Nun entscheidet Frau K
Frau K entschied, daß sie von nun an nicht mehr mit Leuten sprechen wolle,
die sie nicht schätzte. "Ja, da sind alle diese Leute, die ich verachte, weil
sie verlogen, gewalttätig, verdorben, egoistisch sind oder weil sie unreif,
aggressiv, überspannt oder pervers, destruktiv drauf sind oder weil sie träge,
unentschlossen, bloße Jasager sind oder machtsüchtig, habgierig, oder weil sie
im Gegenteil zu freigebig, besitzergreifend oder weil sie Alkoholiker oder sexgeil sind,
alle diese Leute, die in ihrer Sucht eingesperrt sind wie in einem Hamsterrad,
die ausschließlich mit sich selbst beschäftigt und um sich selbst besorgt sind
und darum, daß auch die anderen sich um sie sorgen, alle diese Leute, deren
einziges Bestreben es ist, unverändert weiterzuleben und ihre Mitmenschen
auszunutzen, alle diese Leute, die die Regeln des Gesprächs und des Miteinander
mit Füßen treten, die überschäumen vor Worten und nur das Streben nach
Manipulation, Besitz, Geliebtsein, Herrschaft kennen, mit allen diesen Leuten,
das muß ich zugeben, kann ich nicht sprechen und zugleich meine Würde wahren;
ich nehme ihre Nichtigkeiten ernst, obschon ich weiß, daß es Nichtigkeiten sind;
ich schaffe es nicht, von ihnen zu verlangen, daß sie mit der Lügerei aufhören
und mich nicht mehr in ihre gepanschte Welt hineinziehen. Ich bin nicht so naiv
wie andere, die darauf hereinfallen, aber andererseits auch nicht so stark wie
diejenigen, die sich zu wehren wissen - das Ergebnis ist also nicht so toll. Da
ich unfähig bin, mich bestmöglich herauszulavieren, muß ich mir zumindest eine
kleine Hintertür zum Weiterleben offen lassen: ich spreche nicht mehr mit allen
diesen Leuten, ich lasse mich nicht mehr von ihnen fertig machen."
Ja ja, Frau K, sicher fühlst du dich nicht mehr so schlecht, sicher kriegst
du weniger Gewissensbisse, denn die Perversen werden nicht mehr auf dich
abfärben. Laß dir deine Entscheidung aber trotzdem nochmal durch den Kopf gehen,
denn wenn du mit ihnen nicht mehr sprichst, wem wirst du dann künftig deinen
Scheiß erzählen, hm? Wen wirst du mit deinen Problemchen zumüllen? sagte ihr
ihre innerste Stimme.
Siehst du, Frau K, schon wieder läßt du dich runterziehen, was soll das! Den
Schmutz der anderen zu erdulden, nur damit sie deinen auch ertragen! An diesem
Punkt solltest du merken, daß die Hölle nicht so sehr die anderen sind, sondern
du bist es mit deinem Charakter, der so leicht die Bosheit der anderen
akzeptiert, damit sie dich im Gegenzug in Ruhe lassen, entgegnete die andere
Stimme in ihr, der noch ein wenig Ehrenhaftigkeit geblieben war.
"Puuuuuhhhh...", seufzte Frau K, "ich habe nicht einmal angefangen, meine
Entscheidung praktisch umzusetzen, und schon ermüdet sie mich. Mir scheint, das
ist kein Problem, daß ich lösen könnte, was mir für die Zukunft ein sehr elendes
Leben verheißt; ich werde diese kindischen, unzuverlässigen und gierigen
Scheißmenschen wohl ertragen müssen, ohne je zu wissen, ob ich sie vielleicht
nur deshalb ertrage, weil ich ihnen so ähnlich bin. Ach, es dauert mich."
L.S. 2003
Email: l_s@gmx.net
Übersetzung aus dem Französischen:
Patrick Wilden und C. Chauvin
Zum Originaltext: C'est Mme K qui décide