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Feuilleton


Wunder-Brücke und Fledermaus

Die ganze Welt lacht über Dresden wegen der Waldschlößchenbrücke – oder doch nicht ganz?

Über Deutschland gähnt das Sommerloch. Und über die Stadt Dresden lacht die ganze Welt – oder doch nicht ganz? Es ist der 13. August. An diesem Tag vor 46 Jahren wurde in Berlin begonnen, die Mauer zwischen Ost und West zu bauen, die Spaltung zu zementieren. Am heutigen Tag hätten in Dresden die Bagger rollen sollen, um ebenfalls ein Bauwerk zu errichten, das eine Stadt spaltet – die ominöse Waldschlößchenbrücke. Obwohl es sie nicht gibt, trägt sie diesen von einer nahegelegenen Brauereigaststätte entliehenen Namen schon lange, doch kann ihn in Dresden keiner mehr hören. Denn mit ihm ist der wohl ärgerlichste innerstädtische politische Streit seit der Wende verbunden.

Ein veraltetes Projekt der Moderne

Es ist schwer zu rekapitulieren, worum es beim Bau der Waldschlößchenbrücke einmal ging. Als das Projekt in den 1930er Jahren – gegen frühere Entscheidungen des Stadtrats – zum ersten Mal betrieben wurde, befand sich das Land nicht nur in der Hand der Nationalsozialisten, sondern auch im Aufwind der Moderne, der im Zweiten Weltkrieg mündete. Die nachfolgende DDR erlebte, genauso wie der Westen, in den 60er bis 80er Jahren ihre eigene Nachkriegsmoderne und stellte zum Teil aberwitzige Brückenplanungen an, die letztlich aber an der Wende scheiterten. Seither wird der wiedergeborene Freistaat Sachsen von der CDU beherrscht, und die entschied in Form ihres Wirtschaftsministers Kajo Schommer bereits Anfang der 90er Jahre, daß in Dresden das ganz alte Projekt der Moderne, eine ingenieurtechnisch aufsehenerregende, gut 600 Meter lange Brücke an der breitesten Stelle des Tals zwischen den Stadtteilen Radeberger Vorstadt und Johannstadt, nun endlich realisiert werden müsse. Und mit einem vom ADAC inspirierten und von der städtischen CDU und FDP abgesegneten Bürgerentscheid im Februar 2005 wurde dieses Unterfangen, wie es scheint, endgültig wasserdicht gemacht: zwei Drittel der abstimmenden 50 Prozent Wahlbevölkerung wollten die Brücke – oder doch zumindest irgendeine Brücke, um das leidige Thema vom Tisch zu haben.
Aber wie es wahrscheinlich schon in den 30er Jahren eher um die Realisierung modernistischer Verkehrsvisionen gegangen war, ging es auch seit der ‚demokratischen‘ Wende in Sachsen weniger um die Sache als ums Prinzip. Die besseren Argumente liegen bei den Brückengegnern: sinkendes Verkehrsaufkommen, ökologische Fragwürdigkeit, mit 130 Millionen Euro gigantische Kosten – und seit dem Jahr 2004, als das Dresdner Elbtal zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, der Kampf um die Erhaltung dieses Erbes. Denn das Welterbe-Komitee stellte schon 2006 gravierende Einschnitte in die geschützte Kulturlandschaft fest, sollte die Brücke in der geplanten Version gebaut werden, und setzte Dresden auf die rote Liste. Bis Oktober diesen Jahres soll ein Kompromiß zustande kommen, sonst droht die Aberkennung. Die Staatsregierung unter MP Georg Milbradt im Verbund mit dem Dresdner Regierungspräsidenten Henry Hasenpflug empfand das als Erpressung und setzte nun alle, vor allem rechtlichen Hebel in Bewegung, um das ganz alte Projekt der Dresdner Verkehrsmoderne durchzupauken. Kompromisse, die den nicht zu unrecht heiligen Boden des Bürgerentscheids nicht verlassen, also etwa Brückenvarianten oder gar ein – dem ästhetisch-ökologischen Kalkül am weitesten entgegenkommender – Tunnel werden seither dringend gesucht. Alle diesbezüglichen, von Politikern aus Berlin und sogar vom Oberverwaltungsgericht Bautzen angeregten Vermittlungsversuche wurden jedoch von den Regierenden des Freistaats ausgeschlagen. Wer sich bislang eher als Anhänger politischer Vernunft einschätzte, mußte hart an sich arbeiten, um nicht zum Verschwörungstheoretiker zu werden.

Kleingeist satt Kompromiß

Interessant ist auch, daß das, was einmal als „Wunder von Dresden“ in aller Welt gerühmt wurde, die deutschland-, ja weltweite Initiative für die Rekonstruktion der im Krieg zerstörten barocken Dresdner Frauenkirche, beim Streit um die besagte Brücke versagte. Das mag daran liegen, daß es hier gerade nicht darum ging, etwas zu bauen, sondern einen umstrittenen Bau zu verhindern. Zuletzt hatten die Gegner die entscheidenden Verhandlungen verloren. Auch das Bundesverfassungsgericht urteilte, daß es – auf der Ebene der gültigen Rechtsprechung –Entscheidungen wie eben einen Bürgerentscheid zu respektieren gilt, die die ‚weichen‘ Kriterien der UNESCO überwiegen. Dieses Urteil vom 6. Juni 2007 wurde aber nicht etwa dazu genutzt, nun endlich die UNESCO-Kriterien für Deutschland verbindlich zu regeln. Statt dessen kniff der immerhin mit solcherlei Dingen befaßte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) den Schwanz ein, und die Bundeskanzlerin – froh darüber, die Männerriege der rebellierenden Landesfürsten aus der eigenen Partei endlich gnädig gestimmt zu haben – bemerkte sibyllinisch, es handle sich um einen „regionalen“ Konflikt.
Während die Welt sich kaputt lachte über die hinterwäldlerischen sächsischen Entscheidungsträger und die kulturelle Elite der Stadt ein ums andere Mal aufschrie, handelte das Regierungspräsidium in „Ersatzvornahme“: es zwang, als übergeordnete Verwaltungsbehörde, die Stadt Dresden, den Bau auszulösen. Und MP Milbradt, der selber im eigenen Lande nicht eben unumstritten ist, soufflierte sichtlich zufrieden darüber, seine Mannen bei der Stange gehalten zu haben, daß das Welterbe „verzichtbar“ sei. Daß mit solchen, vor allem parteipolitisch motivierten Tönen auch auf internationaler Ebene Meißner Porzellan zersungen werden könnte, war offenbar irrelevant. Die Touristen kommen auch so, wie der alte Machiavellist weiß. Am 13. August sollten die Bagger rollen.

Das eigentliche Dilemma, das der Dresdner Brückenstreit an die Oberfläche gebracht hat, wird bei der ganzen, nurmehr von zum Teil widerstreitenden Gerichtsentscheidungen gelenkten Diskussion füglich unter den Tisch gekehrt. Es geht in erster Linie um politische Kultur. Diese Kultur ist in demokratisch verfaßten Gesellschaften, ob es einem paßt oder nicht, eine des Kompromisses. In Sachsen wird diese Kultur vor allem von der Opposition eingefordert, wobei sich die Grünen beim Brückenstreit besonders profilieren können. Da die SPD, in Sachsen mit 9,8 Prozent Wählerstimmen eine Splitterpartei, in der Regierung sitzt, trauen sich die sächsischen SPD-Genossen nicht recht hervor. Als Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD) vor ein paar Monaten gegen die Brücke lospolterte und drohte, aus seinem Ministerium keine Gelder zur Verfügung stellen zu wollen, wurde er von seinen CDU-Ministerkollegen zurückgepfiffen. Auf Bundesebene ging es zuletzt dem Verkehrsminister und Ost-Beauftragten Wolfgang Tiefensee (SPD) ähnlich. Ein wichtiger Schritt für Sachsen war sicherlich vor einigen Wochen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der sich mit den jüngst aufgedeckten Verstrickungen von Politik, Polizei und Justiz beschäftigen soll. Ob er dem vorherrschenden Klientelismus etwas anhaben kann, weiß noch keiner genau zu sagen.

Ein neues „Wunder von Dresden“?

Wie durch ein Wunder rollten am heutigen 13. August nun doch nicht die Bagger. Grund dafür ist, daß die Grüne Liga Sachsen sowie die Naturschutzverbände NABU und BUND vor dem Verwaltungsgericht Dresden mit einem Eilantrag durchgekommen sind, der im Planfeststellungsverfahren für die Brücke große Mängel entdeckt hat und sich damit auf eine Anfang des Jahres verschärfte Bundesgesetzgebung stützt. Der – vorläufige – Retter des Welterbes hat auch einen Namen: es ist die kleine Hufeisennase (rhinolophus hipposideros), eine vom Aussterben bedrohte Fledermausart, für die nun erst einmal festgestellt werden muß, inwiefern sie durch eine Brücke beeinträchtigt würde.

Über Deutschland gähnt das Sommerloch und durch die Dresdner Elbszenerie flattern, sichtbar nur für Menschen mit besonders guten Augen, kleine Hufeisennasen – ein hübsches Bild. Ein anderes paßt dazu. In Dresdens Stadtzentrum hatten die Brückengegner zur Kundgebung aufgerufen. Die Atmosphäre ist friedlich auf dem breiten gepflasterten Platz an diesem sonnigen Abend des 13. August 2007, alle Redner sind rhetorisch auf Ausgleich bedacht. Vor der prächtigen Fassade der Frauenkirche und den potemkinschen Kulissen des Dresdner Neumarktes fordert Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse vor 2000 – 3000 Zuhörern von den politisch Verantwortlichen, nun endlich den lang ersehnten Kompromiß anzustreben. Thierse kann es sich leisten, denn er sitzt in keiner Regierung. Es gibt Leute, die den salbungsvollen Redestil des SPD-Politikers, der immer etwas von Sonntagspredigt hat, nicht mögen. Aber im Gegensatz zu sich beharkenden Stadträten, zu in Fraktionszwang und Parteidisziplin verharrenden Landtagspolitikern und vorauseilend gehorsamen Verwaltungsbehördenleitern entdeckt man bei ihm eine Ahnung von Rückgrat.
Thierse beschwört an diesem Abend den kulturellen Reichtum der Stadt und die Schönheit des Tals – eine Rhetorik, die im „symbolischen Zentrum des deutschen Kulturkonservatismus“ (Evelyn Finger) Tradition hat. Kultur und Natur sollen sich vereinen. Bisher haben vor allem die großen Feuilletons der Republik die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen über die kompromißlose Kleingeisterei in sachen Welterbe, die sich ausgerechnet in Dresden abspielt. Insofern wiegen die Worte von einem wie Thierse schwer und sie hallen laut im deutschen Sommerloch. Was sie bewirken, bleibt abzuwarten. Geht es eigentlich überhaupt noch um die Brücke? Gegen die Fledermaus-Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat das Regierungspräsidium jedenfalls schon einmal vorsorglich Beschwerde eingelegt.


p.w. / red. – 13. August 2007
ID 3396

Weitere Infos siehe auch: http://www.welterbe-erhalten.de/





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