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FEUILLETON
Raumbesetzung / Shedhalle Tübingen
Raumbesetzung vom 27.06. bis zum 10.08.2003

Nach einer 3-wöchigen Symposiumszeit, einem Work-in-Progress, der von der Öffentlichkeit begleitet wurde, eröffnete am Freitag 18. 07. 03 in der Shedhalle die Ausstellung „Raumbesetzung“ mit einer Einführung durch die Kunsthistorikerin Susanne Jakob und einer Performance von Thomas Putze.
8 Künstlerinnen und Künstler aus dem ganzen Bundesgebiet waren eingeladen worden, sich in prozesshaft-interaktiver Weise
(zusammen)wohnend 3 Wochen lang die ca. 1400 qm große Halle anzueignen. Es entstanden 8 Arbeiten, die konzeptionell, objekthaft, körperbezogen, mit Aktionen oder Installationen auf den Raum und aufeinander reagieren.


"Swinger" (Stefan Wischnewski, Martin Wöhrl) - "Staffellauf";
Fotomontage: (C) Tilman Rösch 2003


1. „Swinger“ (Wolfgang Stehle, Stefan Wischnewski, Martin Wöhrl): "Staffellauf", mixed media
Die Künstler der Gruppe „Swinger“ aus München arbeiteten in einem Art Staffellauf nacheinander an einem Werk: jeder Künstler setzte sich 1 Woche mit dem Projekt auseinander und übergab es dann an den nächsten, der wiederum 1 Woche lang das Begonnenen weiterentwickelte. In einem diskursiven Mit- und Gegeneinander entstand eine Arbeit, deren vielschichtige Bedeutungsaspekte zwischen spielerischen Sampletechniken, Ironisierung kleinstädtischer Lebensweise und Infragestellung künstlerische Vereinzelung changiert.
Den Beginn hatte Stefan Wischnewski gesetzt mit einem labilen Gestell, das den Raum der Shedhalle zugewandt ist und diesen auch teilt. Dem Spiel mit der Dichte und Stofflichkeit verweigerte er sich und unterbrach eine weitere Bespannung des zelthaften Gerippes. Allein sein Arbeitsmittel, die Nähmaschine, erhielt einen kleinen, verstecken und umspannten Raum, der im Kontrast zu der Offenheit des restlichen Gebildes steht. Wolfgang Stehle erweiterte und verfestigte das noch sehr bewegliche und labile Objekt durch einen Weg und eine Art Veranda. Das neue wesentlich präsentere Material widersetzt sich der Vorgabe und stabilisiert die unwohnliche Architektur zu einem vorstädtischen heimeligen Außenraum. Martin Wöhrl schließlich öffente das Objekt weiter in Raum hinein. Die horizontale Ausdehnung der Fläche durch eine zusammengesetzte Plattform auf einem unruhigen, sowieso schon patchworkartigen Industrieboden wird auch zu einem Spiel mit der vertikalen Ausrichtung: Bierflaschen stecken in einem empfindlichen Karton. Ihre Etiketten wurden zu einem Mobile umfunktioniert, das sich tänzelnd über der ‚Squaredance’-Plattform bewegt. Er setzte der bis dahin unberührbar wirkenden Installation eine fast hämischen Eindruck von Belebt- / Bewohnstein entgegen. Nähmaschine und Bierflaschen, das labile Gestänge und das Mobile, der Weg und die Plattform - eigentlich unüberwindbar voneinander getrennt, unbegehbar – setzen sich so zu neuen Aussagen und Bedeutungsaspekten zusammen.

2. Mirja Wellmann: "Gehörter Raum", Hörprotokolle, Holzbretter, Neonröhren; "Hörhelme", Plexiglas, grüner Teppich


"Hörhelme" von Mirja Wellmann; Foto: (C) Tilman Rösch 2003

Mit einer bewundernswerten Geduld saß Mirja Wellmann in der Vorbereitungszeit an verschiedenen Orten im Raum, die auf dem Hallenboden mit gelben Kreisformen markiert sind. In einem exakten 10-Minuten Takt transkribierte sie alles Gehörte der Umgebung in Worte. In fünf Stationen sind diese Hörprotokolle in der Shedhalle ausgelegt. Das Erfahren eines Raumes und seines Außenraumes allein durch die Akustik erfährt durch das Transkribieren eine Brechung, die die Gleichzeitigkeit eines solchen Eindruckes in etwas Sequenzielles und damit so nicht mehr Erfahrbares transportiert. Ohne dabei einer die Geräusche imitierenden Komiksprache zu verfallen, hält sie die Ursache der Geräusche fest. Ein ‚Motorengeräusch’ ist nicht hörbar – bestenfalls lesbar. Die Unmittelbarkeit des Momentes wird auf eine allgemeine Eben gehoben, die damit die reflektierte Auseinandersetzung mit einem nicht reproduzierbaren Erlebnis hinterfragt. Die Grenzen der Sprache als Transportmittel für Kommunikation werden sichtbar. Dieses Verhältnis von Nähe und Distanz wird erfahrbar an dem ‚Hörobjekt’ das im Raum schwebt. Die kommunikative Anordnung der beiden Hörhelme lassen den Gegenüber ungemütlich nah erscheinen. Die Helme schaffen eine transparente Abgrenzung und Sensibilisieren zugleich für die verschiedenen Möglichkeiten von Wahrnehmung.

3. Tilmann Eberwein: "fernsehen, wippe", Stahl, Holz


"fernsehen; wippe" von Tilman Eberwein; Foto: (C) Tilman Rösch 2003

Die Wippe von Tilman Eberwein ist Teil eines Sortiments von Objekten, die mit dem Besucherverhalten umgehen. Eine Inbetriebnahme der im übrigen Tüv-geprüften, mit einer bewegungsverlangsamenden Hydraulik versehenen Konstruktion ist gewollt. Die Wahrnehmung des Raumes wird zu spielerischen körperlichen Erfahrung, bekannt aus den Erinnerungen der Kindheit. In der künstlerischen Aufbereitung wird dabei nicht nur die Erfahrung von Höhe und Fernblick thematisiert, sondern auch die Abhängigkeit von sozialen Gefügen und die Notwendigkeit von Kommunikation zur erfolgreichen Nutzung der Wippe. Er betont diesen Aspekt durch eine von einander abgewandte Anordnung der Sitzflächen und einer ungleichen Verteilung der Plätze. So müssen ca. 3 Personen zusammenkommen, um einer Person die Möglichkeit des Fernblickes einzuräumen. Das dieses einfache Prinzip einer Wippe, das auf jedem Spielplatz an sich in der Regel unproblematisch funktioniert, in diesem neuen Kontext so einfach gar nicht ist, zeigten am Tag der Eröffnung nicht nur die verantwortlichen Aufsichtspersonen der Shedhalle, die sofort eine erhöhte Unfallgefahr befürchteten. Sondern – und da zeigt sich vielleicht die Begründetheit der Sorge – die Besucher selbst. Schon nach wenigen Minuten rutschte die erste Person ein wenig unkontrolliert von der Wippe und durchbrach das Gleichgewicht.


4. Andreas Mayer-Brennenstuhl: "Kampf um Raum", mixed media; "Alles schon besetzt" (Bar- und Liegebetrieb), mixed media


"Kampf um Raum" von Andreas Mayer-Brennenstuhl; Foto: (C) Tilman Rösch 2003

Ist die Einbildungskraft eines der tiefsten menschlichen Vermögen? Wie besetzen wir den Raum? Die Komplexität der raumumfassenden Arbeit von Andreas Mayer-Brennenstuhl löst die Ordnung in Einzelbilder auf, die immer wieder neu besetzt und zusammengesetzt werden muss. Intimer und öffentlicher Raum, Innen- und Außenraum, Rückzugsmöglichkeiten gepaart mit dem Wunsch des sich fast exhibitionistischen selbst Produzierens können zu einer gewaltsamen Besetzung von Raum werden. Eine Bar wird zur Rahmenbedingung von Kommunikation. Zwischen Gemütlichkeit, Entspannung, stressiger Raumsituation und marktwirtschaftlicher Legitimation – man erkauft sich sein Recht des Anwesendseins – entfaltet sich das wieder und wieder Umkämpfte und neu Ausgehandelte schon immer besetzter Räume.


"Alles schon besetzt" - Installation von Andreas Mayer-Brennenstuhl; Fotomontage: (C) Tilman Rösch 2003

Das positive Besetzen eines Raumes durch Bilder und Gegenständen im Raum, wie Gaston Bachelard, es in seiner „Poetik des Raumes“ formuliert, wird ambivalent gespiegelt. In der interventionistischen Praxis Mayer-Brennenstuhls wird die bestehende Ordnung in Frage gestellt. Das Problem wird auch zu einer kulturpolitischen Kritik: Kunst muss sich ihren Raum stets erkämpfen und neu besetzen – faktisch und inhaltlich.


5. Thomas Putze: "r(a)umklettern", Kletterausrüstung


Thomas Putze - "r(a)umklettern"; Foto: (C) Tilman Rösch 2003

Thomas Putzes Aktion, ist – wie bei Aktionskunst üblich – auf die Figur des Künstlers und seiner Rolle als Animator zugeschnitten. In einer Kletteraktion erarbeitet er sich den Raum und nimmt neue Perspektiven auch in Bezug zu den ihn umgebenden Kunstobjekten ein. Das Basislager aus Plastikfolien korrespondiert dabei mit der Installation der Swinger. Der Akt der Kletterns wird durch den Beobachter zu einer repräsentativen Erfahrung, die jedoch nicht direkt nachvollziehbar ist. Das Spektakuläre einer solchen Aktion gipfelt schließlich in einem Verhältnis von Künstler und Betrachter, die beide Seite tendenziell in Frage stellt. Es entstehen zwei nebeneinander existierende Welten, nicht nur räumlich. Der Künstler als Akteur, Produzent und Medium der Arbeit stellt sich einem in der Regel faszinierten Publikum gegenüber, das in einer reinen Beobachterposition Zeuge der Handlung wird, ohne jedoch selbst tätig zu werden. Ein leidenschaftsloser Voyeurismus, bei dem die Zuschauer vielleicht mal gerne selber würden, aber vermutlich nie täten. Und so bleibt der‚skulpturale Vorgang’ des Erkletterns von Raum und das Beziehen neuer Perspektiven für den Betrachter eine reine Fiktion. Das Spiel mit dem Aspekt der Seilkameradschaft, grenzt auch hier den Betrachter aus. Die Kameradschaft bleibt intern.


6. Andrea Staroske: o.T., getrocknete Erbsen gelegt


Andrea Staroske, o.T.; Foto: (C) Andrea Staroske 2003

Die Kielerin Andrea Staroske legte in drei Wochen auf 25 qm Boden ca. 175 kg Erben aus. In penibler und disziplinierter Arbeit, die das Material der winzigen Erbens erforderte, schuf sie ein Objekt, das sich sensibel und sanft auf dem rauen mit Rillen versetzten Boden ausbreitet. Der schon im Entstehungsprozess meditative Charakter des Objektes wird betont durch das Einarbeiten von zwei gelben ebenfalls aus Erbsen bestehenden Kreisformen, als Dokumentation einer der Orte, an denen Mirja Wellmann ihre Hörproben aufnahm.


Andrea Staroske bei der Arbeit; Foto: (C) Tilman Rösch 2003

Die Verdichtung der losen Erben zu einer Fläche schafft Binnenstrukturen und Muster, die eine intensivere Betrachtung erfordern und ein Einlassen darauf verlangen. Das empfindliche Gebilde löst gewollt einen Reiz aus, der nach Kontakt und einem Austesten der Stabilität verlangt. Die Integrität des Objektes steht im Kontrast zur Auflösung und Zerstörung, die am deutlichsten an seinen Grenzen wird. Die Fläche und ihre Grenze nimmt einen fragilen Bezug zum Umfeld auf, in dem sie sich auch in neuen Mustern konstituiert.
Der Arbeit spielt mit der Möglichkeit der Auflösung in der Fantasie der Betrachter. Dieses entscheidende Moment wurde bei der Eröffnung der Ausstellung einem heiklen Test ausgesetzt. Der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, entzieht sich die Arbeit der Kontrolle der Künstlerin. Leider. Es dauerte keine 15 Minuten bis die erste Person – aus reiner Dumpfheit! - in die Arbeit lief und drastisch die mögliche Auflösung real werden ließ.


Foto: Tilman RöschDie Beobachtung des Besucherverhaltens am Tag der Eröffnung löst eine ganz andere Frage aus: Ist eine Ausstellungskonzeption, die, so der durchaus gerechtfertigte Text der Veranstalter, bewusst mit traditionellen Ausstellungskonzepten bricht, in einer so dominanten Halle realisierbar? Der durch einige Besucher gezeigt Umgang mit der Kunst und ihrer zum Teil nach außen getragenen Planlosigkeit in bezug auf die Objekte, scheinen zumindest daraufhin zuweisen, dass der typische Kunsthallenbesucher eines ästhetizistischen Umraumes bedarf, um ihm so unmissverständlich klar zu machen, dass er sich in einem Kunstraum befindet.
Schade.


s.p. - red / 20. Juli 2003
Ausstellung vom 18. Juli - 10. August 03
Schedhalle Tübingen
schlachthausstr. 13
72074 Tübingen

Öffnungszeiten:
Donnerstag 18 - 22 Uhr
Freitag 14 - 18 Uhr
Samstag, Sonntag 11 - 17 Uhr

Programm:
Do 24. 07. 03, 20:00 Uhr
Lecture
"Kampf um Raum"
Andreas Mayer-Brennenstuhl
Am Beispiel verschiedener Aktionen und Aktivitäten wird Andreas Mayer-Brennenstuhl über problematische Erfahrungen bezüglich der Verfügungsgewalt von öffentlichen Räumen am Beispiel der Kleinstadt Nürtingen berichten.
Kunst / siehe auch

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