Zum hundertsten Geburtstag von Albert Drach
17. Dezember 2002
Albert Drach, Foto: Thomas Lowski
Gegenwärtiger Stand der Rezeption: monströs
Reinhard Schulte, 1992:
"Sollte einer die Dramatiker deutscher Sprache nennen, deren Stücke die dunkle Geschichte des Jahrhunderts auf dem Theater erkennbar gemacht haben, könnte es dem Betreffenden einfallen zu sagen: Wedekind, Kraus, Brecht, Horváth, Drach. Vier der fünf Namen müssten nicht kommentiert werden. Daß es im Fall des Büchnerpreisträgers Albert Drach einer Erklärung zu bedürfen scheint, beruht auf dem einer solchen weit mehr bedürftigen Umstand, dass, im Unterschied zu einem Teil des Prosawerks, das dramatische Korpus dieses Dichters - vierzehn Stücke in drei Bänden waren 1965 - 1972 immerhin erschienen, wenn auch längst nicht alle - seit vielen Jahren vergriffen ist und von den deutschen Theatern so gut wie nicht gespielt wird. Der Mehrzahl dieser Stücke - das früheste dürfte siebzig Jahre alt sein - steht die Uraufführung noch bevor; das nach dem zweiten Weltkrieg entstandene ungeheure Schauspiel "Das I", das Stück über die Ermordung und das weitere Leben des jüdischen Volkes sowie über die deutschen Mörder und andere Beteiligte und Unbeteiligte, scheint, wiewohl seine Aufführung das Wichtigste gewesen wäre, was dem deutschsprachigen Theater nach 1945 hätte widerfahren können, nie realisiert worden zu sein. Ist es das Krausdeutsch, Worte, "so scharf, daß sie durch gepanzerte Hirnschalen in die entlegensten Hohlräume eindringen" (Das Satyrspiel vom Zwerge Christian, S. 100), was zur Verleugnung zwingt ? So zwar, dass wir Deutschen über alles mit uns reden lassen, aber nicht in diesem Ton ? Wenn eines Tages die Kenntnis diese Oeuvres kein zufälliges Privileg mehr ist, wird der gegenwärtige Zustand als monströs erscheinen. Bis dahin hilft kein Betteln um Gehör, eher die keineswegs kühne Behauptung, daß das deutschsprachige Theater sich wieder einmal ums Beste betrügt, und bei Gelegenheit die Ohrenprobe, dergestalt daß eins der Bücher aufgeschlagen wird und vorgelesen."
(Reinhard Schulte: Albert Drach und sein Theater, Tübingen 1993, S.119)
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* Gedankenspiele *
Albert Drach zum 100. Geburtstag
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Nicht mehr aktuell oder zu unrecht vergessen?
Sicherlich ist es eine Bildungslücke und dennoch würde keiner unserer jüngeren Leser schamhaft erröten, wenn er den Namen Albert Drach (1902-1995) nicht mit dem österreichischen Schriftsteller und Dichter in Verbindung bringen könnte, der 1988 den Georg-Büchner-Literaturpreis erhielt. Damit steht Albert Drach mit uns eher geläufigen Namen wie z.B. Elfriede Jelinek, Adolf Muschg, Wolf Biermann, Ernst Jandl, Martin Walser und Christa Wolf in einer Reihe.
Was sollte ein unbedarfter Leser bei seiner ersten Begegnung mit Drachs Werken wissen?
Albert Drachs Werke sind böse, man kann es auch zynisch oder kritisch nennen. Er war ein politischer, soziologischer und philosophischer Schriftsteller. Mit Sprach-und Wortwitz erschütterte er moralische Grundüberzeugungen und scheinbare Wahrheiten. Im Zentrum seiner Prosa und Theaterstücke standen die Themen: Judentum, Nationalsozialismus, Justiz und Sexualität. Er ließ seinem Publikum offen, welche Fragen es formuliert: Ist der Verfolgte das Opfer oder ist das Opfer Opfer, weil es sich selber dazu erwählt? Ist Gott immer gut und der Teufel immer schlecht und wie groß ist der moralische Unterschied von Gottgläubigen und Gottlosen? Sind die Utopien von Kommunismus und Kapitalismus wirklich so verschieden und was ist der gemeinsame Nenner von Nationalsozialismus und Christentum?......???
Der von Drach hauptsächlich verwendetete Sprachstil wirkt bei einer ersten naiven Lesebegegnung maniriert, gestelzt und durch die zahlreichen Substantivierungen sehr amtlich und formell. Die von ihm entwickelte Kunstsprache wird als Protokollstil bezeichnet und ist eine Karikatur der Kanzleisprache wie sie in Österreich während der Habsburger Monarchie gepflegt wurde. Bei fortgeschrittener Betrachtung wird die Ironie, der Zynismus, die Übersteigerung bis hin zur maßlosen grotesken Verzerrung immer deutlicher und erzeugt eine Intensität und Spannung, die es jedoch auch nicht an humoresken Einlagen fehlen läßt.
Seine eigene Lebensgeschichte ist geprägt durch die Erfahrungen als Jude auf der Flucht vor dem Nazi-Regime. Bereits 1938 flieht Drach nach Frankreich. Im Verlauf des weiteren Kriegsgeschehens wird er mehrmals interniert, doch es gelingt ihm immer wieder freizukommen. Wie durch ein Wunder entgeht er mehrmals einer Deportation nach Deutschland. Schließlich versteckt sich Drach in einem französischen Bergdorf, wo er bis nach dem Krieg unentdeckt bleibt. 1947 kehrt er nach Österreich zurück. Die Verarbeitung dieser Erlebnisse findet sich mehr oder weniger in allen seinen literarischen Werken wieder.
Begibt man sich auf die Reise, Drachs Werke kennen zu lernen, so stellt man mit Erstaunen fest, daß viele seiner Prosawerke vergessen sind und viele seiner Theaterstücke niemals aufgeführt wurden. Der Zyniker spaltete sein Publikum in die, die ihn verehren und in die, denen die Übertreibung zu viel und der Zynismus zu böse war. Einer, der seinem Publikum keine leicht verdauliche Unterhaltungskost vorsetzte, sondern den Gegenüber in verwirrende Gedankspiele verstrickte und mit offenen Fragen zurückließ. All dies wird Drachs Werke auch in Zukunft begleiten, wenn sich ein Publikum dazu bereit erklärt.
Heutzutage fordern wir von unseren zahlreichen zu Ruhm gekommenen Jungautoren, daß sie politischer schreiben sollen, von den Intellektuellen erhoffen wir uns wieder mehr politische und philosophische Utopien und kritische Auseinandersetzung mit unserer Welt und nicht die verbreitete Haltung, das Vorzufindende mit Langmut zu ertragen. Vielleicht sollten wir vermehrt in Antiquariaten und alten Schubladen kramen, um auf so jemanden wie Drach zu stoßen, der sein Außenseitertum dazu nutzte, seinen Stil zu pflegen, Unangenehmes auszusprechen und sich an seinem Publikum zu reiben. Etwas, was zeitweise der Gefallsucht und dem Zwang, Literatur als Konsumware anzubieten, geopfert wird. Solange unsere deutsche Geschichte aktuell ist, werden auch die Werke von Albert Drach aktuell bleiben, egal wie groß das Publikum ist, dem dies gefällt. Im Falle Drachs liegt es am Publikum von heute, inwieweit es sich den Herausforderungen eines zu unrecht vergessenen, jedoch unbequemen Schriftstellers und Dichters stellen möchte.
i.k. - red / 17. Dezember 2002
Drach - Spezial:
Interview mit dem Tübinger Literaten Reinhard Schulte 15. Dezember 2002 Das Interview führten Ines Klank-Rießen und Thomas Ziegner
kultura-extra: Drach hat viele Fragen gestellt, vermeintliche Gewißheiten nachhaltig (verzeihen Sie das Modewort) erschüttert. Hat Drach auch Antworten gegeben?
Schulte: Er war ein Autor, der in fast naiver Weise geglaubt hat, mit seinem Werk und Wort lehren zu können. Zu den Stücken, die damals (1993) vorgetragen worden sind - er wollte zugegen sein, wollte bei den Zuhörern sein, die er selber optisch und akustisch nurmehr schattenhaft wahrnahm - hielt er im Anschluß kurze Ansprachen, in denen seine Überzeugung zum Ausdruck kam, daß die Hörer von seinen Stücken etwas für ihr Leben lernen können. | |
Reinhard Schulte, Foto: Ines Klank-Rießen / red, 15. Dezember 2002
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Wer nun erwartet hat, daß das etwa Lehren von dem Abstraktionsniveau seien, daß man die Hoffnung nie aufgeben soll oder ähnlich, der stellte mit Verblüffung fest, daß Drach an etwas viel Einfacheres dachte. Er hat nämlich ausgeführt, daß im "Satansspiel vom Göttlichen Marquis" de Sade in einer bedrängten Situation - das Todesurteil sollte an ihm, der in der Bastille inhaftiert war, innerhalb der nächsten Stunden vollstreckt werden, und seine Aufgabe war es, sich irgendwie noch vorher aus dem stark befestigten und militärisch geschützten Gefängnis zu befreien - eine Dachrinne beantragte zur Verrichtung seiner Notdurft, die er zweckentfremdet verwendet hat, nämlich um sich durch eine Luke im Gemäuer an die in kleinen, ungeordneten, aufgeregten Haufen in diesen Tagen um die Bastille herumziehende Bevölkerung zu wenden und die Empörung zu schüren.
(weiter - Interview mit dem Tübinger Literaten Reinhard Schulte)
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Unser Tipp:
Albert Drach: Untersuchung an Mädeln/Kriminalprotokoll.
Werke in zehn Bänden Bd I. Herausgegeben von Ingrid Cella. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002. 446 S., geb., 24,90 Euro
Esmeralda Nepalek, gewöhnt von Männern für sexuelles Frohlocken benutzt zu werden, wehrt sich am Ende nicht mehr gegen ihren Missbrauch durch den Stechviehhändler Joseph Thugut. Der glaubt, unmittelbar anschließend, auch beim zweiten süßen Mädel, Stella Blumentrost, landen zu können. Die aber sträubt sich. Die Mädeln kooperieren: Esmeralda reicht Stella einen Wagenheber, mithilfe dessen Thugut erfolgreich ruhiggestellt wird. Leider verschwindet Thugut, und die Mädeln geraten in die Fänge der Bürokratie Justitias. Die "Untersuchung an Mädeln" hebt an, Anklage wegen Mordes wird erhoben, obwohl die Leiche fehlt.
Drachs immense sprachkünstlerische Vielfalt, geschult an Büchner, Kleist und der messerscharfen Diktion Flauberts bannt wache LeserInnen. Das instruktive Nachwort stellt die gröbsten Irrtümer über den "Protokollstil" Drachs - ein zäh haftendes, irreführendes Etikett -richtig.
th. z.
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Albert Drach
Z. Z. das ist die Zwischenzeit. Ein Protokoll.
346 Seiten
Zweimal der "Z"- Laut bildet den Titel des ersten der drei autobiographischen Romane ("Unsentimentale Reise" war der zweite, es folgte "Das Beileid") Drachs, gesättigt mit scharfsinnigen Notaten zur Zeit- und Geistesgeschichte, Milieu- und Charakterstudien. Als "Sohn" figuriert der Erzähler, fesselt mit überraschenden Perspektivwechseln, einer geschärften Spielart (früh)-romantischer Ironie, die radikal ehrliche Selbstregistrierung nicht ausschließt. Feinsinnigen, die seinem Stil "Zynismus" vorwarfen, entgegnete Drach: "Zynismus ist ein Anwendungsfall von Ironie. Sonst nichts".
Der Tod seines Vaters 1935 und der seiner Mutter 1939 geben dem "Sohn" den Zeithorizont der "Zwischenzeit" vor. Als junger Anwalt, eigentlich den Künsten (vor allen der Literatur) und den Frauen ergeben, muss er immer häufiger der braunen Pest widerstehen, die sich mit Heil-Hitler-Rufen auch in Mödling ankündigt, und mit dem Anschluss Österreichs an die Hitlerei ihren Terror en detail als Staats-Terror en gros vervollkommnet.
th. z.
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Außerdem erschien (Besprechung folgt):
Eva Schobel: Albert Drach / Ein wütender Weiser. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 559 S., viele Abbildungen, geb. 28, 90 Euro
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