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Feuilleton


Berliner Protokolle (3)



Ausschnitt Jüdisches Museum, Modellpark Berlin-Brandenburg. Foto: Adel

Architektur im Begriff

Zur Eröffnung des Modellparks Berlin-Brandenburg

Text: Gerald Pirner

Bildlos ertastet die Hand nur Eigenschaften. Erst im Gesichtssinn erfahren Mauern Gebäudeform, dem Blinden dabei aber nur den Begriff übrig lassend, den die Stimme erklärt und der hinter ihr sofort verschwindet… Im Modell kehrt sich alles um. Die Form zu Tastbarkeit verkleinert wird zu Zeit in welcher Hand um Hand sie erspürt, so dass das Bild noch ungesehen zu Vorstellung kommt. Für die Sehenden werden dabei Eigenschaften in Farbe simuliert, die Hand des Blinden sieht das, denn Mauern fühlen sich anders an…

Barocke Putten zwischen den Fingern, denen gegenüber die allegorischen Figuren des Reichstag hünenhaft, und das selbst noch im Vergleich zum „wirklichen Menschen“ der auf Parkbänken als Maß en miniature dem Werk gegenüber. Ein Gesichtsrelief unter der Haut erster Eindruck und ein Bogen unter ihm spannt sich zum Tor aus. Das Bild des Sehenden fasst zusammen was für den Blinden als Fragment beginnt. Im Sprechen die Handgriffe verwoben findet es trotzdem kein Ende wie auch hier am Steintorturm Brandenburg. Mauerabschlüsse steil zueinander, da heraus schiebt sich ein Turm, unter einem Gesims Ornamente, sodann eine Galerie – erst der Name hält all dies zu einem Bauwerk zusammen, schreibt es körperlich ins Gedächtnis.


Ausschnitt Jüdisches Museum, Modellpark Berlin-Brandenburg. Foto: Adel


Für manchen Blinden ist der Modellpark Berlin-Brandenburg, der 53 der bedeutendsten Bauwerke der Region im Maßstab 1: 25 versammelt, zu allererst eine Verstörung. Gerade wenn er selbst aus Berlin und viele dieser Architekturen ihm bereits beschrieben, wird er von seiner Hand mit Gestalten konfrontiert, die nicht selten aus Erzählung gewonnene Imaginationen geradezu zertrümmern. Das Jüdische Museum etwa, von dem man dem Autoren sagte, es habe die Form eines zerbrochenen Davidsterns, stakte für ihn wie ein Schrei hinauf und abgebrochen oben wie ein in der Gaskammer ersticktes Gebet. Das Modell im Park zwingt ihn zur Revision dieses Bildes. Aber was da an seiner Statt ertastet, graviert sich noch tiefer ins Fleisch. Flach das Gebäude wie niedergeworfen, im spitzen Winkel auseinander gerissen, andernorts stumpf und er geht da hinein, und Schritt um Schritt von der Hand etwas zusammengesetzt, das nur noch lose aneinander. Von scharfen Rissen die Fassade überzogen, klaffende Wunden mit Scheiben notdürftig geflickt und nach unten brechend sie, als drohte da etwas auszulaufen, das keine Musealisierung zu abgeschlossener Geschichte verpackt. In scharfen Kanten die Haut aufgerissen ohne dass der Blinde auch nur für einen Moment denkt das käme vom Material – allein das Dach mit seinen Belüftungsventilatoren, mit seinen gespannten Drähten und Lichtschächten und dem flachen, fast teerpappeartigen Abschluss holt den Tastenden in die Funktion eines Gebäudes zurück, das in einem widerständigen Schrei lebt und atmet.

Alle Gebäude im Park im selben Maßstab, so dass Geschichtsverhältnisse realiter tastbar und der Reichstag etwa in seiner Monstrosität alles imperial an Größe übertrifft, wo er doch „Dem Deutschen Volke“ und auch das liest die Hand und lässt sogleich hinter liebevoll gegossenen Figürchen die nackte Kolossalität verschwinden. Handgreiflichkeit der Geschichte präzise nachgebaut bis ins kleinste Laternchen, das ein leichter Fingerstoß ins Schwingen stippt. Alles aber immer so groß, dass die begreifende Hand nie in den Größenwahn verfällt alles erfasst zu haben oder auch nur dazu in der Lage zu sein.



Ausschnitt Reichstag, Modellpark Berlin-Brandenburg. Foto: Adel


Die Hand, sich in einer offen gehaltenen Schachtel wieder findend, die verrahmtes Glas als Balkon ausweist – gestörte Intimität und die Finger zögern kurz, weil sie immer etwas entdecken, was dem Auge zwar nicht verborgen, was es aber dennoch nicht sieht. Fenster um Fenster gleiten sie nach oben und dies Wort als Begriff gleichsam spürbar in der Hand, in verschiedensten Gestalten ihn auslegend, ihn entfaltend, ihn mit sich selbst konfrontiert. Filigran gekreuzte Scheiben zurückgeschoben über einem Sims, in feinen Metallschienen gefasst wie auf dem Dach des Pergamonmuseums oder als Relation einer gebauten Öffnung, die als riesige Atelierfenster in Mies van der Rohes Bau das Licht das da eindringt geradezu greifbar machen, obschon der Bau selbst in handgreiflichem Vergleich daliegt wie ein kleines schnuckliges Hüttchen, das jede Margarite ums Doppel überragt.

Irgendwo gegenüber ein mit einer Unzahl quadratischer, fingerkuppendicker Fensterwaben übersätes Achteck, nüchtern flach oben und nicht ganz so rau dort wie das Jüdische Museum. Ein Gebetshaus, das sich von seinem alten Turm zurückzuziehen scheint, ihn dabei gleichzeitig ausstellend wie eine eiternde Wunde der es seine Form verdankt. Bombenausgeborstenes Gemäuer und unwillkürlich formt die Hand sich zur Schale als gälte es den ausgeglühten Sandstein aufzufangen, den die Haut in ihrer Bewegung als nicht enden könnendes Herausrieseln und Zerbröckeln erfährt. Scheibenlose Fenster, unter Giebel rund, zwei- oder dreifach gegliedert von kleinen Säulen. Daumen und Zeigefinger fahren langsam an ihnen hoch, tasten vorsichtig hinein und spüren, anders als dies an jeder mahnenden Postkarte zu sehen, etwas Grauenhaftes und grauenhaft noch in diesem Modell einer Gedächtnis-Kirche.


Ausschnitt Reichstag, Modellpark Berlin-Brandenburg. Foto: Adel


Modell erfährt hier zugleich auch die Bedeutung die vielleicht seine älteste ist: eine Idee, ein Entwurf von Geschehen und Geschichte. Hautnah die Nähe gleich zu dem, was als Modell zu diesem Grauen nicht zuletzt führte – eine Säule und hoch so weit die Hand reicht, was darauf steht muss gesagt werden. Kränze unter der Hand und rundum und an etwas zwischen Zepter und Knüppel hängend. Unten ein Säulenrund, einst wohl Imitat eines antiken Tempels, später nannten mit Sicherheit nicht wenige diesen Bau hier Walhall. Über allem was nicht zu fassen die Siegesgöttin, als Goldelse von der Berliner Schnauze so wohltuend entpathetisiert.

Erfassbarkeit, in der Miniatur hält sie sich im Rahmen der Hand, die Ungesehenes in Fragmente zerteilt und als solches wird es wörtlich Begriff. Im Nachhinein werden dem Blinden viele Worte so erst Erfahrung, was ein Dach ist etwa, oder wie eine Säule in Kapitell und Kämpfer ausläuft.
Spitze spießartige Haken in einer feingerippten Schräge lang gezogen sie und nach unten hin in Absturz gewinkelt. Von einer anderen Seite her ein runder Abschluss. Das Kreuz fein ziseliert und wo die Hand zufällig auf es stößt wie frei schwebend, obschon freilich es gehalten und hier von einer Kuppel, die die Handbewegung in ihren gleichmäßig zum Kreuz hochgezogenen Rippen in weichen Rhythmus bringt. Unterschiedliche Materialien mit Fingerknöcheln ausgeklopft; blechern eine knappe Schräge, die die Mauer nach vorne schiebt. Dumpf sie und wie massiv dagegen die Skulptur einer Frau mit Kind und immer wieder Säulen: freistehend zwei auf der einen Seite, denen zwei Finger ganz hoch hinauf folgen. Auf der anderen Seite ganz unten kleinere in Bögen zu Rund verbunden. Tastbar hier fast noch verschiedene Baustile, barock etwa die Kuppelzwiebel, die sich allerdings wie ein Kürbis anfühlt, eher gotisch wiederum das lange Satteldach. In allem aber bleibt jedes Gebäude von der Hand zerteilt ein Fragment und nur das Denken des Blinden, seine blinde Imagination setzt es zu etwas Ganzem zusammen, wie in diesem Falle die Klosterkirche von Neuzelle, aus der jetzt geisterhaft leise der Anfang von Bachs d-Moll Toccata erklingt.



Gerald Pirner - red / 30.Juni 2007
ID 3332

Weitere Infos siehe auch: http://www.modellparkberlin.de/





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