Literatur - spezial

Die Fahne hoch?
Kleine Flaggenkunde für Neopatrioten

:: Früher war alles leichter. Man ließ einfach raushängen. Den Stolz, ein Deutscher und so. Heute, in Zeiten eines liebevoll-warmherzigen, behutsam-krachledernen, sich selbst beargwöhnenden und daher vollkommen ungefährlichen Wirwollenauchmalwieder-Ähem-Patriotismus, der vor lauter Kraftlosigkeit kaum laufen kann und deshalb in der Spitzwegschen Schreibstube lieber Listen anfertigt, was für tolle Sachen man kaufen kann im gelobten Vaterlande, ist alles komplizierter geworden. Wer die Fahne verbrennt, und sei es im Torjubel mit der Zigarette in der Hand, riskiert Hausbesuche eines Matussek:

„Guten Tag. Ich möchte mit Ihnen über die Nation reden…“

Die WM bietet immerhin Gelegenheit, sich mit nonverbaler chalance aus der Staatsaffäre zu ziehen. Wer jetzt keine Flagge hat, baut sich noch schnell eine: Nie waren so viele Staatskarossen auf Deutschlands Bundesstraßen unterwegs. Schwarzrotgold ist die Modefarbe der Saison. Wenige wissen, dass man auch da wieder alles falsch machen kann.

Schon Freud untersuchte in seinem wegweisenden Aufsatz „Die Fahne und ihre Beziehung zum Unbewussten“ die verborgene Bedeutungsvielfalt des Symbols und wies als erster darauf hin, dass die drei Farben theoretisch dreiundsiebzig Milliarden Kombinationen zuließen, eine schlimmer als die andere. Im englischen Exil vernichtete er den Essay, weswegen wir uns hier auf einige wenige Möglichkeiten konzentrieren wollen:

Zeige mir Deine Fahne und ich sage Dir, wer Du bist!

1. Fahne hängt zu kurz aus dem Fenster: Ich glaube nicht an das Endspiel.

2. Fahne hängt zu lang aus dem Fenster: Ich glaube auch nicht an das Endspiel, will aber, dass mein Untermieter sich ärgert.

3. Reichskriegsflagge hängt aus dem Fenster: Ich glaube nicht nur an das Endspiel, sondern sogar an den Endsieg.

4. Fahne steht hoch: Verdammt, meine Freundin will dauernd nur Fußball gucken!

5. Fahne riecht: wer geht Bier holen?

6. Trauerbeflaggung auf Halbmast: keiner.

7. Roter Streifen breiter als die anderen: Ich war eigentlich gegen die Wiedervereinigung und hatte nicht genug Schwarz und Gold im Haus.

8. Schwarz-gold-rot: Ich bin ein belgischer Austauschschüler und suche Kontakt.

9. Weiße Fahne: Ich möchte nach der Genfer Konvention behandelt werden, selbst wenn wir versehentlich gegen den Iran gewinnen.

10. Schwarzweiß karierte Fahne: Auf welcher Position spielt Schumi eigentlich?

11. Schwer zu erkennende Farben: Ich sollte mal wieder den Teppich klopfen.

12. Fahne hängt aus vergittertem Fenster: Jetzt fehlt bloß noch ´ne Feile, dann kann ich bald wieder als FIFA-Präsident arbeiten.

Sebastian Andrae © 14. Juni 2006
Biografie Sebastian Andrae
Online-Anthologie: wisssen was weh tut

siehe auch:
http://www.sebastian-andrae.de/
SebAn1410@aol.com

 

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