Die Kolumne: Kulturpolitik auf der Couch
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Der Sofist
"Frie-den, Frie-den, Frie-den" bellt mit Penetranz der Weihnachtsengel, den Heinrich Böll in der Satire Nicht nur zur Weihnachtszeit auf die Spitze des immergrünen Tannenbaums im ganzjährig weihnachtlichen Haushalt von Tante Milla pflanzte. Wer je Vojtech Jasnys Verfilmung des Böll-Drehbuchs sah, dem dürften noch heute die Ohren klingeln. Böll führt gnadenlos das Feiertagsarsenal der bundesrepublikanischen Gesellschaft vor. Wenn in diesem Jahr die Glocken süßer nie klingen, ist das Werk aktuell wie selten, denn Tante Millas Psychose, das ganze Jahr über Weihnachten feiern zu müssen, ist verquickt mit ihren Erinnerungen an eine Kriegszeit, an WK II.
"Frie-den, Frie-den, Frie-den" bellt es auch jetzt wieder aus den Lautsprechern, in Super-, auf Advents- und auf den globalen Märkten. Mindestens ebenso penetrant, mindestens ebenso Tinnitus-trächtig, auch wenn es nicht das Scheppern von der Christbaumspitze ist, sondern vordergründig leichter verträgliche Schlagerkost. Erschreckend ist es allemal.
Erschreckend waren auch die Rufe von der Regierungsbank, die im November ununterbrochen ausgestoßen wurden. Gerhard Schröder und seine Truppe brüllten allerdings nicht Frieden, sondern riefen den Krieg aus. Penetrant, militärisch scheppernd, unerbittlich. Die Bundeswehr nach Afghanistan, das war eine Art vorgezogenes Adventskalenderkläppchen für "unsere amerikanischen Freunde". Was die sich wünschen, gefällt noch lange nicht allen. Und so schmerzten einigen, wenigen Grünen die Ohren - und auch einigen, mehreren Künstlern, von Konstantin Wecker bis Klaus Staeck, von Ottfried Fischer bis Franz Xaver Kroetz. Einige, wenige wiederum dieser Wortgewaltigen hatten die Ehre, beim Bundeskanzler speisen zu dürfen, angeführt von Günter Grass und Walter Jens, die sich als Grand Old Men der Pazifisten verstehen durften. Dafür wurden sie von den noch nicht so alten und weniger großartigen Seigneurs, von Hermann Gremliza etwa, dem konkret-Macher, als des Kanzlers "nützliche Idioten" beschimpft. Hofnarren, die artig ihre Kritik zwischen Dessert und Digestif servieren. Jan Ross in der Zeit warf den Dichtern und Denkern vor, sich nur auf überkommene Kampflinien zurückzuziehen und Ideen zu recyceln. Auch dieser Mechanismus ist inzwischen eingespielt: Kaum hatte die Debatte über den Afghanistan-Einsatz begonnen, ritt bereits die Feuilleton-Kavallerie auf die Meta-Ebene des Schlachtfelds, um die Diskussion der Intellektuellen zu analysieren.
Viel zu sehr ging es dabei um Krieg und Frieden. Viel zu kurz kam die erschreckende Penetranz, das Kriegsgebelle, das von der Staatsspitze einsetzte. Mit Fahnenlametta und besinnlichen Gedenkminuten allerorten hatten die Vorbereitungen begonnen, nun wurde die Zustimmung zum Kriegseinsatz mit brachialem Vorgehen seitens der Münteferings exekutiert. Das war es wohl, was den leidenschaftlichen Skeptiker Grass und so viele andere alte "espede"-Gefährten überraschte: der Mangel an Nachdenklichkeit, den die rot-grüne Mehrheit (von den anderen hier kein Wort), bei dieser Frage offenbarte. Jawoll, etwas mehr Nachdenklichkeit bitte! Wenn denn noch jemand nachzudenken in der Lage ist. Gerade Bölls Weihnachtssatire wäre witzlos gewesen, wenn man hin und wieder darüber nachgedacht hätte, wie selbstverständlich Perversitäten werden können. Der Bundeswehr-Einsatz hätte sich genau dafür geeignet, für eine nachdenkliche, für eine tiefer schürfende Debatte - doch Schröders Männerchor intonierte: Macht hoch die Tür, das Tor macht weit, es kommt das Heer der Herrlichkeit.
Halleluja, viel zu viel Besinnlichkeit für eine Dezemberkolumne, die doch den kollektiven Taumel bremsen sollte - doch die Macht des Weihnachtstees, den sie jetzt in den Cafés anbieten, ist ungebrochen. Bleibt zu vermelden - stillgestanden, Schröder! - dass eine englische Santa-Claus-Vermittlung ihren Kandidaten eingeschärft hat, nicht das traditionelle "ho-ho-ho" des englischen Weihnachtsmanns zu brummen. Die Kinder würden dadurch eher verschreckt. Wie wäre es statt dessen mit einem schepprigen "Frie-den, Frie-den, Frie-den"?
Rupprecht Podszun - Dezember 2001
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