin und angeblich Lenin-Attentäterin Fanny Kaplan. Der ukrainische Spielfilm Meine Großmutter Fanny Kaplan von der Regisseurin Olena Demyanenko ist sehr um die Rehabilitierung der fast vergessenen, in Russland verpönten und in alten Propagandafilmen verunglimpften Frau bemüht. Einige fehlende Seiten in den Geheimdienstakten Fanny Kaplans nimmt der Film zum Anlass, ein rührendes Liebesdrama zu erzählen, verbunden mit einer Räuberpistole um den Anarchisten und Kaplan-Geliebten Viktor Garskiy sowie einer Geheimdienstverschwörung, in der die Beziehung der zeitweilig erblindeten Fanny Kaplan zu ihrem Arzt und Lenin-Bruder Dmitri Iljitsch Uljanow eine Rolle spielt. Gestützt wird das Ganze durch Interviews mit einer Enkelin Fanny Kaplans. Allerdings kann und will der Film zwischen Fiktion und Fakten nicht wirklich zur Aufklärung der tatsächlichen Geschehnisse beitragen.

Bewertung:    



Meine Großmutter Fanny Kaplan beim 26. FilmFestival Cottbus | (C) Gagarin Media Film

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Auf vielen originalen Film- und Tonaufnahmen, die der polnischen Maler Zdzisław Beksiński über drei Jahrzehnte in seiner Warschauer Wohnung aufgenommen hat, basiert dagegen der polnische Wettbewerbsbeitrag The Last Family (Die letzte Familie) von Jan P. Matuszyński. Der Regisseur hat die Unmengen an Archivmaterial durchstöbert und daraus einen bemerkenswerten Spielfilm gemacht, der uns die Familie des Malers (Andrzej Seweryn) und vor allem seines psychisch kranken Sohnes Tomasz, einem bekannten polnischen Radiomoderator der 1980 Jahre, näher bringt. Die Beiden genießen einen gewissen Kultstatus in Polen. Trotz dass der Film kaum auf die politischen Ereignisse und gesellschaftliche Umbrüche im Land eingeht, zeigt er ein eindrucksvolles Lebens-Portrait einer Familie, die sich eine Welt aus Malerei, Film und Musik in ihren eigenen vier Wänden aufbaut. Für die Rolle des Tomasz erhielt Dawid Ogrodnik den Preis für den besten Darsteller.

Bewertung:    



The Last Family beim 26. FilmFestival Cottbus | (C) Hubert Komerski

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Ebenfalls in der eigenen Wohnung gedreht ist der ungarische Wettbewerbs-Beitrag It's not the time of my Life von Regisseur Szabolcs Hajdu. Man verzichtete ganz bewusst auf die Beantragung von Fördermitteln beim ungarischen Staat, um so ganz unabhängig in der Arbeit und Produktion zu sein. Die Kamera übernahmen wechselnd einige Filmstudierende des Regisseurs, der hier sein eigens Theaterstück über zwei gut bürgerliche, mit einander verwandte Familien verfilmt hat. Es wird über Lebensentwürfe, Beziehungsprobleme und Kinderziehung gestritten. Ein starkes Filmportrait einer über soziale und politische Themen entzweiten Gesellschaft. Das war der Wettbewerbs-Jury den Preis für die beste Regie wert. Das unabhängige ungarische Kino ist wieder da.

Bewertung:    



Was nie wirklich weg war, ist das russische Kino, das seit Jahren mit dem "Russkiy Den" seinen festen Platz im Cottbuser Festivalprogramm einnimmt. Ob nun mit einer Mediensatire über einen angeblichen Mann aus der Zukunft, der die Zeugung des Erlösers der Welt verspricht, einem Omnibusfilm mit verschiedenen Frauenportraits aus dem modernen St. Petersburg (St. Petersburg-Selfie), oder einer Gaunerkomödie (S/W), die auf einer Flucht durch die russische Provinz einen Kaukasier und einen russischen Rechts-Nationalisten zusammenbringt; die filmische Qualität und Beliebtheit der russischen Beiträge ist ungebrochen. So verwundert es auch nicht, dass der russische Regisseur Tverdovskiy nach Klass Korrektsii vor zwei Jahren auch bei seiner zweiten Teilnahme am Cottbuser Wettbewerb den Preis für den besten Film einheimste.



In Zoologiya (Zoologie) erzählt Ivan I. Tverdovskiy die Kafka‘sche Gregor-Samsa-Parabel einmal ganz anders. Als die unscheinbare Zoo-Angestellte Natascha eines Tages entdeckt, dass ihr ein Schwanz wächst, lebt sie einerseits in ihrer Liebe zum Röntgenarzt auf, erfährt aber auch gesellschaftliche Ablehnung von Kollegen und in religiösem Aberglauben verhafteten Nachbarn. Für ihre Darstellung der Natascha erhielt Natalia Pavlenkova den Preis für die beste Schauspielerin. Ein Betrag, „der die perfekte Verbindung schafft zwischen hoher künstlerischer Qualität und einem außerordentlichen Feingefühl für menschliche Werte. In einer starken Metapher erzählt uns der Film eine originelle und emotionale Geschichte über Einsamkeit, Liebe, Hoffnung und Lebenswillen in einer Gesellschaft voller Bigotterie, Vorurteile und Gefühllosigkeit gegenüber anderen. Mit viel Humor, Ironie und echtem Gefühl hat uns dieser Film eine andere Perspektive auf Menschlichkeit gezeigt“. Der Jury-Begründung ist da nichts weiter hinzuzufügen.

Bewertung:    


Stefan Bock - 14. November 2016
ID 9683
Weitere Infos siehe auch: http://www.filmfestivalcottbus.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

26. FilmFestival Cottbus (1)



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= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


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= katastrophal

 


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